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Aus dem Leben eines Pöstlers
Anekdoten aus 44 Jahren als Briefträger

Seine alte Postuniform passt Hans Koller auch 22 Jahre nach seiner Pensionierung noch.
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Gut 40 Jahre lang war Hans Koller Pöstler in Stäfa und Ürikon. Als er Ende Februar den Artikel zur letzten Tour von Briefträgerin Rosi Forrer in dieser Zeitung liest, ist der Wiedererkennungseffekt für den mittlerweile 84-Jährigen gross. «Der Artikel hat mich echt gefreut. Er ist direkt aus dem Leben gegriffen», sagt Koller, der 1958 in Stäfa seine Lehre als Pöstler begann und ab 1963 in Ürikon Briefe austrug.

«Ich war unglaublich stolz, dass ich diese Arbeit machen konnte. Von 40 Bewerbern erhielt eine Handvoll eine Lehrstelle bei der Post», erzählt Koller. An das Vorstellungsgespräch erinnert er sich noch gut. «Sie haben mir allerlei Fragen gestellt, bei denen ich zum Teil nicht ganz verstand, was sie mit dem Beruf zu tun haben», sagt er lachend. So habe man ihn etwa gefragt, ob er glaube, dass der Mensch dereinst auf den Mond fliegen werde. «Ich sagte natürlich Ja.»

Auf den Mond musste Koller zwar nie. Er gehörte aber zu den ersten sechs Briefträgern schweizweit, welche die Post mit einem Töffli auslieferten.

Hans Koller gehörte zu den ersten Pöstlern mit Motorrad. 1972 kam er mit der neusten Post-Töffligeneration gar in der «Zürichsee-Zeitung».

«Ich war bis zum letzten Tag glücklich als Pöstler», sagt der gebürtige Appenzeller. 2001 wurde er pensioniert. Über die Jahre hat er viele interessante, lustige, aber auch berührende Momente erlebt. Einzelne Erlebnisse hat er festgehalten und dieser Zeitung eine Auswahl zur Publikation zur Verfügung gestellt.

Eine Znünipause und eine tote Frau

Wenn man fünf Stunden und mehr am Stück arbeitet, ist eine Pause von 15 Minuten im Arbeitsplan vorgesehen. Über Jahre hat mir Frau Bachmann jeden Tag einen schmackhaften Znüni bereitet. Wenn sie einen Arzt-, Coiffeur- oder sonst einen Termin hatte, der sie daran hinderte, sagte sie es mir am Tag zuvor.

Doch eines Tages blieb die Wohnungstür verschlossen. Ich läutete, niemand kam. Mich befiel ein ungutes Gefühl, denn Frau Bachmann war äusserst zuverlässig. Durch das Küchenfenster im Erdgeschoss konnte ich meine «Znüni-Frau» in ihrem Lehnstuhl sehen. Sie war eingeschlafen. Für immer.

Die Kunstwerke im Luftschutzkeller

Herr Prager hatte einen grossen Teil seines Lebens in Indien verbracht und handelte mit Gewürzen. Nach seiner Pensionierung kehrte er in die Schweiz zurück und brachte – was damals noch erlaubt war – viele grossartige Kunstwerke mit. Diese standen oder hingen im Wohnzimmer.

Jeden Sommer reiste er mit seiner Frau für drei Wochen ins Unterengadin. In ihrem Wohnsitz an schönster Lage gab es noch keine elektrische Überwachung. So mussten die Kunstwerke für die Dauer der Ferien in den Luftschutzkeller. Die guten Stücke danach wieder an ihren Platz zurückzustellen, war eine Aufgabe für den Briefträger. Ja, 10 Franken war die Mühe schon wert. 

Der «Chrieseli-Kindergarten»

Es war ein Kindergarten in einem Containergebäude. Rund herum wuchsen stattliche Kirschbäume – daher der Name «Chrieseli-Kindergarten». Das Grundstück war von einem Holzlattenzaun umgeben. Damit ich aber nicht jedes Mal das Gartentor auf- und zumachen musste, wenn ich die Post dort vorbeibrachte, übersprang ich das Hindernis kurzerhand. Eines Tages sprach mich die Lehrperson der Buben und Mädchen darauf an und sagte, die Kinder hätten immer grosse Freude daran, mich bei diesen Sprüngen zu beobachten.

Bissige Hunde

Dieses Kapitel gehört zu fast jedem Pöstler. Ernsthaft verletzt wurde ich nie, aber blutunterlaufene Oberschenkel und zerrissene Hosen waren oft die Folge unfreiwilliger Zusammentreffen mit Hunden. Jedes Mal musste ich danach zum Arzt für eine Tetanusspritze.

Im Bergli gab es einen Bauernhof mit Scheune, gleich nebenan war das Wohnhaus mit dem Briefkasten. Auf dem Hof hatte es einen bösen Schäferhund, vor dem mich mein Lehrmeister gewarnt hatte. Eines Tages war ich allein auf meiner Runde. Zwei Männer waren bei der Scheune beschäftigt, mit dabei der Hund. Da sein Meister dabei war, dachte ich, ich könne zum Briefkasten gehen. Ich steckte also die Zeitung rein, drehte mich zum Weggehen – uns schon packte mich der Hund am Oberschenkel. Erst als sein Meister ihn wegholte, liess er los.

Im Allgemeinen waren Hund und Besitzer selten die Schuldigen, sondern vielmehr der Angegriffene. Wenn man eine Tour nur für ein paar Tage von einem Kollegen übernimmt, kennt man die Hunde zu wenig. Deshalb kann es dann zu schlechten Begegnungen mit Hunden kommen.

Ein heftiges Gewitter mit Todesfolge

Ich bin völlig durchnässt auf einer Zustelltour. Ein Krankenwagen fährt mit Blaulicht und Sirene an mir vorbei. Wenig später kommt er mir wieder entgegen. «Wie kommt man zum Hermann-Hiltbrunner-Weg?», fragt mich der Fahrer. Ich zeige ihm den nicht einfach zu findenden Weg, wo wir den jungen Hausbesitzer finden. Er hatte trotz Blitz und Donner den Rasen fertig mähen wollen und wurde dabei vom Blitz erschlagen.

Ein überraschender Anruf

Es war im Sommer, und wir sortierten gerader die Briefpost, als um kurz nach 6 Uhr früh das Telefon läutete. Mein Vorgesetzter nahm den Anruf entgegen. «Ja, hier ist Frau Müller», sagte die Frau am anderen Ende und berichtete, sie liege seit gestern Abend in ihrer Stube am Boden und könne nicht mehr aufstehen. Das Telefon habe sie am Kabel zu sich ziehen können.

«Warum haben Sie denn nicht früher angerufen?» «Ja, unser Briefträger Herr Koller muss am Morgen so früh aufstehen, da kann ich ihn doch nicht am späten Abend anrufen. Aber als Bergsteiger könnte er durchs Badezimmer ins Haus steigen und mir helfen.»

Mit einer Dreitrittleiter fuhr ich also los und gelangte in das Haus. Im Wohnzimmer fand ich die über 80-Jährige am Boden. Ein Kraftakt von mir, und sie lag auf dem Diwan.

Nur eine Woche später starb die alte Dame an einer Lungenentzündung. Sie war gläubig, aber keine Kirchgängerin. Mit ihrem Herrgott führte sie viele Gespräche, und sie waren sich einig: Wenn er sie zu sich holen sollte, sei sie bereit.

Solche Gespräche führte sie mit ihrem Briefträger. Als ich einmal erstaunt feststellte, dass ihr Nachbar bereits 90 Jahre alt geworden war, schaute sie mich an und sagte: «Ja, der hat auch sein ganzes Leben nichts tun müssen.» Er war Kunstmaler und Schriftsteller.

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