E-Bike-Neuling UrtopiaAller Anfang ist smart
Es erkennt seinen Nutzer am Fingerabdruck. Es gehorcht auf seine Worte. Edel, leicht und elektrisch ist das Zweirad-Erstlingswerk von Urtopia ausserdem. Doch nicht jede seiner Smart-Lösungen überzeugt im Alltag.
Ende 2021 sorgte eine neue Velomarke mit einem avantgardistischen Design, Carbonrahmen und jeder Menge smarter Features weltweit für Aufsehen: Urtopia aus Hongkong. Die vielen Details des smarten Stadtflitzers machten Lust. Lust auf mehr. Und so habe ich am 9. November 2021 als Unterstützer Nr. 773 total 23’234.00 Hongkong-Dollar (damals rund 2750 Franken) für das E-Bike, den Transport in die Schweiz, einen Seitenständer, einen Komfortsattel, einen Zusatzakku und Schutzbleche an die Crowdfunding-Plattform Indiegogo überwiesen. Kein Einzelfall, bis Januar 2022 hatte das Start-up über 3 Millionen US-Dollar gesammelt. Trotzdem lachte mein Treuhänder: «Du bist Unterstützer, nicht Käufer – das Bike wirst du nie sehen.»
Immerhin: Mit wöchentlichen Mails hielt Urtopia die Hoffnung am Leben. Und als ich das smarte Bike fast schon vergessen hatte, stand es am 15. November vor der Tür. Die aufwendige Kartonage und das schützende Verpackungsmaterial hinterliessen, wie das zu 90 Prozent vormontierte Bike, einen hervorragenden Eindruck. Schon beim Auspacken fiel das Gewicht des Urtopia Carbon One positiv auf: Das ohne Akku 13 Kilogramm leichte E-Velo liess sich locker aus den Tiefen des Kartons heben. Die Montage von Vorderrad und Sattel war für einen Schreibtischtäter und Ab-und-zu-Velofahrer wie mich nicht ganz einfach, doch dank der verständlichen Bedienungsanleitung auf Deutsch, dem mitgelieferten Werkzeug und der Hilfe meines Velo-fanatischen Treuhänders war das Bike nach 20 Minuten startbereit. Zumindest fast. Denn vor der ersten Tour muss man die Urtopia-App aufs Smartphone laden, sich registrieren, Bike und Handy drahtlos verbinden sowie die neueste Firmware aufs Fahrrad aufspielen.
Smartphone trifft auf 1980er-Optik
Und wie sieht ein 13-Kilo-Carbon-E-Bike zum Preis von weniger als 3000 Franken aus? Top: Der Rahmen ist sauber verarbeitet, unsaubere Übergänge gibt es nicht, Kabel und Leitungen sind weitgehend innen verlegt. Ausserdem ist der Rahmen trotz eines im Unterrohr integrierten 360-Wh-Akkus schlank. Die tragende Konstruktion verzichtet auf ein durchgängiges Sitzrohr, denn dieses knickt auf halbem Weg als Sitzstrebe nach hinten ab. Das wirkt extravagant, ganz neu ist diese Lösung allerdings nicht.
Neben den ergonomischen, aber zu weichen Griffen befinden sich am extrem aufgeräumten Lenker Vibrationsringe, die Hydraulik-Bremshebel sowie auf beiden Seiten kleine Bedieninseln, über die sich verblüffend viele Funktionen steuern lassen. Lenker und Vorbau formen eine harmonische Einheit, in deren Zentrum ein Piktogramm-Display mit 24 x 24 Pixeln unter anderem über Geschwindigkeit, Akkustand und aktuelle Geschwindigkeit informiert. Und das sehr spielerisch: Wechselt man zum Beispiel per Knopfdruck in den Antriebsmodus Turbo, steigt im Display eine Rakete mit akustischer Unterstützung auf – was nicht ungewollt an Computerspiele aus den frühen 1980er-Jahre erinnert.
Doch das Bike kann nicht nur Töne erzeugen, sondern auch darauf reagieren. Hat man per Druck auf den rechten Taster die Spracherkennung aktiviert, lassen sich mit dem Befehl «Licht an» zum Beispiel die integrierten LED-Leuchten vorne und hinten einschalten. Im Stand macht das zwar was her, doch sobald sich Wind- und Nebengeräusche hinzugesellen, ist die Akustikerkennung überfordert. Will man Licht, muss man entweder anhalten und gut zureden oder sich an das Steuerkreuz auf der linken Seite erinnern.
Fingerabdruckscanner funktioniert tadellos
Eine andere nicht ganz überzeugende Funktion sind die über jenes Steuerkreuz aktivierbaren Blinker, die aus zwei Zusatzstrahlern im Rücklicht Signale auf den Boden leuchten. Oder die Audiohupe, die per Druck auf den rechten Bedienknopf ertönt, aber mit ihrem synthetischen Klang das Reaktionsvermögen anderer Verkehrsteilnehmer unterfordert. Der rechte Bedienknopf dient allerdings nicht nur zum Einschalten des Sprachbefehlmodus und als Hupe, sondern auch als Fingerabdruckscanner, über den sich der Nutzer mit seinem abgespeicherten Fingerprofil identifiziert. Das funktioniert einwandfrei.
Doch das Urtopia bietet noch viele andere Spielereien. Dank Smartphone-Konnektivität zeigt die in die Urtopia-App integrierte Navigationssoftware Richtungshinweise im Lenkerdisplay an. Und wer wissen will, wie viel Reichweite im Akku steckt, kann den Füllstand in der App auch aus der Ferne ablesen, da das Bike dank integrierter eSIM-Karte vernetzt ist. Theoretisch soll der Nutzer auf dem Smartphone auch über Diebstahlversuche informiert werden, was bei unserem Test nicht immer funktioniert hat. Dafür liess sich das E-Velo dank integriertem GPS-Modul per App lokalisieren.
Und ja: Fahren kann man mit dem Urtopia auch. Mit breitem Lenker, schmalen Rädern und einem kraftvoll anschiebenden Motor ist es ein agiler, handlicher Stadtflitzer. Die Reifen haben Grip, die hydraulischen Tektro-Stopper packen souverän zu, der kleine Heckmotor ist nur unter Volllast zu hören und sorgt für ordentlich Schub. Vor allem im urbanen Einsatz wird das viel Aufmerksamkeit erzeugende Urtopia seinem Namen gerecht. Im Turbomodus reichte die Akkukapazität der leicht herausnehmbaren Batterie für nicht ganz 40 Kilometer. Wers gemütlicher mag, schafft 70 Kilometer oder mehr. Das New Urtopia gibt es nur als leichtes und verschleissarmes Singlespeed. Dabei reagiert der Drehmomentsensor mit viel Schub auf leichte Pedalimpulse, weshalb lockere Pedaltritte reichen, um 25 km/h schnell zu fahren.
Dank des auffällig gestylten Carbonrahmens, dem praktischen Riemenantrieb, integriertem Licht, smarter Konnektivitätstechnik und mehreren netten Gadgets ist das – auf Amazon ohne Zubehör ab rund 2800 Franken erhältliche – Urtopia Carbon One ein Schnäppchen. Gegen Aufpreis gibts auch Anbauteile wie Schutzbleche, Gepäckträger oder Ständer. Was meint mein Treuhänder, der Velofreak: «Die paar Schwächen im Detail trüben den ersten Eindruck. Aber ein tolles Bike und eine gute Investition ist das Carbon One trotzdem. Wenn man nur die Geräusche stoppen könnte.»
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