Neuer Roman «Das Schwarze Trikot»An der Tour de France geht ein Mörder um
Der Mexikaner Jorge Zepeda hat einen spektakulären Radsport-Krimi geschrieben – und zugleich ein tiefgründiges Buch über Freundschaft. Aber das Beste ist, wie viel man beim Lesen über den Sport lernt.
«Du glaubst auch, dass hier ein Mörder herumläuft?»
«Du nicht?»
Ein solcher Wortwechsel ist nichts Aussergewöhnliches für einen Kriminalroman, aber in «Das Schwarze Trikot» fallen die Sätze an der Tour de France, und das wirkt dann doch eher verwegen. Beim mexikanischen Autor Jorge Zepeda Patterson wird das bekannteste Radrennen der Welt zum Szenario eines Plots à la Agatha Christie oder Georges Simenon: Irgendjemand in einer bestimmten Gruppe von Personen muss die Täterin oder der Täter sein, so viel ist sicher. Bloss: Wer ist es?
Bei Zepeda umfasst der Kreis der Verdächtigen die Fahrer und ihre Teams, die Technikerinnen und Techniker, die medizinischen Betreuer, die Medienleute – kurz: Eine dunkle Gestalt aus dem grossen Tross der Tour de France will das Rennen zugunsten eines Fahrers durch Gewalt entscheiden. Aber die Verbrechen – und dies ist ein raffinierter erzählerischer Handgriff – dürfen nicht so brutal und offensichtlich sein, um einen Abbruch des sportlichen Grossereignisses zu provozieren. Deshalb sind die Ereignisse stets von Ungewissheit umgeben. Steht ein Attentäter hinter der Explosion in einem Mannschaftswagen, oder war ein Gastank defekt? Wurde ein Fahrrad böswillig manipuliert – oder hat ein Techniker geschlampt?
Falsche Indizien, Verdächtigungen, überraschende Wendungen
Der 71-jährige Jorge Zepeda ist in Mexiko und im übrigen spanischen Sprachraum eine bekannte Stimme. Für einen Band aus seiner Trilogie politischer Thriller hat er den wichtigen internationalen Literaturpreis «Premio Planeta» gewonnen, als erster Mexikaner überhaupt. Seine Romane sind in mehrere Sprachen übersetzt und haben besonders in den USA begeisterte Kritikerinnen und Kritiker gefunden. Daneben ist Zepeda einer der profiliertesten politischen Journalisten, Kommentatoren und Kolumnisten Mexikos.
Als er kürzlich in München die deutsche Übersetzung seines Romans vorstellte, sagte Zepeda: «Im Zentrum meines bisherigen fiktionalen Werkes stehen Politiker, Unternehmerinnen und Medienleute, es geht um Korruption und Verbrechen – also um jenen Teil der Realität, die mich auch als Journalist interessiert.» Mit «Das Schwarze Trikot» habe er erstmals versucht, eine Geschichte zu erzählen, die nichts mit seinem eigenen Leben zu tun habe. «Ich wollte wissen, ob meine Fantasie und literarische Gestaltungskraft über meinen biografischen Horizont hinausreichen.»
Das Unterfangen ist Zepeda gelungen. Das «altehrwürdige Genre» – wie er es nennt – des Kriminalromans nach der «Mord-im-Orientexpress»-Dramaturgie setzt er äusserst spannungsvoll um: falsche Indizien und Verdächtigungen, überraschende Wendungen, vieles ist ganz anders, als es auf den ersten Blick scheint – und am Schluss kommt die grosse Überraschung.
Die Versuchung des Verrats
Aber Zepeda erzählt mehr als einen spektakulären Krimi, er schildert auch die Geschichte einer Freundschaft. Der Icherzähler des Romans, ein frankokolumbianischer Radprofi namens Marc Moreau, fährt im Team seines besten Freundes Steve Panata. Moreau ist trotz seines überragenden sportlichen Talents ein sogenannter Domestik: ein Helfer, dessen Aufgabe darin besteht, während der Rennen alles zu tun, um dem Teamleader Panata den Gesamtsieg zu ermöglichen.
Wäre es nicht höchste Zeit, dass mal wieder ein Franzose die Tour de France gewinnt?
Doch je länger die Tour de France dauert, desto grösser wird für den Icherzähler die Versuchung, Freundschaft, Loyalität und Teamgeist zu verraten und anstelle von Panata selbst zu triumphieren. Seine Geliebte Fiona und ein alter Trainer unterstützen ihn dabei. Beide sind überzeugt, er habe den Sieg viel eher verdient als der Teamchef. Hinter dessen Freundschaftsbeschwörungen, so versuchen Fiona und der Trainer den zögernden Moreau zu überzeugen, verbergen sich nichts als Lügen und Egoismus. Warum opfert Moreau Ruhm, Ehre und Geld für jemanden, der es nicht wert ist?
Und wäre es nicht höchste Zeit, dass endlich wieder einmal ein Franzose die Tour gewinnt – auch wenn dieser Franzose im kolumbianischen Medellín aufgewachsen ist?
Die psychologisch abgründige Schilderung der langjährigen Männerbeziehung zwischen Moreau und Panata, die feinfühlige Beschreibung, wie eine Freundschaft allmählich in Verdächtigungen und Heuchelei umschlägt, wie sie morsch wird und wie Moreau ob seiner Versuchung das eigene Gewissen quält – das ist eine grosse Qualität von Zepedas Roman.
Eine andere liegt in der Genauigkeit, mit welcher der mexikanische Autor sportliche und technische Details eines grossen Radrennens darlegt. «Es gibt kaum eine andere Sportart, die den Menschen derart an seine physischen und psychischen Grenzen treibt wie der Radsport», sagte Zepeda bei der Präsentation in München. Ein Rennen wie die Tour de France habe etwas Existenzielles. Dank einer journalistischen Akkreditierung für die spanische Zeitung «El País» konnte der Autor mehrere internationale Wettbewerbe begleiten, um für sein literarisches Werk zu recherchieren.
Pflichtlektüre für Radsportfans
Das Resultat ist beeindruckend: die Taktik einzelner Fahrer und ganzer Teams während einer Etappe und von einer Etappe zur nächsten, die Absprachen untereinander, die Überrumpelung des Gegners, wann wer in welchem Moment nach vorne prescht und warum. Die Gerüchte, die abends in den Sportlerhotels zirkulieren, die verstohlen-feindseligen Blicke im Frühstücksraum, das Gewirr aus Rivalitäten, die Gefahren und vor allem der Kampf gegen sich selbst – eindringlicher, plastischer, als es Zepeda tut, lässt sich all dies kaum beschreiben.
Für all jene, die sich von der Tour de France begeistern lassen, ist «Das Schwarze Trikot» ohnehin Pflichtlektüre. Aber weil das Buch von viel mehr handelt als von einem Radrennen, nicht bloss für sie.
Fehler gefunden?Jetzt melden.