Corona in der Schweiz«Kein Lockdown, aber…» – Gesundheitsdirektoren stellen sich hinter neue Massnahmen
Die kantonalen Gesundheitsdirektoren sind sich mit dem Bund einig: Die Massnahmen vom vergangenen Freitag reichen nicht. «Es braucht eine schärfere und klarere Linie», sagt Präsident Lukas Engelberger.
Das Wichtigste in Kürze:
Bundesrat Alain Berset hat sich am Montagmorgen mit den Gesundheitsdirektoren der Kantone getroffen. Sie haben ein Massnahmen-Paket besprochen.
Das Paket ist nun in Vernehmlassung bei den Kantonen bis Freitag.
Von einem neuen Lockdown will niemand sprechen, die diskutierten Massnahmen seien «etwas sanfter», so Lukas Engelberger.
Die Gesundheitsdirektoren gehen jedoch mit dem Bund einig: Die Massnahmen vom vergangenen Freitag reichten nicht. «Es braucht eine schärfere und klarere Linie.»
Da die Massnahmen in der Vernehmlassung seien, nennen weder Engelberger noch Berset konkrete Inhalte.
Berset schliesst jedoch nicht aus, dass noch vor Weihnachten die Massnahmen verschärft werden. Er deutete mögliche Schliessungen von Restaurants an.
Ein Entscheid wurde auf Freitag angekündigt, dann kommt der Bundesrat diese Woche zusammen.
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Zusammenfassung
Laut Gesundheitsminister Alain Berset diskutiert der Bund derzeit mit den Kantonen einen «Eskalationsmechanismus» während der Festtage. Gemäss diesem sollen die Massnahmen nach einem bestimmten Schlüssel verschärft oder wieder gelockert werden.
«Eine neue Vernehmlassung ist im Gang», sagte Berset am Montag vor den Bundeshausmedien. Zuvor hatte sich der Gesundheitsminister mit der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) ausgetauscht.
«Wir probieren, generelle Regeln zu etablieren für die Festtage», erklärte Berset. Ziel des neuen Mechanismus müsse es sein, die Fallzahlen drastisch zu senken. Gefragt sei eine Reproduktionszahl von unter 0,8. Das hiesse, dass sich die Fallzahlen innert zwei Wochen halbieren würden.
Als zentrales Kriterium sollen die Kapazitäten in den Spitälern berücksichtigt werden. «Es braucht insbesondere genügend Personal, Betten alleine reichen nicht.» Die Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegenden seien am Anschlag und «müde». Die Fallzahlen steigen laut Berset in praktisch allen Regionen in der Schweiz, im Grossraum Zürich um etwa 15 Prozent.
«Wir sind wie der Bund der Auffassung, dass die aktuellen Massnahmen nicht ausreichen», sagte Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). Man sei der Auffassung, dass noch weitere Schritte brauche – hin zu einer entschlosseneren Pandemie-Bekämpfung, ergänzte Engelberger.
Thema III: Impfstrategie
Alain Berset hat mit den Kantonen auch über die bevorstehenden Impfungen gesprochen. Mit den gesicherten Impfstoffen können rund sieben Millionen Menschen geimpft werden, da es jeweils zwei Impfdosen braucht.
Es gehe jetzt darum, eine Impfstrategie festzulegen, sagt der Gesundheitsminister am Montag vor den Medien in Bern. Die Prozesse seien in Gange, Swissmedic kümmere sich um die Zulassung der Impfstoffe.
Mit den Kantonen sei das Vorgehen betreffend Verteilung, Transport und Lagerung besprochen worden. Die Kantone seien dafür zuständig, die Impfstoffe bereit zu stellen und zu verteilen. Der Bund seinerseits kümmere sich um alles was nötig ist, bis die Impfstoffe in der Schweiz ankommen.
Der Rest obliege den Kantonen. «Sie müssen alles machen, damit sie bereit sind und die Impfung in der Bevölkerung vornehmen können, sobald sie geliefert werden», sagte Berset. Das dürfte in wenigen Wochen so weit sein. Die Kantone sollten Anfang Jahr alle bereit sein. Diese Arbeiten müssten parallel zu den Arbeiten von Swissmedic erfolgen.
Die Kosten für die Impfung werden vom Bund übernommen.
Themen II: Schliessung Gastronomie und Läden
Wenn mit der Schliessung der Restaurants um 19 Uhr die Fallzahlen nicht sänken, sei klar, was kommen werde, sagt Alain Beset in Bern. In einem ersten Schritt würden die Restaurants ganz geschlossen, danach gehe es um die Läden.
Man wolle den Schweizer Weg aber weiter gehen, und nicht alles schliessen – wie zum Beispiel in Deutschland, so Berset. Der Schweizer Weg sei aber nur möglich, wenn alle mitmachten.
Es gehe nicht um einen vollständigen Lockdown wie man ihn in anderen Ländern sehe, sagte Lukas Engelberger, Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). Aber unter den Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren sei ein sehr breiter Konsens spürbar für strengere Massnahmen.
Themen I: Contact Tracing, Spitalbelegung, Skigebiete
Laut Gesundheitsminister Alain Berset müssen die Fallzahlen auch deshalb wieder runter, weil sonst die Kontaktverfolgung nicht sichergestellt werden könne. «Mit so hohen Zahlen ist das Contact Tracing eine fast unmögliche Aufgabe.» Erst, wenn schweizweit wieder 800 bis 1000 Fälle registriert würden, könne das Tracing wieder konsequent spielen, sagte Berset vor den Bundeshausmedien.
Berset machte zum wiederholten Male darauf aufmerksam, dass verschiedene Spitäler nicht dringliche Operationen verschieben müssen. «Nicht dringlich heisst nicht, dass diese Eingriffe nicht notwendig sind.» Die Belegung der betreuten Betten stagniere auf hohem Niveau. «Die aktuelle Situation ist sehr anspruchsvoll für das Personal.» Es gebe kaum Luft mehr nach oben.
Betreffend Skigebiete gab der Gesundheitsminister insofern Entwarnung, als dass die Spielregeln für die Bergbahnen vor ein paar Wochen fixiert worden seien. «Es darf weiterhin in diesem Rahmen funktionieren.» Bedingung seien wirksame Schutzkonzepte. «Ski fahren per se ist aber nicht das Gefährlichste, das man sich vorstellen kann», sagte Berset.
Die MK ist zu Ende
Das war die letzte Frage, wobei Berset kurz vorher verlangt hat, die letzten Fragen zu stellen. Die Medienkonferenz ist nun zu Ende. Wir bedanken uns für Ihr Interesse.
Spielt das Contact Tracing überhaupt noch eine Rolle?
Berset antwortet: «Mit so hohen Zahlen, wie wir sie jetzt haben, ist das Contakt-Tracing eine Mammutaufgabe. Trotzdem ist es natürlich weiterhin wichtig, und ja, es funktionert auch über die Kantonsgrenzen hinweg.»
Die Luft nach oben fehlt
Die Infrastruktur sei gegeben, nun gehe es mehr darum, dass das Personal sehr unter Druck stehe, sagt Berset. Auch dürfe man sich nicht erlauben, dass die Zahlen jetzt wider steigen: «Im schlimmsten Fall haben wir einen neuen Peak über die Festtage.»
Engelberger ergänzt: «In Basel behandelt Personal aus den Privatspitlären mittlerweile Corona-Patienten. Es geht da auch drum, dass Menschen sich bereits jetzt unter erschwerten Bedingungen engagieren. Das hat zur Folge, dass zahlreiche Operationen – auch wichtige – vertagt werden müssen. Da stellt sich mit der Zeit dann ein Durchhalteproblem. Es fehlt die Luft nach oben.»
Mathys fügt hinzu: Dreiviertel der Betten seien belegt, da gebe es keine Luft nach oben. Man habe noch viele Beatmungsgeräte, aber kein zusätzliches Personal, das verstehen würde, wie man die Geräte bediene.
Wie sieht es mit dem Wintersport aus?
Berset sagt: «Wir haben die Bedingungen festgesetzt, wie Ski gefahren werden kann.» Es sei eine Kapazitätsbeschränkung inklusive Schutzkonzepten verabschiedet worden. Danach sei es Sache der Kantone, ob sie die Bewilligung zum Skibetrieb erteile.
Und wie sieht das beim Langlaufen aus? Berset schmunzelt: «Was man noch alles regeln sollte...Ich profitiere ja auch davon, dass ich im Wald spazieren kann.» Es gehe ja einzig und allein darum, grosse Menschenansammlungen zu verhindern. Mathys bestätigt das. «Auf der Loipe sind generell die Abstände sichergestellt.» Das Übertragungsrisiko beim Langlaufen sei gering.
Warum wird das nicht alles kommuniziert?
Berset: Es mache allen Eindruck, wenn man sehe, wie das Ausland reagiere. Der Freiburger ergänzt: «Es ist keine normale oder übliche Vernehmlassung. Der Bundesrat muss sehr schnell handeln. Es dürfen sich nur die Kantone dazu äussern.»
Gibt es weitere Ausrufe zur ausserordentliche Lage?
Der Kanton St. Gallen habe um eine ausserordentliche Lage gebeten, weiss eine Journalistin. Gemäss Engelberger habe das kein weitererer Kanton verlangt. Das sei heute auch kein Thema gewesen.
Auch die Schulen seien kein Thema gewesen. «Ich hoffe, dass sich der Bundesrat gestärkt fühlt», ergänzt der GDK-Präsident. Er geht aber nicht tiefer, für welche Massnahmen sich die Kantone aussprechen.
Wieso warten die Kantone auf den Bund?
Engelberger sagt dazu: «Die Kantone nehmen ihren Teil der Verantwortung selbst wahr. Es hilft für die Akzeptanz der Massnahmen, wenn es eine deutlicher Einheitlichkeit gibt.»
Es wird nachgehakt. Wie fühlt sich dann ein Kanton, wenn die Zahlen tiefer liegen? Engelberger schmunzelt und antwortet: «Der Föderalismus hat eine komplexe Dialektik.»
Gibt es überhaupt eine Wahl, den Lockdown zu verhindern?
Berset sagt dazu: «Wir versuchen, die Spielregeln zu definieren und daran müssen sich alle halten.» Die Situation sei schwierig, gerade für Leute, die in die Zukunft planen wollen. Deshalb müssen die Massnahmen situationsadäquat und zielgerichtet sein: «Die Bevölkerung muss diese nachvollziehen können.» Berset sagt nicht zum ersten Mal: «Alle müssen sich an die Regeln halten. Ansonsten kappt es einfach nicht. Wir müssen uns alle anstrengen.» Sonst müssen die Massnahmen eben wieder verstärkt werden.
Warum dieses Chaos bei den Bäckereien am Sonntag?
Berset: «Es gibt ja Ausnahmeregeln für Kantone, die mit den Fallzahlen gut unterwegs sind.» Berset sagt es sei nicht wünschenswert, wenn verschiedene Kantone verschiedene Massnahmen treffen. «Sie sehen, zu welchem Ärger das im Kanton Baselland und Basel-Stadt führt.»
Der Magistrat mahnt: Es sei gefährlich, wenn der Bäckerverband zum zivilen Ungehorsam aufrufe. «Dann müssen wir zu strengeren Massnahmen greifen. Im Ausland ist bei tieferen Inzidenzen alles zu.» Ein solcher Aufruf sei illegal und nur kontraproduktiv.
Warum wird das Ampelsystem nicht eingeführt?
Bersets Replik: «Wir arbeiten seit dem Anfang mit Kriterien, das ist nicht viel anders als ein Ampelsystem. Wir schauen Fälle, Hospitalisationen und Todesfälle an.» Auch der R-Wert sei ein Kriterium, das es zu beachten gelte.
Der Freiburger weiter: «Mit Automatismen zu arbeiten, das funktioniere gut. Wir sind aber nicht in der Lage, alle Massnahmen im Vorfeld zu definieren. Wir brauchen Flexibilität.» Berset gibt zu, dass die jetzige Lage nicht erwartet worden war. «Ich erinnere daran, dass es Anfang November noch sehr gut aussah. Wir wollen lieber Richtungen und Indikatoren anschauen und entsprechend Massnahmen treffen.»
Gibt es noch Massnahmen vor den Festtagen?
Berset schliesst nicht aus, dass noch vor Weihnachten die Massnahmen verschärft werden. «Was wir jetzt erleben, ist völlig neu. Wir erleben eine Stagnation oder sogar eine leichte Zunahme.» Also müsse man auch flexibel sein.
Sind weitere Massnahmen in Sichtweite?
Engelberger weicht erneut aus. Berset wird konkreter: «Wenn das mit der Schliessung der Restaurants und Läden um 19 Uhr nicht funktioniert, dann müssen wir wieder über die Schliessungen generell sprechen. Der nächste Schritt ist dann bestimmt nicht einfach die Sperrstunde 17 Uhr.»
Sind alle Kantone für eine Verschärfung?
Engelberger erwidert: «Von einem Lockdown hat niemand gesprochen. Wir wollen sanftere Massnahmen als einen Lockdown. Ich will der Konsultation nicht vorgreifen. Ich hoffe, Sie verstehen das.» Es sei aber heute ein breiter Konsens spürbar gewesen.
Frage: Was hält Berset vom Massentest in Südbünden?
Berset antwortet: «Wir verfolgen das mit grossem Interesse. Wir schauen, ob das dem ganzen Land etwas bringen könnte.»
BAG-Direktor Patrick Mathys ist auch zugegen. Er sagt, die provisorischen Resultate seien interessant. Aber er könnne nicht weiter ins Detail gehen.
Herkules-Aufgabe Impfstoffverteilung
Die Verteilung des Impfstoffes sei in jeder Hinsicht eine Herkulesaufgabe, sagt Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren. Er gibt sich jedoch zuversichtlich in diesem Punkt.
Der Kollaps droht im Januar
Engelberger mahnt, dass die Lage völlig ausser Kontrolle gerate, wenn man das Virus jetzt nicht in den Griff bekomme. Wie Berset denkt auch er an das Pflegepersonal: Es sei eindrücklich, was geleistet werde in Spitälern und Pflegeheimen. Engelberger spricht den Mitarbeitenden seinen Dank aus. Diese seien müde und erschöpft.«Wir dürfen unser Gesundheitssystem nicht noch mehr strapazieren. Sonst droht im Januar der Kollaps», sagt der GDK-Präsident.
SDA/fal
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