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Angehörige von Hamas-Geiseln
«Das ist nicht unser Krieg! Bringt meine Familie zurück!»

Sie werden vermisst: Ofri Bibas’ Bruder Yarden (34), seine Frau Shiri (32) mit Baby Kfir (9 Monate) und Ariel (4).
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Am Samstagvormittag vor einer Woche, um exakt 9.43 Uhr, hörte Ofri Bibas das letzte Mal von ihrem Bruder Yarden. «Jetzt sind sie ins Haus eingedrungen!», schrieb er ihr per SMS. Und: «Ich liebe euch!»

Als die Hamas-Terroristen den Kibbuz Nir Oz, nur einen Kilometer von Gaza entfernt, um 6.30 Uhr überfielen, hatte sich Yarden zusammen mit seiner Frau Shiri, ihrem neun Monate alten Sohn Kfir und dem vierjährigen Ariel im Schutzraum ihres Hauses versteckt. Er hielt seine Schwester Ofri per SMS auf dem Laufenden, schrieb von den Schreien auf der Strasse, von den Schüssen, von ihrer Todesangst. 

Wahllos erschoss die Hamas entlang der Grenze zum Gazastreifen Menschen und löschte ganze Familien aus. Auch im 350-Einwohner-Kibbuz Nir Oz wurden 20 Bewohner ermordet, mehrere Dutzend verschleppte die Hamas als Geiseln in den Gazastreifen. 

Darunter mit hoher Wahrscheinlichkeit: Yarden, Shiri, Ariel und Kfir. 

Videos der Verschleppung 

Wenige Stunden nach dem letzten SMS ihres Bruders fand Ofri ein erschreckendes Video auf einer arabischen Website. Es zeigt ihre Schwägerin, die 32-jährige Shiri, mit ihren beiden rothaarigen Kindern, Ariel und Kfir, auf dem Arm vor ihrem Haus. In eine Decke gehüllt und mit vor Angst weit aufgerissenen Augen. Die Terroristen um sie herum zerren an ihr. Menschen schreien: «Nicht die Kinder! Lasst die Kinder!»

Das Video geht online um die ganze Welt. Die Bilder der jungen, verzweifelten Mutter wurden zum Symbol des palästinensischen Terrors in Israel, der auch vor Kindern nicht haltmacht.

Fotos ihres Bruders Yarden fand Ofri drei Tage später, am 10. Oktober – seinem Geburtstag – im Internet. Auch er ist umzingelt von Terroristen und hat eine blutende Wunde am Kopf. Die Hamas-Anhänger nehmen ihn mit, würgen und schlagen ihn. Ofri Bibas nimmt an, dass auch seine Bilder beim Überfall am Samstag aufgenommen wurden. 

Wenige Tage später findet Ofri Bibas Bilder von ihrem Bruder Yarden. Er wird von Terroristen weggezerrt.

«Ich fühle mich machtlos, ohnmächtig – ich drehe völlig durch», sagt die 37-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion. Dann bricht ihre Stimme am Telefon. Bibas wendet sich seither an die Öffentlichkeit. Es sei das Einzige, was sie tun könne. «Ich will, dass alle wissen, was hier passiert. Ich will, dass die ganze Welt an die vielen Geiseln denkt.» Auch die fast 70-jährigen Eltern ihrer Schwägerin Shiri wurden von der Hamas am Samstag entführt. Die Mutter hat Parkinson und ist auf Medikamente angewiesen. 

Genug von den Bomben

Ofri Bibas, ihr Mann und ihre zwei Kinder lebten bis vor kurzem selbst in der Nähe des Kibbuz ihres Bruders. Doch im August zog die Familie weiter nach Norden. Yarden und seine Frau Shiri wollten ihnen spätestens nächstes Jahr folgen. «Sie hatten wie wir genug von der ständigen Bedrohung, den Bomben, der Nähe zu Gaza.» Die erste Besichtigung eines Hauses ganz in ihrer Nähe sei bereits für nächsten Monat geplant gewesen. Vor allem ihre 4-jährige Tochter habe sich gefreut, endlich wieder mit Ariel spielen zu können. 

Jetzt fühle sich die ganze Familie wie in einem Horrorfilm. «Ich kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen. Ich fühle mich schuldig: Wer schaut, dass sie zu essen haben? Der neunmonatige Kfir nimmt doch noch nicht mal feste Nahrung zu sich!» Wieder bricht ihre Stimme.

Ofri Bibas ist verzweifelt und sucht die Öffentlichkeit: «Ich fühle mich machtlos, ohnmächtig – ich drehe völlig durch», sagt die 37-Jährige

Auch Bibas Kinder spürten die angespannte Situation. «Meine 4-Jährige fragte mich gestern, ob sie erst wieder in den Kindergarten könne, wenn Kfir und Ariel wieder zu Hause seien und die Männer auf der Strasse wieder für unsere Sicherheit sorgten. Es bricht mir das Herz.» 

Die Familie ist in engem Austausch mit den Behörden. Ein Militärangehöriger ist für sie zuständig und informiert sie über die Entwicklungen. Inzwischen konnte das Militär zum ersten Mal in das Haus der Familie ihres Bruders. Sie bargen Yardens Golden Retriever tot auf dem Boden, mit einer Patrone im Kopf.

Sie wollten umziehen, weiter weg von Gaza: Die 32-jährige Shiri mit Kfir auf dem Arm.
War ein Familienmitglied: Yarden habe seinen Hund geliebt, sagt Ofri Bibas.

Ofri Bibas bleibt nichts anderes übrig, als ihrer Regierung zu vertrauen, dass sie alles Mögliche unternimmt, um diesem Schrecken ein Ende zu setzen. Erst dann könne Israel über die Vergangenheit oder die Zukunft diskutieren. «Israel wird nicht mehr dasselbe Land sein. Auch ich will wissen, wie es so weit kommen konnte, wer die Schuld trägt –  aber nicht jetzt», sagt Bibas. 

Jetzt kämpfe sie einzig dafür, dass alle Regierungen auf der Welt zusammenarbeiteten, um die verschleppten Kinder und Familien freizubekommen. «Denn das ist nicht unser Krieg! Bringt meine Familie zurück!»