SVP reicht Unterschriften einAnti-SRG-Initiative schreckt die Romandie auf
Im Komitee der Halbierungsinitiative sitzen fast nur Deutschschweizer. In der Westschweiz wird die Initiative voraussichtlich einen schweren Stand haben.
Diesem Moment sah man in der Romandie mit einiger Anspannung entgegen. Am Donnerstagvormittag haben Thomas Matter, Marco Chiesa und weitere SVP-Exponenten die Unterschriftenbögen zur Volksinitiative «200 Franken sind genug!» eingereicht. Die sogenannte Halbierungsinitiative verlangt eine deutliche Reduktion der Radio- und Fernsehgebühren, die heute bei 335 Franken pro Haushalt liegen.
Über die Halbierungsinitiative sagte Pascal Crittin, Direktor des Westschweizer Radio- und Fernsehens RTS, im Juli der Zeitung «Le Temps»: «Es ist eine gefährliche Initiative, weil sie demagogisch ist.» Das Anliegen erwecke den Eindruck, dass die SRG mit halb so viel Geld auskommen könne. «Das ist völlig falsch», so Crittin. Zweihundert Franken würden allenfalls reichen, wenn alle Schweizerdeutsch sprechen würden, aber nicht für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen in allen vier Landessprachen. Zwar sieht die Initiative einen Finanzausgleich vor, «um für die Sprachregionen gleichwertige und hochwertige Programme zu verbreiten», wie es im Initiativtext heisst. Crittin glaubt aber nicht, dass dies nach einer Reduktion der Gebührengelder tatsächlich möglich wäre.
Es drohen Stellen- und Programmabbau
Bereits im Januar dieses Jahres hatte SRG-Generaldirektor Gilles Marchand in «Le Temps» massivste Einbussen prognostiziert, sollte die Halbierungsinitiative angenommen werden. Die Hälfte des bisherigen Budgets, also 700 bis 750 Millionen Franken, würde wegbrechen, rechnete Marchand vor. Er warnte vor Studioschliessungen, Stellen- und Programmabbau und einem Ende des dezentralisierten Medienhauses, wo Fernsehsendungen von Zürich und Genf aus produziert werden und je nach Sprachregion ganz anders daherkommen.
«Die Allianz konzentriert sich auf die Deutschschweiz, aber wir hoffen, dass in den anderen Sprachregionen weitere Organisationen frühzeitig aktiv werden.»
Glaubt man Marchand und Crittin, drohen die Romandie und das Tessin bei einer Annahme der Halbierungsinitiative medial zu verhungern, während die Deutschschweiz im Vergleich besser wegkommt und ihre Dominanz weiter ausbaut. Mark Balsiger, Geschäftsführer der Allianz Pro Medienvielfalt, die den Widerstand gegen die Initiative bündelt, geht zudem davon aus, dass «die grosse Schlacht» in der Deutschschweiz stattfinden wird. Auch wenn sich die Romands noch so vehement gegen die Vorlage stemmen, werden am Ende die Deutschschweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über das Schicksal der Initiative entscheiden. Balsiger sagt: «Die Allianz konzentriert sich auf die Deutschschweiz, aber wir hoffen, dass in den anderen Sprachregionen weitere Organisationen frühzeitig aktiv werden.»
Dass es zu einer Volksabstimmung kommt, davon ist der Berner überzeugt. «Die Initianten würden ihr Anliegen selbst im Fall eines Gegenvorschlags nicht zurückziehen», sagt er. Sie verfolgten vielmehr «eine Verelendungsstrategie» mit dem Ziel, die SRG ganz abzuschaffen. Die Halbierungsinitiative sei deshalb faktisch eine «No Billag 2», so Balsiger.
Balsiger geht davon aus, dass die Romandie die Halbierungsinitiative deutlich bachab schickt. Die Folgen der Medienkonzentration seien dort noch stärker spürbar, beobachtet er. «Die Leute wissen deshalb, was sie an RTS haben», so Balsiger.
2018 wurde die No-Billag-Initiative zur gänzlichen Abschaffung der Fernseh- und Radiogebühren nirgendwo klarer abgelehnt als in der Romandie. Im Kanton Jura stimmten 78 Prozent der Stimmberechtigten gegen die Vorlage, in der Waadt waren es 76,5, in Genf 74,8 Prozent, und selbst im zweisprachigen Wallis waren es immer noch 71,2 Prozent. Im Schweizer Durchschnitt verwarfen 71,6 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Vorlage.
Uneinigkeit beim Freisinn
«An der Haltung der Westschweizerinnen und Westschweizer hat sich nichts geändert», ist sich der Waadtländer FDP-Nationalrat Olivier Feller sicher. Der Service public habe in der Westschweiz nach wie vor einen hohen Stellenwert. Und gerade das Radio werde respektiert, auch weil die Morgensendung «La Matinale» und das einstündige Debattenformat «Forum» am Abend das ganze politische Meinungsspektrum abdeckten. Auch er selbst schätze RTS, so Feller.
Hätten die Initianten Feller angefragt, ob er sich im Initiativkomitee engagiere, hätte der Freisinnige dies abgelehnt. Generell fällt auf, dass sich im Komitee mit der Genfer Nationalrätin Céline Amaudruz und ihrem Walliser Ratskollegen Jean-Luc Addor nur zwei SVP-Exponenten aus der Romandie engagieren. Auch der Genfer Anwalt und SVP-Politiker Yves Nidegger würde durchaus ins Komitee passen. Von einem solchen Engagement will Nidegger nichts wissen. «Ich bin als Nationalrat zurückgetreten (im Mai; Anm. der Redaktion) und als Kantonsrat zurück in der Genfer Politik», so begründet er seinen Verzicht.
Als einzige prominente Westschweizer Freisinnige engagiert sich die ehemalige Waadtländer Regierungsrätin und heutige Nationalrätin Jacqueline de Quattro (FDP) für die Halbierungsinitiative, aber nicht als Teil des Komitees, sondern bloss als Unterstützerin. Warum? Die Frage bleibt offen. Auf Anfrage teilt de Quattro mit, sie sei ferienhalber abwesend. Auch der Waadtländer Freisinnigen dürfte nicht entgangen sein, dass mehrere Westschweizer Bürgerliche, auch FDP-Vertreter, sich inzwischen der Allianz Pro Medienvielfalt angeschlossen haben.
«Die grossen Kürzungen werden die Deutschschweiz betreffen.»
Die Genfer SVP-Politikerin Céline Amaudruz dürfte im nun beginnenden Abstimmungskampf in der Romandie eine ziemlich einsame Rolle spielen. Sie tut das bereits mit Verve. «Unsere Initiative ist ganz klar», sagte sie diese Woche in der Zeitung «Le Temps». Sie garantiere eine mediale Vielfalt, und die journalistische Abdeckung bleibe in allen Sprachregionen gut. «Die grossen Kürzungen werden die Deutschschweiz betreffen», verspricht Amaudruz. Marco Chiesa, Co-Präsident des Initiativkomitees, betont: «Die Gebührengelder werden auch in Zukunft gleich verteilt. Der SRG stehen weniger Finanzen zur Verfügung, dafür bleiben hunderte Millionen Franken im Portemonnaie der Privathaushalte.» Für private Fernsehsender wie Tele Ticino oder Léman Bleu in Genf ändere sich hingegen nichts. Als Tessiner könne er versichern, dass Tele Ticino mit lediglich 4,2 Millionen Franken aus dem Gebührentopf eine «hervorragende Arbeit» leiste, so Chiesa. Allein im Tessin habe er fast 30’000 Unterschriften für die Halbierungsinitiative gesammelt.
Im Abstimmungskampf werden auch der Westschweizer Filmregisseur und -produzent Frédéric Gonseth und sein Verein «Médias pour tous» (Medien für alle) mitmischen – gegen die Initiative. Er sagt: «Die SRG und ihre Töchter SRF und RTS sind ein Unternehmen, das die Schweiz zusammenhält, und Zusammenhalt hat dieses kulturell und sprachlich vielfältige Land weiter nötig.» Die Behauptung, die Halbierungsinitiative träfe die Deutschschweiz am meisten, sei zynisch, so Gonseth. Sie würde dem ganzen Land schaden, den Sprachminderheiten aber ganz besonders.
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