Absetzung von Kevin McCarthyDer vorläufige Höhepunkt im republikanischen Machtkampf
Noch nie zuvor in der US-Geschichte wurde ein Sprecher des Repräsentantenhauses abgesetzt – noch dazu mit Stimmen aus der eigenen Partei. Unklar ist, wer McCarthy ersetzen soll und welche Rolle Donald Trump dabei spielt.
Am Ende fiel der Hammer, den neun Monate lang Kevin McCarthy geschwungen hatte. Diesmal hielt ihn der republikanische Abgeordnete Steve Womack aus Arkansas, er vertrat McCarthy, um den es in dieser historischen Sitzung im US-Capitol ja ging. Womack verkündete das Ergebnis der Abstimmung: 216 Stimmen für McCarthys Absetzung, 210 dagegen. «Das Amt des Sprechers des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten wird hiermit für vakant erklärt», sagte Womack vor der amerikanischen Flagge und liess den Hammer auf ein Brett am Pult sausen.
Ein trockener Schlag, Holz auf Holz. Es war das Ende von McCarthys überschaubarer Amtszeit, der Republikaner wurde am Dienstag tatsächlich abgewählt. Für das Urteil genügten schliesslich acht Hardliner aus seiner eigenen Partei, angeführt von seinem Erzfeind Matt Gaetz, sowie alle teilnehmenden Demokraten, die in dieser Kammer eigentlich in der Minderheit sind. Auch die meisten Amerikaner wussten erst nicht, ob es so was in der amerikanischen Geschichte schon mal gegeben hatte.
Mehrere Speaker gaben rechtzeitig auf
Nein, stellte sich bei historischen Studien heraus. 1910 probierten liberale Widerständler mal eine ähnliche Revolte gegen einen Republikaner namens Joseph Cannon aus Illinois, aber das ging erstens schief und ist zweitens schon eine Weile her. In neueren Zeiten gaben mehrere Speaker freiwillig auf, ehe sie gestürzt werden konnten, darunter 1998 Newt Gingrich und 2015 John Boehner, ebenfalls Republikaner. Aber noch nie war ein Sprecher des Repräsentantenhauses mit so einem Misstrauensvotum gekippt worden, noch dazu von Parteikollegen; Parteifreunde sind es längst nicht mehr.
Nun neigen die USA generell zum politischen Dauerspektakel, aber dieser Umsturz macht das Panorama ein gutes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen noch bizarrer. Kurze Zusammenfassung: Donald Trump, der wahrscheinlich für die Republikaner gegen Joe Biden ins Rennen gehen wird, ist wegen mutmasslicher Verbrechen viermal angeklagt. Gegen Biden Senior liessen die Republikaner Ermittlungen für ein Impeachment einleiten, gegen seinen Sohn Hunter liegt eine Anklage vor. Und eine kleine Riege von besonders rechten Abgeordneten hat es jetzt allen Ernstes geschafft, den erst zu Jahresbeginn gewählten Sprecher loszuwerden.
McCarthy brauchte ganze 15 Wahlgänge
McCarthy wusste, was da auf ihn zukommt. Seine Gegner aus den eigenen Reihen machten ihn bereits im Januar bei seiner Wahl zum Sprecher lächerlich, indem sie ihm erst nach 15 Runden und im Gegenzug für allerlei Versprechen ihre Gnade erwiesen. Die Republikaner haben nur eine knappe Mehrheit im Parlament, fünf Sitze mehr als die Demokraten, McCarthy brauchte jeden Mann und jede Frau. Nun ist er den drittwichtigsten Job der US-Politik nach denen von Präsident und Vize los, zurück bleiben fundamentale Fragen.
Wie konnte das passieren? Wer wird der oder die Nächste? Mit einer Box unter dem Arm verliess der Verlierer das Kongressgebäude. «Ich mag die Abstimmung heute verloren haben», verabschiedete sich McCarthy. «Aber als ich diese Kammer verliess, fühlte ich mich glücklich, den Amerikanern gedient zu haben.» In Wirklichkeit ist seine Abwahl nicht nur für ihn ein Desaster, sondern der vorläufige Höhepunkt im republikanischen Machtkampf.
«Ich bereue nicht, dass ich verhandelt habe; unsere Regierung ist dazu da, Kompromisse zu finden.»
Da wäre auf der einen Seite das Gros der ansatzweise gemässigten Republikaner, die am Wochenende gemeinsam mit den Demokraten den Shutdown abgewendet hatten. Zusammen segneten sie die Finanzen wenigstens bis Mitte November ab. Angeführt wurde dieser Teil da noch vom Sprecher McCarthy, dem dann auch beim Kampf um seinen Posten mehr als 200 Republikaner die Treue hielten. «Ich bedaure nicht, dass ich mich dafür eingesetzt habe, dass das Regieren Vorrang vor dem Klagen hat», sprach McCarthy noch. «Es ist meine Verantwortung. Es ist meine Aufgabe. Ich bereue nicht, dass ich verhandelt habe; unsere Regierung ist dazu da, Kompromisse zu finden.»
Da sind auf der anderen Seite jene reaktionären Rebellen, die Kompromisse für Verrat halten. Ihr Anführer heisst Matt Gaetz, dessen Aufruf die Abgeordneten Andy Biggs, Ken Buck, Tim Burchett, Eli Crane, Bob Good, Nancy Mace und Matt Rosendale folgten. Diese vergleichsweise winzige Gruppe republikanischer Umstürzler reichte, denn die Demokraten stimmten geschlossen mit ihnen. Nicht, dass zwischen beiden Ja-Gruppen zum Sturz von McCarthy irgendwelche Sympathien bestünden, im Gegenteil. Aber einem Rivalen als Sprecher würde die jeweils andere Partei nur für eine Gegenleistung beistehen, die offenbar nicht angeboten wurde.
Für Demokraten ist er ein Wendehals und Karrierist
Die Demokraten hatten trotz der vorübergehenden Einigung am Samstag im Budgetstreit kein Vertrauen in McCarthy. Für sie ist er der Wendehals und Karrierist, der erst als Minderheitsführer und dann Sprecher massgeblich dazu beitrug, die Demokratie auszuhöhlen und Trump ein Amtsenthebungsverfahren zu ersparen. Fraktionschef Hakeem Jeffries wies seine demokratischen Kollegen an, McCarthy nicht zu helfen. Nur vier Demokratinnen gaben keine Stimme ab, darunter Nancy Pelosi, McCarthys Vorgängerin. Die meisten Demokraten haben auch nicht den Eindruck, dass sich die Republikaner wirklich von ihren Maga-Extremisten lösen wollen. Trumps Truppe von Make America Great Again geht über die Gaetz-Truppe noch weit hinaus.
Was Donald Trump genau mit dieser Verschwörung zu tun hat, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise gefällt ihm das Durcheinander seines republikanischen Fussvolkes, über dem er als Patron schweben kann. Auch ist unklar, wer McCarthy beerben soll. «Denken Sie gut nach, bevor Sie uns ins Chaos stürzen», riet der Republikaner Tom Cole vergeblich dessen Kritikern, «denn genau darauf werden wir zusteuern, wenn wir den Sprecherposten räumen.» Interimssprecher wird Patrick McHenry, der republikanische Vorsitzende der Financial Services, in der kommenden Woche soll ein Nachfolger gewählt werden.
Zwei Republikaner halten Donald Trump für geeignet. Den von ihm durchaus ernst gemeinten Gag hatte vor McCarthys Wahl bereits Matt Gaetz gemacht, zwei republikanische Mandatsträger legten jetzt nach. Der Texaner Troy Nehls will Trump als Sprecher vorschlagen. «Präsident Trump, der beste Präsident meines Lebens, hat bewiesen, dass er Amerika an die erste Stelle setzt, und wird das Repräsentantenhaus wieder gross machen», meint er. Make the House of Representatives Great Again sozusagen. Mitstreiter Greg Steube aus Florida gab auf X, vormals Twitter, dieselbe Empfehlung.
Theoretisch wäre es möglich, obwohl Trump kein Abgeordneter ist. Praktisch werden es selbst die zerstrittenen Republikaner nicht so weit treiben. Sie suchen einen mehrheitsfähigen Bewerber, auf den sich die Lager verständigen können. Es soll jemand sein, der oder die den Demokraten nicht zu viel Geld für die Ukraine durchgehen lässt und die USA vielleicht dennoch nicht in den Stillstand treibt. Kevin McCarthy, der das zuletzt versucht hatte, will nicht mehr antreten. Über diejenigen, die ihm den Posten gekostet haben, sagte er, er habe viele von ihnen bei deren Wahl ins Repräsentantenhaus unterstützt. McCarthy ahnt ein bisschen zu spät, dass er sich da besser andere Leute ausgesucht hätte.
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