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Bilaterale Schweiz-Brüssel
Gewerkschaften rücken bei EU-Vertrag von Knallhart-Position ab

Pierre Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, spricht auf der Delegiertenversammlung in Bern über die neuen EU-Abkommen.
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In Kürze:
  • Lange zeigten sich die Gewerkschaften einem Abschluss neuer Verträge mit der EU gegenüber sehr kritisch.
  • Aus ihrer Sicht reichten die innenpolitischen Abfederungsmassnahmen nicht, um den Lohnschutz zu halten.
  • Kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen ist ihr Ton weniger hart.
  • Am Freitag haben sie ihren Kurs für die nächsten Wochen an einer Delegiertenversammlung festgelegt.

Wer schon einmal in den Ferien auf dem Basar verhandelt hat, kennt das Vorgehen: Am erfolgversprechendsten ist es, mit einer übersteigerten Forderung einzusteigen, um sich dann mit einem Kompromiss zufriedenzugeben.

Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard hat diese Strategie auf die Spitze getrieben. «Es besteht keine Chance, dass die Gewerkschaften dem vom Bundesrat präsentierten Paket so zustimmen», schimpfte er vor einem Jahr in der «NZZ am Sonntag» über die Verhandlungen mit der EU. «Diejenigen, die glauben, dass die Gewerkschaften am Schluss dann schon einlenken, täuschen sich.»

Selbst wenn Maillard sich ein Hintertürchen – «wenn der Text so bleibt» – offenliess: Das führte zur Frage, ob er nach solch scharfer Rhetorik überhaupt noch irgendeiner Lösung zustimmen könne, ohne unglaubwürdig zu werden.

Selbst vor einem Monat wetterte Maillard weiter, dieses Mal im «Blick»: «Das jetzige Resultat ist inakzeptabel. […] Wir können doch nicht ein Paket vors Volk bringen, das den Schutz der Schweizer Löhne opfert.» Kurz vor Weihnachten hatte der Bundesrat die Eckpunkte seines Verhandlungsresultats öffentlich gemacht.

Showdown am 17. Februar

Maillard konnte sich den maximalen Druck offensichtlich leisten. Auf dem Basar würde der Verkäufer (hier der Bundesrat) das Gespräch möglicherweise sofort beenden. Doch die Beziehungen der Schweiz zu ihrem wichtigsten Handelspartner sind so wichtig, dass niemand wegen ein paar öffentlichen Angriffen davonläuft.

Während in den letzten Monaten die Unterhändler von Bundesrat und EU-Kommission um ein neues Vertragspaket rangen, liefen auch im Inland Verhandlungen. Von Anfang an war nämlich klar, dass die neuen EU-Verträge Verschlechterungen beim Lohnschutz der Schweizer Arbeitnehmenden zur Folge haben würden.

Unter der Aufsicht von Wirtschaftsminister Guy Parmelin suchten die Sozialpartner – also Gewerkschaften und Arbeitgeber – nach Massnahmen, um das Ergebnis abzufedern. Bis Ende Februar soll dieses vorliegen. Alle paar Tage findet bis dahin eine Sitzung statt, am 17. Februar sollen im Beisein von Parmelin die wichtigsten Entscheidungen fallen.

Tauwetter, aber keine Euphorie

Als Auftakt zu diesem Endspurt hat Maillards Gewerkschaftsbund am Freitagnachmittag bewiesen, wie gerne er eigentlich trotz allen bisherigen Lärms einer Lösung zustimmen möchte. Am Hauptsitz seiner wichtigsten Mitgliedsgewerkschaft Unia am Berner Stadtrand hielt der Dachverband eine ausserordentliche Delegiertenversammlung ab. Sie gab ihm das Mandat für die letzten Verhandlungsrunden.

Maillard hielt vordergründig den Druck immer noch aufrecht: «Wir sind immer noch der Meinung, dass der Bundesrat schlecht verhandelt hat», sagte er den gut hundert Delegierten. «Und wir haben das Recht und die Verantwortung, ein schlechtes Verhandlungsergebnis mit den Arbeitgebern abzulehnen.» Aber: Bei einem guten Abschluss würden er und die anderen Spitzen des Gewerkschaftsbunds sich nicht dagegen stemmen.

«Wir haben nun ein Mandat. Wir werden verhandeln», sagte Daniel Lampart, Chefökonom und oberster Verhandler des Verbands, am Rande der Veranstaltung. «An uns soll es nicht liegen, wenn es nicht klappen sollte.» Andere Entscheidungsträger bestätigten das Tauwetter in Gesprächen, wollten aber nicht damit zitiert werden.

Im Zentrum vieler Reden standen nach wie vor die «vielen Schwächen des Verhandlungsergebnisses des Bundesrats», was die Aufträge ausländischer Firmen in der Schweiz angeht. Viele davon werden nicht einmal von den Arbeitgebern bestritten.

  • So sollen ausländische Firmen keine Kaution mehr hinterlegen müssen; diese riskieren sie heute, wenn ihre Löhne nicht den Schweizer Mindestvorgaben entsprechen.

  • Auch soll die Voranmeldefrist, die heute für entsendende Firmen gilt, von acht auf vier Tage halbiert werden: Die Frist erlaubt es den Sozialpartnern, ihre Kontrollen am jeweiligen Arbeitsort vorzubereiten.

  • Oder – besonders umstritten – müssten ausländische Firmen ihren Angestellten bei Aufenthalten in der Schweiz trotz der hohen Preise hier nur Spesenansätze zahlen müssen, die in ihren Heimatländern üblich sind.

Gewerkschaften können Mandat taktisch nutzen

Die Abkehr vom harten Kurs war einerseits wohl Teil der Kommunikations­strategie: In der Realität waren die Gewerkschafter nie so negativ eingestellt, wie es Maillard darstellte. Andererseits haben sie den Arbeitgebern tatsächlich Konzessionen abgerungen: So soll sichergestellt werden, dass Gesamtarbeitsverträge, die heute für alle Beschäftigten einer Branche gelten, das auch künftig sind – selbst wenn die formellen Bedingungen dafür nicht mehr erfüllt sind.

Ab März will der Bundesrat evaluieren, welche Kompromisse der Sozialpartner er zusammen mit dem Verhandlungsergebnis mit der EU dem Parlament vorschlagen wird. Die Vernehmlassung dazu soll noch vor dem Sommer starten.

Weil das bisher Erreichte den Gewerkschaftsspitzen aber nicht genug ist, legten sie ihren Delegierten am Freitagnachmittag eine Resolution mit einer Reihe weiterer Forderungen vor. Unter anderem wollen sie, dass künftig Bauherren finanziell dafür haften sollen, wenn ihre ausländischen Auftragnehmer das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» ritzen. Oder sie verlangen eine gesetzliche Verankerung dessen, dass auch für entsandte Berufsleute Schweizer Spesen gelten sollen. Kaum Chancen haben sie mit ihrer Forderung eines ausgebauten Kündigungsschutzes: Der liberale Arbeitsmarkt ist den Arbeitgebern heilig.

Die Delegierten nahmen die Resolution mit wenigen Änderungen deutlich an. Das ist einerseits als internes Zeichen zu sehen, dass die Oberen auf die Basis hören. Vor allem aber ist es ein Argument in den Verhandlungen. Im Sinne von: Wenn ihr nicht auf den Willen unserer Mitglieder eingeht, können wir niemals zustimmen. Diesen versprach Chefökonom Lampart zum Schluss: «Wir geben volles Rohr in diesen Verhandlungen. Es gibt Potenzial, etwas rauszuholen.»