Oscarpreisträger im InterviewHandelt Ihr Federer-Film eigentlich vom Tod, Mr. Kapadia? – «Ja, tatsächlich»
Asif Kapadia findet in seinen Dokumentationen Zugang zu den aussergewöhnlichsten Personen unserer Zeit. Wie macht man das? Der gefeierte Regisseur im Gespräch.

Die bekanntesten Dokumentarfilme von Asif Kapadia haben die emotionale Wucht von Kinodramen, bestehen aber nur aus Archivmaterial. Seine Trilogie der tragischen Berühmtheiten umfasst die Dokus über Amy Winehouse («Amy»), Diego Maradona («Maradona») und den Rennfahrer Ayrton Senna («Senna»).
Zuletzt hat er an einem Porträt von Roger Federer mitgearbeitet, in dem wir erleben, wie Federer sein Karriereende verkündet. Kapadia ist als Kind einer indischen Familie in London aufgewachsen und hat mit «Amy» einen Oscar gewonnen. Der Regisseur wurde ans Industry-Programm des Filmfestivals Visions du réel in Nyon eingeladen und sprach dort über Federer, den Tod und die Frage, wie einem die Leute vertrauen.
Herr Kapadia, Ihr Dokumentarfilm «Federer» trägt den Untertitel «Twelve Final Days». Das klingt, als würde der Tennisspieler sterben. Geht es in dem Film um den Tod?
Es ist tatsächlich so, als würden wir gerade einen Tod verarbeiten. Dabei beziehen sich die «zwölf letzten Tage» auf die Zeit, in der Roger Federer sein Karriereende vorbereitet und öffentlich ankündigt. Für mich stammt der zentrale Satz von seinem Coach, der sagt: «Athleten sterben zweimal.» Die Vorstellung eines Todes hat mich auf jeden Fall interessiert. Ich bin ja über 50 und habe das Gefühl, dass ich immer noch lerne. Aber im Sport endet deine Karriere vielleicht schon in deinen Zwanzigern oder Dreissigern.
An der Pressekonferenz mit Novak Djokovic, Rafael Nadal und all den anderen sagt Federer auch, dass er es gut finde, dass er derjenige sei, der «als Erstes geht».
Es ist die Sprache des Sterbens. Das Ende von etwas. Aber der Tod ist metaphorisch, Federer hat eine glückliche Familie, Kinder, Ehefrau, alles. Aber dann waren seine Rivalen auch alle da – im Wissen, dass sie die Nächsten sein werden. Und das ging dann ja auch schnell. Djokovic kämpft natürlich noch, aber die anderen sind weg.
Wie haben Sie Zugang zu diesem Einblick hinter den Kulissen bekommen?
Das Material war nie dafür gedacht, öffentlich gezeigt zu werden. Was ich erhalten habe, war eine Art Homemovie, das den Abschied von Federer dokumentiert. Ich bin sicher, dass auch sein Agent eine bestimmte Vorstellung hatte, was aus dem Material werden soll. Aber ich war nicht von Anfang an involviert. Jemand, der Roger nahesteht, hat bei ihm zu Hause gedreht und alle interviewt. Ich habe dann das Material genommen und gesagt: «Okay, ich glaube, daraus könnte ein Film werden.»

Ihre Porträts von Amy Winehouse oder Diego Maradona zeigen aussergewöhnliche Menschen mit aussergewöhnlichen Karrieren – und dann deren tragischen Absturz. «Federer» scheint eine viel kalkuliertere Geschichte zu sein.
Das Projekt war anders, das stimmt. Mich hat die Frage fasziniert, ob man jemandes Geschichte erzählen kann, wenn man nur die letzten zwei Wochen oder das letzte Wochenende schildern kann. «Federer» passt aber auch insofern zu meinen anderen Werken, weil ich die vage Idee habe, Filme über verschiedene Lebensjahrzehnte zu drehen. Amy Winehouse starb jung, mit 27 Jahren. Ayrton Senna war 34, als er den tragischen Unfall hatte. Und «Federer» ist jetzt ein Film über das Aufhören in den Vierzigern. Aber natürlich auf sehr kontrollierte Art.
Um «Amy» zu drehen, mussten Sie Bildrechte abklären und zahlreiche Freunde und Berufskollegen interviewen, die zum Teil noch nie über den Tod der Sängerin gesprochen hatten. Wieso haben diese Leute ausgerechnet Ihnen vertraut?
Ich glaube, das ist mein Job: Vertrauen aufzubauen. Geschenkt bekommt man das nicht, man muss es sich verdienen, eine Beziehung aufbauen, besonders wenn es um traumatische Geschichten geht. Wenn mir jemand nicht vertraut – dann spricht sich das rum. Aber wenn mir jemand vertraut, spricht sich das ebenso herum. Dann sagt eine Person: «Du solltest mit ihm reden.» Und plötzlich kommen fünf weitere. Aber das dauert. Ich mache Filme, die manchmal Jahre dauern. Mein Ansatz ist immer: Ich werde niemanden zwingen. Und ich filme die Leute nicht.
Wieso nicht? Sie sind doch Filmemacher!
Weil ich glaube, dass es keiner mag, gefilmt zu werden. Niemand mag, wie er oder sie auf den Kameraaufnahmen aussieht. Ich habe es viel lieber, wenn ich ein Gespräch führen und dann die Audioaufnahme verwenden kann. Das ist der Stil, den ich mit «Senna» entwickelt habe und dem ich treu geblieben bin. Ich liebe das Radio und das Kino, aber habe nie viel Fernsehen geschaut. Wenn zu Hause der Fernseher lief, bin ich immer vor die Tür geflüchtet. Meine Interviews fühlen sich denn auch eher an wie Radiogespräche. Es ist persönlicher, weil man die Person nicht sieht – man ist quasi in ihrem Kopf. Bei «Amy» kam dazu, dass die Gesprächspartner Kameras nicht vertrauten, weil sie dabei an Paparazzi dachten. Es wäre das Dümmste gewesen, mit einer Kamera aufzukreuzen. Und dann noch weniger als ein Jahr nach ihrem Tod. Selbst ich fand, dass das zu früh ist!

Kriegen Sie heute permanent Filmmaterial zugeschickt, von dem jemand denkt, daraus könnte man einen Dokfilm mit Asif-Kapadia-Stempel machen?
Ich kriege schon Anfragen, aber es hängt von meinem Bauchgefühl ab, was ich machen möchte. Manches spricht mich einfach an. Aber es gibt durchaus ein wiederkehrendes Thema, wie ich mittlerweile erkannt habe. Ich bin in den 70er-Jahren in London aufgewachsen und war ein grosser Sportfan und liebe die Popkultur. Senna, Maradona, Amy Winehouse, das passt da alles rein. Und ich bin in einer Zeit grossgeworden, als es noch keine Handys gab. Die Leute gingen noch weniger kontrolliert mit Bildern um. Weniger selbstbewusst.
Auch wenn sie das Fernsehen nicht mögen, haben Sie für Streamingdienste gearbeitet und Folgen von «Mindhunter» gedreht. Auf Netflix gibt es heute Reality-Dokus zu sehen, in denen man etwa zusehen kann, wie Meghan kocht. Verfolgen Sie diese Entwicklung?
Weniger. Ich habe aber auch schon mehrere Projekte mit berühmten Leuten gemacht. Wie Martin Scorsese sagt: Manchmal macht man einen Film «für sie», damit man einen «für sich» machen kann. Das Problem dabei ist, dass die Leute nur das wollen, was du schon gemacht hast. Oder sie wollen True Crime, aber das ist nun wirklich nichts für mich.
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Visions du réel, bis 13. April. www.visionsdureel.ch
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