Gewinner der KriseAmazon wird immer grösser – und mächtiger
Der Online-Versandhändler stellte zuletzt über 2000 neue Mitarbeiter ein. Jeden Tag. Gewerkschaften sind immer noch unerwünscht – dafür sitzt der Konzern in Bidens Team.
Diese Einstellungswelle sprengt alle Rekorde. Noch nie hat ein US-Unternehmen derart viele Angestellte in so kurzer Zeit eingestellt. Zwischen Januar und Oktober heuerte Amazon 427’000 Arbeitssuchende an. Seit Juni nahm die Belegschaft um 2800 Erwerbstätige zu – pro Tag. Die meisten von ihnen arbeiten in den Verteilzentren, doch baute Amazon auch sein Ingenieurteam aus, um die explodierende Online-Nachfrage zu bewältigen.
Noch ist der Detailhändler Walmart mit 2,2 Millionen Angestellten der grösste private Arbeitgeber der Welt. Amazon zählt derzeit 1,2 Millionen Beschäftigte; Anfang Jahr waren es noch weniger als 900’000. Zudem müssen hierzu noch eine halbe Million Vertragsfahrer sowie Temporärarbeiter und die Angestellten der Lebensmittelkette Whole Foods addiert werden. Geht die Beschäftigungswelle so weiter, dürfte Amazon in zwei Jahren Walmart als grösster Arbeitgeber überflügeln.
Das Jobwunder hat indes eine Schattenseite: Denn Amazon wehrt sich weiterhin dagegen, dass seine Beschäftigten sich gewerkschaftlich organisieren. Damit das so bleibt, scheint der Online-Riese wenig zimperlich zu sein: Gewerkschaften berichten von der Überwachung der sozialen Medienkontakte von Angestellten, von Einschüchterungsversuchen und von der Einschleusung von Privatdetektiven in die Verteilzentren. Amnesty International publizierte einen Bericht über die Zustände in den Amazon-Zentren und bezeichnete die Zulassung von Gewerkschaften als «zwingend».
Doch das würde die totale Kontrolle des Konzerns über die Belegschaft untergraben, sagt Tom Kochan, Arbeitsrechtler am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). «Amazon kontrolliert alles, vom Toilettenaufenthalt bis zur Kommunikation unter den Angestellten. Wenn die Gewerkschaften kommen, so verlieren sie diese Kontrolle, und das ist, was sie am meisten fürchten.»
Arbeitnehmervertreter verbünden sich
Amazon hat den Ruf, die gewerkschaftliche Organisierung der Angestellten besonders aggressiv zu bekämpfen, bestätigt Ian Gold, Direktor der Teamsters, einer der mächtigsten Gewerkschaften des Landes. «Walmart stand lange Zeit im grellen Scheinwerferlicht, wurde nun aber von Amazon abgelöst.»
Die Teamsters vertreten die Fahrer und das Logistikpersonal. Sie haben sich mit den zwei Gewerkschaften des Detailhandels, der Gesundheits- und Textilindustrie zusammengetan, um die Abwehrmauer von Amazon endlich durchbrechen zu können.
Sie hoffen dabei auf einen neuen Verbündeten: Den designierten US-Präsidenten Joe Biden. Seine Wahl sowie die nie dagewesene Einstellungswelle bieten aus Sicht der Gewerkschaften die Chance, die gewerkschaftliche Organisierung endlich bei Amazon durchzusetzen.
Was tut der neue Präsident?
Denn Joe Biden bestritt seinen Wahlkampf auf einer betont gewerkschaftsnahen Plattform und sicherte sich so die Unterstützung des Dachverbandes der Gewerkschaften. Mit Präsident Donald Trump ist sich Biden einig, dass Amazon sich der Steuerpflicht entzogen hat und dies nicht mehr hingenommen werden kann. «Kein Unternehmen kann Milliardengewinne einfahren und eine tiefere Steuerquote haben als Feuerwehrleute und Lehrer», so Biden.
Ohne eine minimale Unterstützung durch die Regierung sei es auch gar nicht möglich, einen Riesen wie Amazon zu organisieren, sagt Gewerkschaftsanwalt Marcus Courtney mit Verweis auf die Geschichte der grossen Industriegewerkschaften. «Ford, General Motors und Boeing – diese Unternehmen waren entscheidend für den industriellen Erfolg des Landes. Hingegen wurde die Tech-Industrie bisher nicht im gleichen Licht gesehen, obwohl sie ebenso wichtig für die Wirtschaft, die Gesellschaft und das Land geworden ist. Dies ist der Grund, weshalb der Tech-Sektor letztlich auch organisiert werden wird», meint Courtney.
So sicher ist das aber nicht. Denn Amazon-Chef Jeff Bezos ist ein gewiefter Lobbyist in eigener Sache. So war der Amazon-Gründer einer der ersten Unternehmer, der Biden zum Wahlsieg gratulierte. Wie stark Amazon geworden ist, zeigt sich auch daran, dass der Konzern zwei Sitze im Übergangsteam von Biden erhielt, darunter einen im Office of Management and Budget, das die Kontrolle über das Staatsbudget von fünf Billionen Dollar hat. Skeptiker glauben deshalb, dass die Regierung Biden ähnlich wie die Regierung von Barack Obama die Tech-Industrie weiter schonen wird – auch wenn sie die US-Wirtschaft mittlerweile dominiert.
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