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Meinung

Kommentar zum dritten Geschlecht
Arbeits­ver­weigerung in der Gender­diskussion

Am Mittwoch tagte der Bundesrat zum letzten Mal in seiner bisherigen Zusammensetzung. Von links nach rechts: Bundeskanzler Walter Thurnherr, Viola Amherd, Guy Parmelin, Alain Berset, Simonetta Sommaruga, Ignazio Cassis, Ueli Maurer, Karin Keller-Sutter. 
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Oft, gern und kontrovers hat sich die politische Schweiz in letzter Zeit darüber unterhalten, ob der Bundesrat zu rechts sei oder zu links, zu männlich oder zu weiblich, zu alt oder zu jung, zu ländlich oder zu städtisch. Jetzt ist klar, er ist vor allem eines: in der Gesellschaftspolitik mutlos und weit weg vom Volk.

Am Mittwoch stellte der Bundesrat zum letzten Mal in Anwesenheit von Simonetta Sommaruga und Ueli Maurer die politischen Weichen. Dabei beschloss er eine Abfuhr für die amtliche Anerkennung des dritten Geschlechts. Es soll, wenn es nach diesem «Lame Duck»-Bundesrat geht, also auf absehbare Zeit keine Diskussion darüber geben, ob Menschen, die weder Mann noch Frau sind, auch im Pass, auf dem Zivilstandsamt und in der Statistik richtig aufgeführt und bezeichnet werden.

Wo lebt denn eigentlich dieser Bundesrat?

Aber dem Bundesrat ist schon der Auftakt zum Beginn des Ansatzes einer Diskussion darüber zu viel. Das merkt man daran, wie dünn er seine Unlust begründet: Es sei «erheblicher gesetzgeberischer Aufwand» mit einer solchen Änderung verbunden. Und, ach ja, wir, das Volk, seien halt noch nicht so weit. Die gesellschaftliche Debatte über dieses Thema sei noch nicht geführt.

Wo lebt dieser Bundesrat? Politik ist ja nichts anderes als gesetzgeberischer Aufwand, jahraus, jahrein. Und selbstverständlich wird diese Debatte längst geführt. Vielleicht nicht an Parteitagen und Stammtischen. Dafür aber überall dort, wo sich vorwiegend, aber nicht nur jüngere Leute mit Geschlechtsidentität und Gleichstellung beschäftigen.

Klar: Es gibt angesichts von Energiemangel, Inflation, Flüchtlingsströmen und Klimawandel sicher drängendere und dringlichere Probleme als das dritte Geschlecht im Pass. Und natürlich erwartet niemand von der Landesregierung, dass sie mit Feuer und Flamme für die Einführung einer bunten Palette neuer amtlicher Geschlechterbezeichnungen weibelt. Niemand wünscht sich auch ernsthaft einen Bundesrat, der im woken Mainstream hart am Wind segelt. 

Die jahrtausendealte Aufteilung der Menschen in Frauen und Männer ist tief in unsere Gesellschaft hineinverwoben.

Klar ist auch: Der bundesrätliche Bericht enthält durchaus Nützliches und Bedenkliches. Er zeigt nämlich auf, dass es nicht damit getan ist, mit einem Federstrich eine neue Geschlechterkategorie zu schaffen. Die jahrtausendealte Aufteilung der Menschen in Frauen und Männer ist tief in unsere Gesellschaft, in ihre Institutionen und Gesetze hineinverwoben. Was eine tiefgreifende Veränderung für dieses gewachsene Netz mit tausend Abhängigkeiten bedeutet, müssen wir uns alle gut überlegen.

Der Bundesrat geht aber weit darüber hinaus, vor möglichen Risiken zu warnen. Aus dem Papier spricht auf jeder einzelnen Zeile die Weigerung, sich auch nur ansatzweise an einer solchen Diskussion zu beteiligen. Dabei verweigert er sich ebenso sehr den klaren Tatsachen: Es gibt nun mal eine – zugegebenermassen kleine – Minderheit, die diskriminiert wird, wenn sie sich nur entweder der Kategorie Frau oder der Kategorie Mann zuordnen darf.

Der Bundesrat hinkt seinem Volk weit hinterher.

Für eine Mehrheit der Menschen in der Schweiz ist das kein akzeptabler Zustand mehr, wie eine Untersuchung des Forschungsinstituts Sotomo zeigt. Und in den Nachbarländern Deutschland und Österreich sind Formen des amtlichen dritten Geschlechts längst eine Selbstverständlichkeit.

Für unseren Bundesrat aber bedeutet das alles nichts. Er hinkt seinem Volk in diesem Punkt weit hinterher. Man darf, man muss hoffen, dass die neue Zusammensetzung und die neue Ämterverteilung in der Landesregierung da schon bald Wunder und ein Umdenken bewirken.