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Putin-Freund unter Druck
Abramowitsch-Tochter stellt sich öffentlich gegen Krieg

Er schweigt zum Ukraine-Krieg – sie nicht: Roman Abramowitsch mit seiner Tochter Sofia im Stadion Stamford Bridge in London. 
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Pokal-Endspiele in England lösen normalerweise helle Begeisterung aus in den Stadien und in den Pubs der anliegenden Viertel. Beim League-Cup-Final zwischen den Spitzenclubs Chelsea und Liverpool am heutigen Sonntag im Wembley-Stadion machte sich freilich – zumindest aufseiten Chelseas – eine leicht bedrückte Stimmung breit. Einige Chelsea-Fans brachten Ukraine-Fähnchen mit. Andere brummten, sie wollten «mit Politik nichts zu tun haben».

Aber das gehe natürlich auch nicht an, hatte schon vor dem Spiel Chelseas Coach Thomas Tuchel bekundet. «Wir sollten nicht so tun, als sei das kein Thema», hatte Tuchel erklärt. Die Situation sei für ihn, für seine Mitarbeiter und für die Spieler ganz einfach «schrecklich». Am schlimmsten sei, was in der Ukraine geschehe, natürlich für die Menschen dort. Aber auch über den Fussball werfe der Krieg in der Ukraine seine Schatten.

«Schliesslich geht es um Europa. Das geschieht in Europa. Und wir sind Teil Europas», sagte Tuchel weiter. «Da können wir nicht sagen, vergessen wir das doch.» Vergessen kann man «das» im Chelsea-Stadion Stamford Bridge schon deshalb nicht, weil der Club dem prominentesten aller russischen Oligarchen gehört, die über sehr viel Eigentum in Grossbritannien verfügen.

Anfänglich als Wohltäter gefeiert

Der 55-jährige Roman Abramowitsch hatte den Chelsea FC im Jahr 2003 für damals 140 Millionen Pfund erworben und den einst eher bescheidenen Verein im Südwesten Londons mit enormen Investitionen zu einem der erfolgreichsten Clubs Europas gemacht. Viel gefeiert vor allem in den Anfangsjahren, war Abramowitsch für Chelsea-Fans wie für Geschäftsleute und Politiker aller Couleur in London zu einem «Wohltäter» ersten Ranges geworden.

Er stand wie kein anderer für «Londongrad» – für die Kolonie superreicher Russen, mit denen in der nachsowjetischen Ära gewaltige Gelder an die Themse geflossen kamen. Sogar noch mehr Geld als für den Chelsea FC soll der Oligarch, der unter Boris Jelzin in Russland ein Vermögen anhäufte und mittlerweile über 8 Milliarden Pfund besitzen soll, für sein herrschaftliches Anwesen im an Chelsea angrenzenden Stadtteil Kensington ausgegeben haben. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel ««Londongrad» wendet sich gegen seine Oligarchen».)

Abramowitsch hat stets geleugnet, Putin nahezustehen oder als «Mittelsmann Moskaus» aufzutreten.

Zwischen Kensington Palace, wo Prinz William mit seiner Familie wohnt, und der russischen Botschaft in London, an der Prachtstrasse Kensington Palace Gardens, liegt das schlossähnliche Gebäude, unter kostbaren alten Bäumen, in bester Position. Weil aber derzeit heisse Demonstrationen nahe der Botschaft stattfinden, hat die Polizei zur Sicherheit gleich die ganze Strasse abgeriegelt. Niemand soll Abramowitsch zu nahe rücken – auch wenn er gar nicht zu Hause ist.

Tatsächlich hat sich der prominente Russe seit der britischen Empörung über den Nervengift-Anschlag in der Stadt Salisbury im Jahr 2018 nur ein einziges Mal, nämlich im letzten Herbst, auf der Insel blicken lassen. In den Salisbury-Tumulten erneuerte er nicht einmal mehr sein Visum fürs Vereinigte Königreich – aus Angst vor einer Ablehnung. Stattdessen hat er sich einen israelischen Pass besorgt, der ihm Zugang zu Britannien für jeweils sechs Monate verschafft, und einen portugiesischen, der ihm Freizügigkeit in der EU erlaubt.

Abramowitsch hat stets geleugnet, Wladimir Putin nahezustehen oder als «Mittelsmann Moskaus» aufzutreten. Wer ihn beschuldigte, sich auf unlautere Weise «Einfluss erkauft» zu haben, den zog er, wie zuletzt das Verlagshaus Harper Collins, erfolgreich vor Gericht. Anlässlich des Einmarsches Russlands in der Ukraine sind nun aber entsprechende Fragen wieder laut geworden.

Laut Nawalny ein Helfer des Putin-Regimes

Am letzten Donnerstag, dem ersten Tag der Invasion, nutzte der Labour-Abgeordnete Chris Bryant seine parlamentarische Immunität, um im Unterhaus ein ihm zugespieltes Dokument zu enthüllen, demzufolge das britische Innenministerium Abramowitsch bereits 2019 auf seine Liste verdächtiger Russen gesetzt hat. Das Ministerium verfolge Abramowitschs Aktivitäten «mit grossem Interesse» wegen «dessen Verbindungen zum russischen Staat und seiner öffentlichen Assoziation mit korrupten Aktivitäten und Praktiken».

Tatsächlich hatte auch der in Russland eingekerkerte Oppositionsführer Alexei Nawalny Abramowitsch auf seine Liste von 35 superreichen und superkorrupten «Helfern des Putin-Regimes» gesetzt. Mithin sei es höchste Zeit, dass Boris Johnsons Regierung Abramowitschs britische Vermögenswerte, sein Anwesen in Kensington Palace Gardens und den Fussballclub Chelsea beschlagnahme, erklärte Bryant.

«Die erfolgreichste Lüge der Kremlpropaganda ist doch, dass die meisten Russen hinter Putin stehen.»

Sofia Abramowitsch

Premier Johnson zögert allerdings noch vor einem Schritt dieser Art – wohl nicht zuletzt, weil der Chelsea FC seinem Eigner aktuell mehr als 1,5 Milliarden Pfund schuldet, und eine Enteignung das Aus bedeuten könnte für den Club. Abramowitsch wiederum hat, um sich weniger angreifbar zu machen, schon am Vorabend des grossen Spiels gegen Liverpool «die Kontrolle» über Chelsea an die Treuhänder des Clubs übergeben. Diese führen ohnehin im Auftrag des Besitzers die täglichen Geschäfte in Stamford Bridge.

Anders als Chelsea-Trainer Tuchel mochte sich Roman Abramowitsch jedoch zum Krieg in der Ukraine mit keinem Wort äussern. Selbst seine 27-jährige Tochter Sofia, die im Unterschied zum Vater fest in England lebt, fand solches Schweigen nicht länger akzeptabel. In einer Instagram-Botschaft erklärte Sofia Abramowitsch, nicht Russland habe Krieg mit der Ukraine gewollt, sondern nur Putin: «Die grösste und erfolgreichste Lüge der Kremlpropaganda ist doch, dass die meisten Russen hinter Putin stehen.»