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Meinung

Analyse zum Tory-Parteitag
Das wars mit der Vernunft

Britain's Prime Minister Rishi Sunak (L) shakes hands with a supporter as he walks through the venue on the first day of the annual Conservative Party Conference in Manchester, northern England, on October 1, 2023. (Photo by Oli SCARFF / AFP)
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Am Ende dieser befremdlichen Veranstaltung trat John Hayes ans Mikrofon, ein 65-jähriger Tory-Abgeordneter, im Parlament seit 26 Jahren. «Die Zukunft gehört uns», rief Hayes ins Mikrofon, und es war nicht ganz klar, ob er damit die Gruppierung der «New Conservatives» meinte, die zu dieser Veranstaltung im Rahmen des Parteitags in Manchester geladen hatte – oder gleich die ganze Partei. Am wahrscheinlichsten ist: Er meinte beides. Und das ist nun das Problem.

John Hayes und etwa 20 gleichgesinnte Tory-Abgeordnete haben die «New Conservatives» gegründet, eine von mehreren Untergruppierungen der britischen Regierungspartei. Jede dieser Gruppierungen beansprucht für sich, die grösste und einflussreichste zu sein; wer recht hat, lässt sich schwer überprüfen. Es gibt unter diesen Gruppen auch moderate, wie die «One Nation Conservatives», deren Vertreter Tom Tugendhat laut Umfrageexperten zu den beliebtesten Tory-Politikern zählt. Der eineinhalbstündige Vortrag von Hayes und seinen Kollegen aber stand stellvertretend für einen Tonfall, der den gesamten Parteitag begleitete.

Wer dachte, die britischen Konservativen seien mit Figuren wie der Innenministerin Suella Braverman oder der Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch schon arg nahe am Rand des politischen Spektrums angekommen, der hat in Manchester gelernt: Die Tories sehen noch viel Luft nach rechts.

Immerzu reden sie von «they»

Austritt aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Immigration drastisch reduzieren, härtere und längere Gefängnisstrafen, stark regulierte und an frühere Jahrhunderte erinnernde Sexualkunde in Schulen – Forderungen wie diese waren überall zu hören in Manchester, nicht nur bei den «New Conservatives». Und immer fiel das Schlüsselwort «they», sie. Sie, die da oben, die Eliten, die Bösen, die Unterdrücker. Das ist das Narrativ der Rechten und Verschwörungserzähler, der Populisten und Hetzer.

Es ist aber auch ein Narrativ, das andernorts in der Opposition geboren wurde, aufgezogen und gross gemacht im Wahlkampf, siehe: Trump, Meloni, Le Pen. In den Umfragen liegen die Tories konstant hinter Labour, zurzeit beträgt die Differenz 16 Prozentpunkte. Es ist nicht unmöglich, 16 Prozentpunkte aufzuholen; die Art aber, in der sich die Tories präsentieren, erinnert mehr an eine Oppositionspartei als an eine, die seit 13 Jahren regiert.

Selbst Sunak und manche seiner Minister scheuten sich nicht, falsche Behauptungen und Zahlen zu verbreiten.

Es gab nicht zuletzt bei den Tugendhats der Tories, den Moderaten also, nach dem Ende von Boris Johnson und Liz Truss eine gewisse Hoffnung, Rishi Sunak könnte die Vernunft zurückbringen in diese alte, traditionsschwere Partei. Von dieser Hoffnung ist ein Jahr nach Sunaks Amtsantritt nichts mehr übrig. Der «Post-Truth-Populismus» – in dem der Gegner mit wahrheitsfreien Behauptungen dämonisiert wird und in dem Ängste erfunden werden, von denen die Wählerinnen und Wähler oft noch gar nichts wussten – ist ja in vielen Ländern in vielen Wahlkämpfen üblich geworden. Bei den Tories greift er jetzt, ein Jahr nach Boris Johnson, mehr denn je um sich.

Selbst Sunak und manche seiner Minister scheuten sich in Manchester nicht, in ihren Reden falsche Behauptungen und Zahlen zu verbreiten. Energie­ministerin Claire Coutinho erfand eine «Fleischsteuer», die die Labour-Partei angeblich einführen wolle, was «kein Wunder» sei, schliesslich esse Labour-Chef Keir Starmer ja kein Fleisch. Verkehrs­minister Mark Harper schwafelte davon, dass Gemeinden und Städte den Bürgern vorschreiben wollten, welche Läden sie besuchen dürften. Verteidigungs­minister Grant Shapps warf in den Saal, das Vereinigte Königreich sei hinter den USA das Land mit den zweithöchsten Ausgaben in der Ukraine-Hilfe – ignorierend, dass Deutschland etwa zwei Milliarden Euro mehr ausgibt als das Königreich. Und Sunak behauptete, Labour würde 100’000 Asylbewerber aus der EU übernehmen. Nichts davon stimmt.

Vor welcher Aufgabe nun Labour steht

Rishi Sunak hat in Manchester immer wieder auch einen Begriff benutzt, der fast ironisch klang im Kontext dieses Parteitags: «common sense», gesunder Menschenverstand, das sei die Maxime seiner Tories. Wenn aber eintritt, was John Hayes ins Mikrofon gerufen hat, dass die Zukunft ihnen gehört, den stramm Rechten in der Partei, dann bleibt von diesem «common sense» nicht mehr viel übrig. Vor allem dann, falls die Tories tatsächlich die Wahl verlieren: Eine von den Rechten geführte Tory-Partei wäre in der Opposition nur noch enthemmter.

Der Labour-Partei zwingt die fortschreitende Radikalisierung der Tories eine noch grössere Verantwortung auf. Labour muss bis zur Wahl im kommenden Jahr überzeugende, eigene Antworten finden auf drängende Themen wie wachsende Migrations­bewegungen, Klima­wandel oder Wirtschafts­krise: Antworten, die einen mehrheitsfähigen Gegenpol schaffen zu einer Politik, die das Land acht Jahre nach dem Brexit-Votum noch weiter spalten würde.