Angriff auf Juden in DagestanMoskau gibt dem Westen die Schuld für die Hetzjagd auf Juden
Nach antijüdischen Vorfällen in der russischen Teilrepublik versucht der Kreml den Eindruck zu erwecken, die Vorgänge seien von ausserhalb Russlands gesteuert worden.
Die wütende Menge drückt mit solcher Gewalt gegen die Eingangstüren, dass sie aus den Verankerungen brechen. Ungebremst stürzen die Männer ins Gebäude, ein Polizist springt noch schnell zur Seite. «Ihr werdet jemanden umbringen», hört man einen Mann auf dem Video schreien.
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Die Aufnahmen vom Flughafen Machatschkala verbreiteten sich am Sonntagabend schnell über russische Telegram-Kanäle. Der Mob wollte zu einem Flugzeug aus Tel Aviv vordringen, angeblich waren israelische Flüchtlinge an Bord. «Allahu akbar», hört man die Menschen, meist jüngere Männer, auf den Videos rufen. In der Teilrepublik Dagestan lebt Russlands grösste muslimische Gemeinde.
60 Menschen festgenommen
In der Regionshauptstadt sollen sich bereits vor der Landung der Red-Wings-Maschine Hunderte vor dem Flughafengebäude versammelt haben. Aufnahmen zeigen, wie sie durch die Gänge des Flughafens stürmen, verschlossene Türen aufbrechen, über das Rollfeld laufen, manche von ihnen schwenken Palästina-Fahnen. Einer klettert auf den Flügel der Maschine aus Tel Aviv, auch das ist auf den Videos zu sehen. «Ich sage Ihnen ehrlich, da sind keine Passagiere an Bord», ruft ein Mann in gelber Warnweste den Randalierern entgegen.
Mehrere Stunden dauert das Chaos an. Ein Passagier einer anderen Maschine nahm die Durchsage seines Kapitäns mit dem Handy auf. «Draussen wartet eine wütende Menge, die nicht weiss, woher wir kommen und warum», sagt der Kapitän. Alle sollen sitzen bleiben, die Türen nicht öffnen. Offenbar hatte er Sorge, dass es sonst auch seine Passagiere treffen könnte.
Am Ende wurden 60 Personen festgenommen, von insgesamt 150 Randalierern, so die offiziellen Angaben der Behörden. Die Teilnehmer der «Massenunruhen» sollen vor Gericht gestellt werden, hiess es. Insgesamt 20 Menschen, Polizisten und Aufrührer, seien verletzt worden, meldete Dagestans Gesundheitsministerium. Zwei von ihnen befänden sich in einem kritischen Zustand. Der Flughafen wurde laut russischer Luftfahrtbehörde bereits am Montag wieder in Betrieb genommen. Allerdings würden Flüge aus Tel Aviv nun zunächst in andere russische Städte umgeleitet.
Der Chef der Teilrepublik Dagestan machte bereits am Montagmorgen die Ukraine für die antisemitischen Ausschreitungen verantwortlich. Er habe «absolut zuverlässige» Informationen darüber, dass der Telegram-Kanal, der zu den Unruhen aufgerufen habe, von der Ukraine aus gesteuert werde, behauptete Sergei Melikow in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Tass.
«Unsere Feinde, die Gegner unseres Landes, versuchen, die Lage in Dagestan zu destabilisieren», sagte er, sie nutzten dafür «verbotene Methoden», schürten «Zwietracht zwischen den Volksgruppen». Die Randalierer selbst nannte Melikow «Verräter». Wenn einer von ihnen den Wunsch äussere, seine «Schande abzuwaschen» und sich freiwillig für die russische «Spezialoperation» in der Ukraine zu melden, werde er das nur begrüssen.
Auffällig war ohnehin, dass offizielle Stimmen eher zurückhaltend, beinahe verständnisvoll auf die Wut der Menschen reagierten.
Zuvor hatte er noch versöhnlicher geklungen: Aufgrund falscher Informationen, verbreitet von Russlands Feinden, schrieb er auf Telegram, «standen sehr junge Menschen kurz davor, das Gesetz zu brechen». Auffällig war ohnehin, dass offizielle Stimmen eher zurückhaltend, beinahe verständnisvoll auf die Wut der Menschen reagierten. Gerade die Behörden in Dagestan waren darauf bedacht, zwar den Gesetzesbruch zu verurteilen.
Gleichzeitig betonten sie jedoch ihr Mitgefühl für die Palästinenser während der Kämpfe in Gaza. Israel und den antisemitischen Antrieb für die Ausschreitungen in Machatschkala erwähnten sie nicht einmal.
Erst am Samstag hatte sich eine aufgebrachte Menschenmenge vor einem Hotel in der dagestanischen Stadt Chassawjurt versammelt, dort waren angeblich Flüchtlinge aus Israel untergebracht. Am Sonntag wurde die Baustelle eines jüdischen Kulturzentrums in der benachbarten Teilrepublik Kabardino-Balkarien angezündet.
Putins Propaganda
Am Sonntagabend dann der Sturm auf den Flughafen. «Was die heutige Aktion angeht, so irren Sie sich, das sage ich ganz offen», sagte Scheich Achmad Abdulajew in einem Videokommentar an die Aufrührer. Er leitet die grösste muslimische Organisation Dagestans. «Wir verstehen Ihre Empörung sehr gut», sagte er weiter, aber man könne nicht verhindern, dass Flugzeuge aus Israel in Dagestan landen.
Auch der Kreml hielt sich mit Verurteilungen zurück. Für ihn ist wieder einmal nur der Westen schuld: Die Ereignisse in Machatschkala seien grösstenteils auf Einmischung von aussen zurückzuführen, sagte Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Erst vergangene Woche war eine Delegation der Hamas zu Besuch in Moskau, sie gilt in Russland nicht als Terrororganisation.
Kürzlich traf sich Putin mit Vertretern der grössten religiösen Gruppen in Russland. Der Westen, behauptete Putin bei der Gelegenheit, nutze «Islamophobie, Antisemitismus und Russophobie», um die Welt zu spalten und auf diese Weise die Oberhand zu behalten. In Russland dagegen, so behauptete der Präsident, gebe es auf staatlicher Ebene gar keinen und auf der Strasse kaum noch Antisemitismus.
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