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Abstimmung vom 24. November
Der Verkehr soll weg aus den Dörfern – warum sich vier Autobahn-Gemeinden trotzdem gegen den Ausbau wehren

Verkehrssituation mit Gemeindepräsidentin Regula Iff am 22.10.2024 in Urtenen-Schönbühl. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG
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In Kürze:
  • Täglich durchqueren 122’000 Fahrzeuge die Gemeinde Urtenen-Schönbühl bei Bern.
  • Gemeindepräsidentin Iff lehnt den geplanten Ausbau der Autobahn ab.
  • Kantone und Gemeinden fordern bessere Lärmschutz- und Verkehrsentlastungsmassnahmen.
  • Das Bundesamt für Strassen sieht dennoch positive Effekte für Anwohnerinnen und Anwohner.

Tag für Tag fahren 122’000 Autos und Lastwagen über die Autobahn bei Urtenen-Schönbühl, eine Gemeinde mit 6500 Einwohnern. Der Ort nordöstlich von Bern wird gleich von zwei Nationalstrassen durchtrennt: von Ost nach West durch die A1 – und von Nord nach Süd von der A6.

Gemeindepräsidentin Regula Iff steht beim Kreisel im Zentrum des Dorfs. Hier fliesst der Verkehr von drei Hauptstrassen aus den umliegenden Dörfern zusammen – und zur Autobahneinfahrt. Es herrscht dichter Nebel. «Ein schöner Tag», sagt SP-Frau Iff, «die Wolken schlucken den Schall von der Autobahn.» An sonnigen Tagen und bei Wind ist der Verkehr von dort deutlich zu hören.

«Abends um 17 Uhr und an Samstagen ist es besonders schlimm», sagt die Gemeindepräsidentin. Als Massnahme dagegen hat der Kanton Ampeln am Dorfeingang errichtet, die den Verkehr zurückhalten sollen. Trotzdem kommt es regelmässig zum Verkehrskollaps.

Am 24. November stimmt die Schweiz über einen Ausbau des Autobahnnetzes ab. Sechs Projekte sind geplant, zwei davon betreffen die Gemeinde Urtenen-Schönbühl direkt: der Ausbau Wankdorf–Schönbühl, wo die Autobahn von sechs auf acht Spuren verbreitert werden soll. Und das Projekt Schönbühl–Kirchberg. Hier soll die Fahrbahn von vier auf sechs Spuren anwachsen.

Eines der Argumente für den Ausbau ist die Entlastung vom Ausweichverkehr, wie es im Abstimmungsbüchlein heisst: Die Fahrzeuge sollen weg von den Haupt- und Nebenstrassen, zurück auf die Autobahn. Wie kommt dies bei den Gemeinden an, die direkt betroffen sind? Diese Redaktion hat bei einem der meistbefahrenen Teilstücke – Wankdorf–Schönbühl – mit sechs einspracheberechtigten Gemeinden gesprochen.

Zahlen zeigen deutliche Verkehrszunahme

So viel ist schnell klar: Urtenen-Schönbühl ist ein spezieller Fall. Regula Iff zeigt auf ihrem Tablet Pläne des Bundesamts für Strassen (Astra). «Wir haben gelernt, mit der Autobahn zu leben», sagt die Gemeindepräsidentin. Doch das jetzige Ausbauprojekt lehnt die Sozialdemokratin trotzdem ab.

2017 nahm die Gemeinde zum Projekt Stellung: Sie forderte höhere Lärmschutzwände und Massnahmen, um den Verkehr auf den Zufahrtsstrassen zur Autobahn einzudämmen. Das sei Sache des Kantons oder der Gemeinde, hielt das Bundesamt damals fest.

Damals hiess die zuständige Verkehrsministerin Doris Leuthard. Heute ist Albert Rösti verantwortlich. Der Bundesrat sagte bei seiner Medienkonferenz zur Autobahnvorlage, der Ausbau gehe mit einer Entlastung der Gemeinden einher, weil der Ausweichverkehr in den Dörfern abnehme.

Pläne des Astra, in welche die Gemeinde Urtenen-Schönbühl Einsicht hatte, zeigen allerdings: Der Ausbau führt vor Ort auf den Hauptstrassen, die zur Autobahn führen, zu einer Verkehrszunahme. Laut Daten des Bundes nimmt die Zahl der Fahrzeuge auf der Bernstrasse in Schönbühl von 23’200 auf 25’600 pro Tag zu – ein Plus von 10,3 Prozent.

«Die Bernstrasse ist bereits heute stark frequentiert», hielt die Gemeinde in ihrer Stellungnahme fest. Mit dem geplanten Ausbau werde kaum eine Verbesserung eintreten. Vielmehr werde der Verkehr noch weiter zunehmen. Urtenen-Schönbühl forderte, dass bei der Planung des Ausbaus mögliche Massnahmen zur Verbesserung der Situation aufgezeigt werden: «Ohne diese führt der geplante Ausbau zu einer wesentlichen negativen Beeinträchtigung der Wohn- und Lebensqualität.»

Verkehrssituation mit Gemeindepräsidentin Regula Iff am 22.10.2024 in Urtenen-Schönbühl. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Das Projekt sei weiterentwickelt worden, seit ihm der Bundesrat 2018 zugestimmt habe, hält das Astra heute fest. Das Ziel sei nach wie vor, den Ausweichverkehr zurück auf die Autobahn zu holen. «Das schafft auf den heute überlasteten nachgelagerten Strassen der Region Platz für ÖV und Langsamverkehr», sagt Astra-Sprecher Thomas Rohrbach. «Das bringt markante Verbesserungen für die Anwohnerinnen und Anwohner und erhöht die Verkehrssicherheit auf den Strassen der Region.»

Beim Bund ist man sich bewusst, dass es mit dem Zurückholen des Ausweichverkehrs auf die Autobahn rund um den Anschluss Schönbühl «zu erhöhtem Mehrverkehr kommt». Mit dem Verkehrsmanagement des Kantons Bern würden Massnahmen koordiniert. Mit dem Ziel, den Verkehrsfluss zu verbessern.

Trotzdem hat die Gemeinde Urtenen-Schönbühl gegen das Ausbauprojekt Einsprache eingereicht. «Vor allem wegen unzureichender Lärmschutzmassnahmen und der zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die Wohn- und Lebensqualität», sagt Gemeindepräsidentin Iff.

Kehrtwende in Zollikofen

Ebenso betroffen ist das etwas südlicher gelegene Zollikofen. Auch diese Gemeinde hat gegen den Ausbau ihr Veto eingelegt, wie Gemeindepräsident Daniel Bichsel erklärt. 2017 war die Gemeinde noch für einen Ausbau der Autobahn, forderte lediglich Verbesserungen. Doch dann legte der Gemeinderat in der Verkehrspolitik eine Kehrtwende hin: «Der Gemeinderat spricht sich aus Gründen des Klimaschutzes gegen einen Ausbau der Autobahn aus», so Bichsel. Und wegen fehlenden Lärmschutzes. Er vertrete die Kollegialbehörde, stellt der SVP-Politiker klar. Die Einsprache ist zurzeit beim Departement von Bundesrat Rösti hängig.

Auch die Gemeinde Bolligen hat gegen das Autobahnprojekt Einsprache erhoben, wie Gemeindepräsident René Bergmann (Mitte) bestätigt – aus ähnlichen Gründen. Und die Stadt Bern, die sich ursprünglich nicht zum Projekt äussern wollte, ist inzwischen umgeschwenkt und lehnt es ab.

Laut Uvek gab es «zahlreiche Einsprachen»

Einzig die Gemeinde Moosseedorf ist für den Ausbau der A1 bei Grauholz, wie Gemeindepräsident Stefan Meier (SP) sagt – auch wenn die Gemeinde «nicht wirklich Freude am Ausbau hat», wie er sagt. In ihrer eigenen Einsprache bemängelt sie Landverlust und Lärmbelastung. Ein Vorteil ist hier hingegen die Entlastung vom Ausweichverkehr, der sich besonders bei Unfällen auf der Autobahn durch das Dorf zwängt.

Von den sechs Gemeinden, die vom Astra eingeladen wurden, sich als direkt Betroffene zum Projekt Wankdorf–Schönbühl zu äussern, sind also vier dagegen. Moosseedorf ist dafür, Ittigen äussert sich nicht zum Vorhaben, «da der politische Entscheid auf nationaler Stufe erfolgen muss», wie Gemeindepräsident Marco Rupp auf Anfrage sagt. Doch auch Ittigen hat eine Einsprache gegen das Projekt eingereicht.

Insgesamt gingen im Herbst 2022 zahlreiche Einsprachen gegen das Projekt ein, wie es beim Uvek heisst. Derzeit seien noch 50 Einsprachen hängig. Bis wann es dauere, bis das Verfahren abgeschlossen sei, könne man nicht abschätzen.

Verkehrssituation mit Gemeindepräsidentin Regula Iff am 22.10.2024 in Urtenen-Schönbühl. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Auf der anderen Seite befürwortet die Regierung des Kantons Bern den Ausbau. Und auch der kantonale Gewerbeverband ist «für die Engpassbeseitigung», wie Geschäftsführer und Nationalrat Lars Guggisberg (SVP) sagt. Gewerbler und deren Angestellte könnten im ländlich geprägten und weitläufigen Kanton Bern nicht einfach vom Auto auf den ÖV oder das Velo umsteigen – «aus logistischen Gründen oder weil die Erschliessung zu schlecht beziehungsweise der Zeitverlust zu gross ist», sagt Guggisberg. Gemeinden aus der Region, die nicht einspracheberechtigt waren, würden sich im Übrigen für den Ausbau engagieren. So sei etwa der Gemeindepräsident von Münchenbuchsee im Ja-Komitee.

Und Urtenen-Schönbühl? Die Gemeinde hat vor über 20 Jahren begonnen, Massnahmen zu treffen: 1999 baute man einen Tunnel, um den Zubringerverkehr zur Autobahn aus dem Dorfzentrum abzuleiten. Ebenso habe die Gemeinde das lokale Busnetz stark ausgebaut, sagt Gemeindepräsidentin Regula Iff: «Ich sehe nicht, wo wir als Gemeinde noch etwas tun könnten.»