Britischer Teenager Alex BattySechs Jahre ohne Spur – dann fand ein Kurier ihn mitten in der Nacht
Alex Batty war 2017 von seiner Mutter entführt worden, lebte fernab von der Gesellschaft. Nun hatte er genug von von diesem Leben und marschierte einfach los. Eine Adventsgeschichte.
Eine Gestalt in der Nacht, am Rand einer Überlandstrasse im Südwesten Frankreichs. Als Fabien Accidini, der diese Geschichte nun überall erzählen soll, einen jungen Mann in schwarzer Jeans und weissem Pullover sah, mit einem Skateboard unter dem Arm und einem Rucksack im Nachtregen, fuhr er zunächst weiter, zur nächsten Apotheke, die er beliefern musste.
Es war schon nach 2 Uhr früh, man weiss ja nie, wer da noch unterwegs ist. Accidini, 26 Jahre alt, ist Student in Toulouse, Chiropraxis. Um das Studium zu finanzieren, fährt er als Kurier Medikamente aus.
Auf dem Rückweg hielt Accidini dann aber an und fragte den jungen Mann, ob er ihn irgendwohin bringen könne. «Es regnete wirklich sehr stark.» Der Junge konnte kein Französisch, sie sprachen Englisch miteinander, es sollte ein langes Gespräch werden: drei Stunden. «Zunächst sagte er, er heisse Zach», erzählte Accidini der südfranzösischen Regionalzeitung «La Dépêche du Midi».
Doch dann, nach zehn Minuten, brach die ganze Geschichte aus ihm heraus, Stück für Stück. Accidini hat auf seinem Handy nachgeschaut, ob diese verrückte Geschichte, die er da hörte, auch wahr sei, und ob die Bilder, die es von seinem jungen Mitfahrer im Internet gibt, auch zu dem Jungen passen.
Von der Mutter nach Frankreich entführt
So tauchte Alex Batty, 17 Jahre alt, aus Oldham bei Manchester, wieder auf, nach mehr als sechs Jahren. Mitten im Advent, nach viertägigem Marsch durch die Berge, müde und durstig auf einer Überlandstrasse im Département Aude. Alex Batty war im Herbst 2017, als er elf war, von seiner Mutter und seinem Grossvater mütterlicherseits entführt worden – ja, so nennen es die englischen Fahnder: «alleged abduction», mutmassliche Entführung.
Die Mutter hatte das Sorgerecht für den Jungen verloren. Zu viel Kurioses war passiert, unter anderem ein Aufenthalt in einer spirituellen Kommune in Marokko. Melanie Batty fand immer schon, die ordentliche Schule sei nichts für ihren Sohn, der solle mal besser in einem alternativen Lebensrahmen aufwachsen. Die Erziehungsberechtigung lag deshalb ganz bei der Grossmutter, bei Susan Caruana. Bei ihr lebte Alex während drei Jahren.
Jahrelang keine Spur vom Jungen
In jenem Herbst 2017 aber sollte Alex für eine Woche mit der Mutter und dem Grossvater in den Urlaub fahren können, nach Spanien. Den Rückflug aus Malaga aber traten sie nie an. Susan Caruana war sofort besorgt und meldete den Fall der Polizei. Die Spur verlor sich sehr schnell. Alle Appelle, alle Zeugenaufrufe verhallten.
In ihrer grossen Verzweiflung schrieb die Grossmutter einen traurigen offenen Brief, der in der Lokalzeitung «Oldham Times» erschien: «Ich liebe ihn so sehr», stand da drin. «Ich beginne zu denken, dass ich ihn vielleicht nie wieder sehen werde. Innerlich sterbe ich jeden Tag ein bisschen mehr.» Das war 2018.
Über die Jahre hinweg gab es immer wieder Thesen darüber, was mit dem Jungen passiert sein könnte, wo er sein könnte, in welcher Sekte, in welcher Kommune. Aber nichts. Bis jetzt.
Die Mutter sei «einfach ein bisschen verrückt»
Dem Kurier erzählte Alex Batty, dass er zunächst eine Weile in einer Luxuswohnung in Spanien gelebt habe, mit einem Dutzend Personen. Zugang zu elektronischen Geräten habe er nie gehabt. In den vergangenen zwei Jahren hätten sie in einer Gemeinschaft in Frankreich gelebt, fernab der Gesellschaft, immer unterwegs zwischen Ariège und Aude, in Zelten und Wohnwagen. Er fühle keinen Groll auf seine Mutter, die habe ihn auch nicht eingesperrt. «Sie ist einfach ein bisschen verrückt», sagte er zu Accidini.
Nun habe er aber endgültig genug gehabt von diesem Leben, sei einfach losmarschiert, Dutzende Kilometer. Er wolle zurück zu seiner Familie in Oldham, zu seiner Grossmutter. Offenbar war er unterwegs nach Toulouse, wo er sich ausrechnete, Leute zu finden, die ihm helfen würden.
Der Kurier schlug ihm vor, über sein Profil bei Facebook eine Botschaft an die Grossmutter zu richten. Dann fuhren sie auf den Posten der Gendarmen in Revel, so hatte man es ihnen beim Notruf geraten.
Zu Weihnachten wieder bei der Grossmutter
Die Polizisten brauchten nicht lange für die Identifikation, der Junge war ganz offensichtlich Alex Batty. Er legte sich auf den Boden und schlief ein. Gesundheitliche Probleme scheint er keine zu haben, jedenfalls war das der erste Eindruck.
Und alle anderen Fragen, die noch offen sind, das ganze Mysterium aus sechs Jahren in der Spurlosigkeit, die sollen nun daheim erörtert werden, von den britischen Ermittlern. Die französischen Behörden gaben bekannt, dass Alex Batty so bald wie nur möglich nach Hause reisen soll, zur Grossmutter. Zu Weihnachten.
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