Streit um GetreideabkommenAngriffe auf zivile Schifffahrt werden denkbar
An der Landfront werden die Kämpfe gerade immer härter. Nun könnten die Russen ihre Drohung wahr machen, die Angriffe auf das Schwarze Meer auszudehnen.
Die Lage an der Landfront bleibt trotz Berichten über Erfolge der ukrainischen Gegenoffensive unübersichtlich. Seit einigen Tagen heisst es immer wieder, die Offensive gegen die russischen Stellungen an der Südostfront greife langsam, aber stetig Raum. Zum Teil mit modernen westlichen Panzerfahrzeugen aufgerüstete Truppen stiessen vor. (Lesen Sie auch den Artikel «Kiew startet neue Gegenangriffe».)
So meldete heute die Kiewer Militärführung, ihre Truppen hätten Staromajorske eingenommen. Das Dorf liegt 150 Kilometer östlich der ukrainisch kontrollierten Stadt Saporischschja. Staromajorske soll eine Schlüsselfunktion in der russischen Verteidigungslinie an der Südostfront haben. Ein ukrainischer Regierungsberater nannte die Einnahme des Dorfes einen «Meilenstein».
Eine mehrere Kilometer tiefe, als «Surowikin-Linie» bekannte Kette aus russischen Minenfeldern, Panzersperren und Schützengräben soll den Durchbruch ukrainischer Truppen bis hinunter an die Küste des Asowschen Meeres verhindern. Gelänge es den Angreifern, durch die Surowikin-Linie tatsächlich zur Küste vorzustossen, hätten sie die Landverbindung von der russischen Grenze hinunter zur annektierten Halbinsel Krim unterbrochen. Nachschub für Moskaus Soldaten in der Südukraine und auf der Krim wäre kaum noch möglich.
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Ob die ukrainischen Erfolgsmeldungen zutreffen, lässt sich unabhängig nicht überprüfen. Dass die Kämpfe an der Südostfront immer härter werden, zeigt sich aber daran, dass Russlands Präsident Wladimir Putin sich direkt zur Lage auf dem Schlachtfeld äusserte. «Alle gegnerischen Offensivbemühungen wurden gestoppt», sagte der Kreml-Chef in St. Petersburg bei seinem Treffen mit Vertretern afrikanischer Staaten. «Die gegnerischen Truppen erlitten schwere Verluste.» Einer der oft gut informierten russischen Militärblogger widersprach allerdings offen: Die Lage in Staromajorske sei sehr beunruhigend.
Beide Seiten stärken das Mobilisierungspotenzial
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bekräftigte unterdessen, dass Kiew die gesamte Ukraine befreien wolle. Es bleibe «das nationale Ziel», Russland militärisch zu besiegen. Der Sieg müsse so umfassend sein, dass allein schon der Gedanke der Kremlführung an einen erneuten Überfall auf die Ukraine «nicht mehr als die kranke Fantasie eines Verrückten» sein könne.
Offenbar rechnet aber keine der Kriegsparteien mehr mit einem raschen Ende des Konfliktes. Im Gegenteil: Beide Seiten stärken das Mobilisierungspotenzial. Moskau erhöht das Wehrdienstalter vom 1. Januar an auf 30 Jahre. Auch Reservisten müssen in Zukunft noch länger als bisher schon zur Verfügung stehen. Die Ukraine wiederum hat das Kriegsrecht um ein weiteres Vierteljahr verlängert. Das bedeutet, dass Männer im wehrfähigen Alter das Land nicht verlassen dürfen. Als wehrfähig gelten Männer bis 60 Jahre.
Während die Kämpfe in der Ukraine sich an der Landfront mit immer grösserer Härte fortsetzen, bleibt unklar, ob Russland seine militärische Aggression auf das Schwarze Meer ausdehnen wird. Moskau hatte vor einer Woche entschieden, das vor einem Jahr von den Vereinten Nationen und der Türkei vermittelte Abkommen über den Seeexport ukrainischen Getreides nicht fortzusetzen. Zugleich hatte der Kreml gedroht, alle sich der Ukraine nähernden Handelsschiffe als militärische Objekte zu betrachten. Man müsse davon ausgehen, dass diese Schiffe Waffen geladen hätten, und werde sie deshalb aufbringen.
Bisher ist dies jedoch nicht geschehen. Der Büroleiter des ukrainischen Staatschefs Selenski warnte der Nachrichtenagentur Reuters zufolge aber bereits, der Kreml bedrohe die Schifffahrt mit «terroristischen Methoden». Man habe Funksprüche der russischen Kriegsmarine abgehört, liess Andri Jermak verlauten. Der ukrainische Grenzschutz will zudem einen Funkspruch aufgefangen haben, in dem ein ziviles Schiff nahe einem ukrainischen Hafen bedroht worden sei. «Russland betrachtet den Transport jeder Art von Fracht in die Ukraine als mögliche Lieferung von militärischen Gütern», habe es darin geheissen. Name und Flaggen-Nationalität des Schiffes nannte die Ukraine nicht.
Angriffe auch auf zivile Schifffahrt möglich
Die russische Flotte hatte zu Kriegsbeginn im Februar 2022 Teile des Schwarzen Meeres vermint und die Schifffahrt aus der Ukraine zudem mit einer Seeblockade lahmgelegt. Da die Ukraine einer der weltweit grössten Getreideexporteure ist, hatte dies die weltweite Ernährungssicherheit gefährdet. Für das deshalb mit türkischer Hilfe ausgehandelte Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine wurde ein sicherer Korridor im Schwarzen Meer geschaffen. Mit dem Ende des Abkommens werden Angriffe russischer Kriegsschiffe und Flugzeuge auf die zivile Schifffahrt im Schwarzen Meer aber zumindest denkbar.
Inzwischen hat Moskau Kiew die Schuld am Raketenangriff in der südrussischen Stadt Taganrog am Asowschen Meer gegeben. «Das Kiewer Regime hat eine Terrorattacke (...) gegen die Wohninfrastruktur der Stadt Taganrog im Gebiet Rostow geführt», teilte das russische Verteidigungsministerium heute auf Telegram mit. Die russische Luftverteidigung habe die Rakete abgefangen, Trümmerteile seien jedoch herabgefallen. Dabei sollen 15 Menschen verletzt worden sein. Die Ukrainer sollen laut Moskauer Angaben das Flugabwehrsystem S-200 zur Angriffswaffe umfunktioniert und damit geschossen haben.
Taganrog liegt am Asowschen Meer in unmittelbarer Nähe zum ukrainischen Gebiet Donezk, das russische Truppen in grossen Teilen besetzt haben. Die Entfernung zur Frontlinie beträgt etwa 120 Kilometer.
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