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Versorgungskrise in Grossbritannien
«Alles wird nur immer schlimmer»

Ausser Betrieb: Eine Tankstelle in Liverpool.
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Erst lichteten sich in britischen Supermärkten die Regale. Nun hängen immer mehr Tankstellen an ihren Zapfhähnen «Sorry»-Schilder aus. «Uns geht der Sprit aus!», schrieben heute gleich mehrere Londoner Blätter verstört auf ihren Frontseiten.

Mancherorts bildeten sich Autoschlangen, weil viele Fahrer in Panik geraten waren. Dabei gebe es ja «genug Benzin» im Lande, suchten BP und Esso ihre alarmierte Kundschaft zu beschwichtigen. Nur eben bei der Auslieferung habe man an manchen Tankstellen ein «vorübergehendes» Problem.

Die britische Regierung beschwor inzwischen die Nation, die Lage nicht durch Panikkäufe zu verschlimmern. «Ein Grund zur Besorgnis», versicherte sie, «besteht nicht.» Allerdings sagte Paul Scully, ein Wirtschaftsstaatssekretär, dass man in seinem Ressort bereits Pläne für den schlimmsten Fall schmiede. Dem Vereinigten Königreich drohen Versorgungsengpässe, wie es sie seit vielen Jahren nicht mehr gab.

In Grossbritannien fehlen 100’000 Lastwagenfahrer

Direkt spürbar sind zunächst die sich mehrenden Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken und nun also auch mit Benzin an manchen Tankstellen. Schon seit Wochen klagen Grosshändler und Supermärkte, dass schlicht die Liefer- und Lastwagenfahrer fehlen, um die Versorgung sicherzustellen. Angeblich soll es zurzeit an 100’000 Lastwagenfahrern in Grossbritannien fehlen.

Zum Teil liegt das daran, dass sich im Corona-Chaos die Ausstellung von Führerscheinen für Lastwagen erheblich verzögert hat. Das wohl grössere Problem besteht aber darin, dass dem Land wegen des Brexit Zehntausende Fahrer aus der EU verloren gingen. Denn sie erhalten kein Arbeitsvisum mehr.

Dabei betont selbst der Verband der britischen Spediteure, dass nur mit vorübergehenden Arbeitsgenehmigungen für EU-Kollegen die Engpässe zu beheben seien. Ansonsten stehe ein «schlimmer Winter» bevor, warnte Verbandschef Rod McKenzie diese Woche. «Versorgungsketten, Geschäftsleute, Supermärkte – alle im Lande sagen doch dasselbe: nämlich, dass alles nur immer schlimmer wird.»

Die jüngste Explosion der Gaspreise führt zu einem starken Anstieg der Lebenshaltungskosten.

Zusätzlich verschärfte sich die Lage in den letzten Tagen durch einen plötzlichen Mangel an kommerziellem Kohlendioxid, das man unter anderem zum Frischhalten von Lebensmitteln benötigt. Für diesen Mangel verantwortlich war der steile Anstieg der Gaspreise.

Die jüngste Preisexplosion beim Gas, die zu einem starken Anstieg der Lebenshaltungskosten führen wird, bringt den ärmeren Teil der Bevölkerung auf den Winter hin in grösste Schwierigkeiten – zumal drastische Kürzungen bei den Sozialleistungen vorgesehen sind und das Corona-Hilfsnetz eingerollt werden soll.

Im Vertrauen darauf, dass wegen häufigen Personalmangels «ja vielerorts auch die Löhne steigen», hält Finanzminister Rishi Sunak an seinem Entscheid fest, Ende September das Hilfsnetz abzubauen. Davon profitieren noch immer 1,6 Millionen Menschen. Geplant ist zudem die Abschaffung einer «vorübergehenden» Sozialleistung» für bedürftige Haushalte, die 20 Pfund pro Woche beträgt und ebenfalls wegen Corona eingeführt wurde.

Winter der Unzufriedenheit wie in den 1970er-Jahren

Das Ende der Corona-Hilfen stürzt Hunderttausende Familien in eine akute Notlage. Dazu kommen schon beschlossene Steuererhöhungen fürs nächste Frühjahr – und eben der Anstieg der Lebensmittel- und Gaspreise. Schon hätten viele Briten begonnen, Beratungsstellen zu stürmen, berichteten karitative Organisationen. Leute mit geringem Einkommen sähen sich vor einem «äusserst schweren Winter».

Zu einem regelrechten «winter of discontent», einem Winter der Unzufriedenheit wie in den 1970er-Jahren, könne sich das Ganze entwickeln, haben Tory-Abgeordnete ihre Minister gewarnt. Johnsons Regierung will nun prüfen, ob man nun doch Lastwagenfahrer ins Land lassen oder eher das Militär einsetzen soll.

Der britische Premier soll den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro bei einem Treffen am Rande der UNO-Vollversammlung um einen «dringenden Notbehelfsdeal» zur Versorgung Grossbritanniens mit «gewissen Nahrungsmitteln» gebeten haben. Spekulationen in London drehten sich um die Möglichkeit der Anlieferung von Truthähnen – rechtzeitig zum Weihnachtsfest.