Offener Brief an XhakaAch, Granit!
Der Captain der Nationalmannschaft wirft sich für seinen Bruder in die Bresche, stösst Drohungen aus und verdient darum ein paar Anregungen.
Hallo Granit
Ich kann mich noch gut an unser erstes Treffen erinnern. Seit fünf Monaten bist du in jenem Oktober 2011 Nationalspieler, und der damalige Trainer Ottmar Hitzfeld hat dich bereits als «jungen Schweinsteiger» geadelt. Im Interview, du bist gerade einmal 19 und spielst noch bei deinem FC Basel, bist du munter drauf. Du sagst zum Beispiel, dass du dich nicht als «Schweizer-Schweizer» fühlst, sondern als «Kosovo-Schweizer». Aus deiner Herkunft leitest du deine besondere Mentalität ab: «Wir Secondos geben alles, wir bringen eine andere Mentalität rein, wir sind Winner.»
Vor drei Wochen haben wir uns in Leverkusen das letzte Mal gesehen. In diesem Gespräch bist du dieser Mann, der auch in dir steckt: freundlich, mitteilsam, mit Schalk im Nacken. Du bist unbeschwert, und du hast allen Grund dazu: Fussball-Deutschland ist begeistert von deinen Leistungen, die du schon die ganze Saison bei Bayer Leverkusen zeigst.
Du bist nicht der Xhaka in den Minuten nach einem Länderspiel, in denen die Emotionen förmlich aus dir herausplatzen («Das ist mir scheissegal») und uns Journalisten so Material für Artikel lieferst. In Leverkusen, in einem ruhigen Raum, geht es auch um deine zuletzt bescheidenen Leistungen im Nationalteam und die Kritik daran. «Ich bin nicht erst seit gestern im Fussball. Ich lese nicht erst seit gestern etwas. Kritik ist ‹part of the game ›», sagst du. «Alles gut. Alles easy.»
Und jetzt, auf einmal, bist du wieder im Kampfmodus. Bist du dieser Granit Xhaka, der sich nichts bieten lässt: als würde ein serbischer Fussballer vor dir stehen und dich zum Griff in den Schritt provozieren.
Diesmal geht es um Taulant, er ist dein Bruder, fussballerisch nicht annähernd so talentiert wie du, aber er ist eineinhalb Jahre älter als du und darum dein Vorbild. So sei das in deinen Kulturkreisen, hast du einmal gesagt. Taulant hat aufgeschnappt, dass es in unserem Podcast «Dritte Halbzeit» um ihn gegangen ist. So muss es sein, sonst würde er seinen Instagram-Eintrag nicht mit der Podcast-Aussage «Was denkt sich wohl Taulant Xhaka?» verschönern. Er vermutet dahinter den Versuch, ihn beim FCB trotz eines bis 2027 laufenden Vertrags loszuwerden.
Taulant reagiert wie du, Granit, wenn er sich angegriffen fühlt. Und wenn sich dein Bruder angegriffen fühlt, bist damit auch du gemeint, Granit. Dann schreitest du zur Tat, um nicht nur Taulant zu retten, sondern gleich die Ehre der ganzen Familie. Dann kann es schon einmal vorkommen, wie in diesem Fall, dass du eins und eins zusammenzählst, auf drei kommst und ohne Überprüfung der Fakten zuschlägst. Instagram ist auch für dich die Waffe.
Wenn ich dann dein Basel-Deutsch übersetze, heisst deine Botschaft: ja nicht mit Taulant spielen, er bleibt bis 2027 beim FCB. Und «Person XXX», die für euch hinter dem Versuch stecken soll, Taulant loszuwerden, warnst du: «Schön aufpassen, was du gerade machst, kommt nicht gut für dich.» Granit, das sind Drohungen, die dir nicht zustehen, schon gar nicht in deiner Vorbildrolle als Captain der Schweizer Nationalmannschaft. Auch für dich gelten Grenzen, selbst wenn dir der Fussballverband das Gefühl gibt, dass das nicht so ist.
«Tut mir leid, so bin ich», hast du über dich auch schon gesagt. Und ein anderes Mal: «80 Prozent der Schweizer können mich nicht verstehen. Ach, nicht nur die Schweizer, die allermeisten Menschen – kein Vorwurf – können das nicht.» Damit liegst du ziemlich sicher richtig. Es ist auch nicht zu verstehen, wie du manchmal reagierst – gerade jetzt wieder. Ich frage mich, wieso du dein Leben nicht entspannter angehen kannst, wieso du immer gleich die Ehre der Familie bedroht siehst. Geniess einfach das, was du dank des Fussballs erreicht hast. Geniess das Leben.
Ich wünsche dir noch viele besonnene Stunden.
Thomas Schifferle
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