Am Freitag hat die ganze Firma frei
Um Stress entgegenzuwirken, führen erste grössere Firmen die Vier-Tage-Woche ein. Auch in der Schweiz gibt es entsprechende Forderungen.
Beim Fondsmanager Perpetual Guardian fängt das Wochenende am Donnerstagabend an. Das neuseeländische Unternehmen hat nach einer erfolgreichen Testphase dauerhaft von einer Fünf- auf eine Vier-Tage-Woche umgestellt. Die 240 Mitarbeiter arbeiten neu 32 Stunden pro Woche und erhalten weiterhin ihren vollen Lohn.
Man habe nach der Umstellung einen massiven Anstieg beim Engagement und der Zufriedenheit der Belegschaft gesehen, sagte Geschäftsführer Andrew Barnes. Die Produktivität sei geringfügig angestiegen, der Stresslevel gesunken. Zuvor hatte fast die Hälfte der Angestellten über lange Arbeitszeiten sowie die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Job geklagt.
Das Modell einer Vier-Tage-Woche macht an immer mehr Orten Schule. Die Berliner Softwarefirma Planio testet derzeit ebenfalls eine verkürzte Arbeitswoche. Studien hätten gezeigt, dass die Produktivität stark absinke, wenn man mehr als 40 Stunden pro Woche arbeite, erklärt Firmengründer Jan Schulz-Hofen in einem Blogeintrag. Überarbeitung könne ausserdem Nachteile für die Gesundheit haben und sich aufs Arbeitsklima auswirken.
«Die meisten Kunden waren neidisch»
«Es ist viel gesünder, und wir erbringen bessere Leistung, wenn wir nicht übertrieben lange Arbeitstage haben», sagte Schulz-Hofen der Nachrichtenagentur Reuters. Er habe die Vier-Tage-Woche zunächst an sich selbst ausprobiert. Denn er habe gemerkt, dass er nach einem Jahrzehnt intensiver Arbeit etwas runterfahren müsste. Das Modell bewährte sich für ihn – also führte er dieses für sein zehnköpfiges Team ein.
Beim Experiment habe der Unternehmer realisiert: Er schaffte in vier Tagen nicht weniger als in einer regulären Arbeitswoche. «In fünf Tagen denkt man, man habe mehr Zeit. Also nimmt man sich mehr Zeit und erlaubt sich mehr Ablenkungen. Man trinkt seinen Kaffee etwas langsamer und plaudert mehr mit den Kollegen», so Schulz-Hofen. In einer Vier-Tage-Woche habe er schneller arbeiten müssen. «Ich musste mich konzentrieren, um meinen freien Freitag zu haben.»
Wer nun am Freitag bei Planio anruft, hört auf dem Anrufbeantworter eine Erklärung, wieso niemand erreichbar sei. Die Mehrheit der Kunden hätte darauf gut reagiert: «Die meisten haben sich nicht beschwert. Sie waren nur neidisch», so Schulz-Hofen.
Vier Tage arbeiten für 85 Prozent vom Lohn
Ein etwas anderes Modell bietet die US-Werbeagentur Grey New York ihren Mitarbeitern: Diese dürfen vier Tage die Woche arbeiten und erhalten dafür 85 Prozent ihres Vollzeitlohns. Auch in Japan und in Grossbritannien gibt es Vorschläge, die Arbeitswoche zu verkürzen. Japan insbesondere ist als Land der Workaholics bekannt. In einer Studie der Regierung aus dem Jahr 2016 gaben 23 Prozent der befragten Unternehmen an, dass manche ihrer Mitarbeiter auf mehr als 80 Überstunden pro Monat kommen. Immer wieder sorgen Suizide infolge von Überarbeitung für Schlagzeilen. Die Regierung ermuntert Unternehmen deshalb, den Mitarbeitern jeden Monat einen Montagmorgen freizugeben.
Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie, welche die Kampagne für sogenannte «Shining Mondays» («Glänzende Montage») vorgestellt hat, ging mit gutem Beispiel voran und liess einen grossen Teil seiner Mitarbeiter an einem Testtag im Sommer erst mittags im Büro erscheinen. Vor einem Jahr hatte die Regierung bereits sogenannte «Premium Fridays» angeregt: Unternehmen sollten Mitarbeiter am Freitag um 15 Uhr nach Hause gehen lassen – damit diese konsumieren und die Wirtschaft ankurbeln könnten. Das Ganze hatte mässigen Erfolg.
SP fordert 35-Stunden-Woche
Auch in der Schweiz gibt es Forderungen für eine kürzere Arbeitswoche. Die SP will etwa eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn. Das fordert sie in ihrem neusten Wirtschaftspapier, das am SP-Parteitag Anfang Dezember verabschiedet wurde.
«Besonders in Zeiten der Digitalisierung, die zu einem Produktivitätssprung führen dürfte, wird die Frage nach einer Reduktion der Arbeitszeit wieder relevanter», sagt Gabriel Fischer, Leiter Wirtschaftspolitik beim Gewerkschaftsdachverband Travail.Suisse. «Arbeitnehmer sollten an dieser Produktivitätssteigerung teilhaben – nicht nur in Form von Löhnen, sondern auch in Form von Zeit.»
Hinzu komme, dass mit der Digitalisierung auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten einhergehe. «Arbeitnehmer müssen einen grösseren Teil der Zeit auf Abruf verfügbar sein», so Fischer. Sie verlieren so die Hoheit über Arbeitszeit und Freizeit, weshalb in Zukunft die Gestaltungsmacht der Arbeitnehmenden über ihre Arbeitszeiten gestärkt werden müsse.
Ständig verbunden
«Menschen fangen an, sich von unserem Rund-um-die-Uhr-online-Leben zu distanzieren», sagt Lucie Greene, Trendexpertin bei der Werbeagentur J. Walter Thompson zu Reuters. «Sie erkennen die Probleme, die damit einhergehen, wenn man ständig mit der Arbeit verbunden ist.»
In einer Umfrage unter 3000 Angestellten hatte die Hälfte der Befragten kürzlich angegeben, ihre Aufgaben in fünf Stunden pro Tag erfüllen zu können – angenommen, sie würden nicht abgelenkt. Trotzdem arbeiteten die meisten über 40 Stunden pro Woche. Die Umfrage wurde von der Firma Future Workplace und dem Softwareunternehmen Kronos bei Arbeitnehmern in den USA, Grossbritannien und Deutschland durchgeführt. «Dank Technologien hat man immer Zugang zur Arbeit. Menschen sind ausgebrannt», sagt Dan Schawbel, Chef von Future Workplace.
Negativ für soziale Kontakte?
Die Arbeitspsychologin Angelika Kornblum von der ETH Zürich gab zuletzt zu bedenken, dass Testläufe mit kürzeren Arbeitswochen zwar vielversprechende Resultate geliefert hätten. Über die langfristigen Perspektiven sage dies aber wenig aus.
Die Beschäftigten seien im ersten Moment motiviert, weil sie dem Arbeitgeber für sein Entgegenkommen etwas zurückgeben wollten. Ob sich diese Euphorie dann in der Arbeitsleistung niederschlage, wenn die Vier-Tage-Woche zur Norm werde, sei laut Kornblum nicht erforscht. Eine kürzere Arbeitswoche könne zudem die Belastung an den Arbeitstagen erhöhen und sich negativ auf die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz auswirken.
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