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Als die Pfadis im Kriegsdienst standen – oder als «Schwarze» auf der Bühne

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Haben gut Lachen: Die beiden jungen Frauen verbringen das Pfingstlager mit der Pfadfinderinnenabteilung Wulp 1946 in Aesch-Birmensdorf.
Die aktuellen Pfadis aus Küsnacht und Erlenbach haben sich für ein Gruppenfoto vor der Pfadihütte vereint.
Die Gesangsgruppe «Six Darkies» gab Spirituals zum Besten, wie hier an einem Familienabend im Jahr 1960.
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Dass die Pfadi ausschliesslich auf Freiwilligenarbeit gründet, zeigt sich auch beim Buch-Projekt zum 100-Jahr-Jubiläum der Küsnachter und Erlenbacher Pfadi. In tausenden Stunden arbeiteten zahlreiche Helfer die Archivalien der Pfadfinderabteilung auf und verfassten einen Text nach dem anderen. Nach mehr zwei Jahren Arbeit ist das Buch im Mai dieses Jahres erschienen.

Es erzählt aber nicht nur die Geschichte der Pfadiabteilung, sondern vor allem Geschichten aus dem Pfadialltag während 100 Jahren. In diesen Erzählungen, verfasst von alten und jungen Pfadis, liest man von verschneiten Sommerlagern, unheimlichen Nachtübungen und gigantischen Pfadfindertreffen auf internationaler Ebene. Doch von vorne.

Turbulente Zeiten

Nach dem Vorbild der Pfadfinderbewegung, die Lord Baden-Powell (kurz: BiPi) Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet hatte, entstand 1916 eine erste Pfadigruppe am Zürichsee. Diese war zunächst stark militärisch organisiert und hatte sich den Patriotismus gross auf die Fahne geschrieben – Mädchen waren damals noch keine dabei. Im Jahr 1920 entstand dann die erste Pfadihütte am Eingang zum Küsnachter Tobel. Mit einem Landkauf 1928 konnte auf der Matistlen im Küsnachter Berg eine grössere Hütte für die stetig wachsende Pfadiabteilung gebaut werden.

Doch nicht alles lief immer harmonisch: Das Buch erzählt von der «Intrige» eines Gruppenführers, der eine eigene Waldhütte baute und sich und seine Gruppe aus der Sicht der Abteilung zunehmend isolierte. Doch die Geschichte währte nicht lange, und die Hütte wurde bald wieder abgerissen. Sowieso waren die 20er-Jahre von einigen Turbulenzen geprägt.

Ebenfalls 1928 wurde eine erste Küsnachter Mädchenabteilung namens «Wulp» gegründet, deren Uniform aus blauem Hemd und Rock sowie einer blau-roten Krawatte bestand. Schon bald erhielt auch diese Abteilung ihr eigenes Pfadihaus.

In internationalen Lagern

Im Jahr 1940 zählte die Küsnachter/Erlenbacher Knaben-Abteilung bereits 130 Wölfe und Pfadfinder, die in Gruppen, Stämme und Züge eingeteilt waren. Zahlreiche Bilder zeugen von Sommer- und Winterlagern in der ganzen Schweiz. Auf dem Programm standen Wanderungen, Geländespiele, Pfaditechnik und auch Skifahren. Die Besuche der internationalen Lager namens «Jamboree» mit Tausenden Pfadfindern aus der ganzen Welt gehörten ebenfalls zu den Höhepunkten. Sie sind in einem eigenen Kapitel ausführlich dokumentiert.

Dass die Pfadi damals noch näher am Militär stand, zeigt folgende Episode aus den Kriegsjahren: Mit der «Zweiten Generalmobilmachung» 1940 mussten sämtliche Mädchen-Pfadis über 15 in einen Samariterkurs einrücken. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging der militärische Aspekt der Pfadi aber immer mehr verloren und Spiel und Spass rückten in den Vordergrund.

Gospelchor sorgt für Furore

Unterhaltsam ist insbesondere das Kapitel über den traditionellen Familienabend, den Pfadfinderinnen und Pfadfinder regelmässig veranstalten. Zu diesem Anlass gehört das Aufführen von Theaterstücken und Liedern sowie eine Tombola. Mit zahlreichen Bildern wird dokumentiert, welch aufwendige Aufführungen die Küsnachter und Erlenbacher Pfadis auf die Beine stellten. 1958 entstand dann eine aus sechs Pfadfindern bestehende Gesangsgruppe, die an den Familienabenden unter dem Namen «Six Darkies» sogenannte Spirituals zum Besten gab. Da diese christliche Liedgattung ihre Ursprünge in der afroamerikanischen Sklavenkultur hatte, verkleideten sich die Sänger als Schwarze.

Ein Auftritt des Gospelchors in der reformierten Kirche Küsnacht führte dann zu heftigen Reaktionen in einem Leserbrief: «Es stimmt mich nachdenklich, dass wir Weissen, die die Neger missioniert haben, uns nun von ihnen durch ihre Lieder geistig betreuen lassen», heisst es darin. Heute wären wohl weder die schwarz angemalte Gesangsgruppe noch der Leserbrief mehr denkbar. Die «Six Darkies» traten übrigens im Zusammenhang mit der Jubiläumsfeier im vergangenen Jahr noch ein letztes Mal gemeinsam auf – ohne geschwärzte Gesichter notabene.

Die Pfadi geht mit der Zeit

Erwähnenswert ist die Leistung des ehemaligen Abteilungsleiters Rudolf Rentsch alias Rugel, der gemeinsam mit anderen Leitern das Liederbüchlein «Rondo» erstellte und seine Abteilung mit Pfadiliedern versorgte. Das mit zahlreichen Illustrationen bebilderte Buch hatte durchschlagenden Erfolg und wird heute noch von Pfadis in der ganzen Schweiz benutzt. Mittlerweile wurden rund 100 000 Exemplare verkauft und es gibt sogar eine Rondo-App fürs Mobiltelefon.

Doch nicht nur das Rondo hat sich mit der Zeit verändert, sondern auch die Pfadi selbst, wie das Jubiläums-Buch auf über 400 Seiten eindrücklich zeigt. Traditionen sind verschwunden und immer wieder neue entstanden. Denn auch die Pfadi muss mit der Zeit gehen. Im Jahr 2012 fusionierten die Mädchen- und die Knabenabteilung zur Pfadi Wulp – Küsnacht/Erlenbach. Heute zählt die Abteilung über 250 Mitglieder.

Mit dem Jubiläumsbuch haben die Küsnachter und Erlenbacher Pfadis ein Werk geschaffen, das weder trocken noch langweilig ist, sondern mit seinen vielen Erzählungen und Bildern richtiggehend zum Schmökern einlädt und nicht nur Pfadfinder-Herzen höher schlagen lässt.

«100 Jahre Pfadi in Küsnacht und Erlenbach», C. F. Portmann Verlag 2017, 416 S., über 300 Bilder, ISBN: 978-3-906014-38-8, 30 Franken, im Buchhandel erhältlich.