Abfahrt der Männer in Beaver CreekEin Schweizer Doppelsieg – doch ein Teamkollege stürzt schwer
Mit 32 Jahren gewinnt Justin Murisier erstmals im Weltcup, er triumphiert vor seinem Freund Marco Odermatt. Arnaud Boisset wird mit dem Rettungsschlitten abtransportiert.
Justin Murisier, Abfahrtssieger. Abfahrtssieger!
Man muss es wiederholen, um zu glauben, was sich am Freitag in Beaver Creek ereignet hat. Im Januar wird der Walliser 33, und wohl mindestens so viele Nackenschläge hat er einstecken müssen in seiner Karriere. «Andere hätten längst aufgegeben», sagt Marco Odermatt, der seinem Copain noch am nächsten kommt und mit zwei Zehnteln Rückstand Zweiter wird. «Er hat unglaublich viel durchgemacht. Dass er jetzt erstmals gewonnen hat, ist megaschön.»
Murisiers Verletzungsgeschichte füllt ganze Krankenakten. Alle Blessuren aufzulisten, würde den Rahmen sprengen, daher «nur» so viel: Der Rücken machte ihm jahrelang Probleme, 2022 war eine Operation unumgänglich. Vor allem aber ging das Kreuzband dreimal kaputt, er hatte einen Knorpelschaden, eine Meniskusverletzung, Schulteroperationen. Immer wieder fragte er sich, ob es Sinn macht weiterzukämpfen, noch heute hat er hin und wieder Schmerzen, wenn er aus dem Auto steigt oder vom Tisch aufsteht.
Das volle Trainingsprogramm vermag Murisier selten durchzuziehen, das Knie ist eine Dauerbaustelle. Im Sommercamp in Chile konnte er kaum einen Lauf beschwerdefrei absolvieren. Dank Spritzen ging es zuletzt aufwärts.
Insofern ist sein Coup auf der technisch ungemein anspruchsvollen Birds of Prey nicht hoch genug einzuschätzen. Erst viermal hat er sich zuvor in einer Abfahrt unter den Top 10 klassiert, überhaupt ist er erst einmal auf dem Podest gestanden, 2020 als Dritter des Riesenslaloms von Alta Badia.
Er glaubte, das Skifahren verlernt zu haben
Ein Spezialist für die technischen Disziplinen, das war Murisier einmal. Längst gilt sein Fokus den Speedrennen, gezwungenermassen hat er den Slalom schon vor Jahren links liegen gelassen. Manch einer habe früher die Augen verdreht, sagte Murisier einmal, «gewisse Experten trauten mir den Umstieg auf die Abfahrt nicht mehr zu». Nun kassiert er den grossen Lohn, damit sind nicht die 47’000 Franken Preisgeld gemeint, sondern vielmehr die Bestätigung, es doch noch nach ganz oben geschafft zu haben. Dorthin, wo er viel früher hätte sein können. Ja gemessen an seinen Fähigkeiten hätte sein müssen.
Nach dem Sieg kämpft Murisier mit den Emotionen, seine Augen sind gerötet. Eine perfekte Fahrt habe er gezeigt, sagt er, und schiebt etwas ungläubig nach: «Noch letzte Woche in den Trainings in Copper Mountain dachte ich, das Skifahren verlernt zu haben. Ich war unglaublich langsam. Es ist unfassbar, hat es nun so gut funktioniert.»
Ganz ohne Probleme aber ging es auch in dieser Woche nicht, es hätte auch kaum zu Murisier gepasst. Im ersten Training kugelte er sich die Schulter aus und renkte sie sogleich wieder ein. Freude an seinem Erfolg hat gewiss auch sein Cousin William Besse, der zu seinem Betreuerstab gehört. Der mittlerweile 56-Jährige siegte vor dreissig Jahren übrigens fast am gleichen Ort, im ein paar Meilen entfernten Vail.
Odermatt ist zunächst genervt
Murisier und Odermatt sorgen für den dritten Schweizer Abfahrtsdoppelsieg in Beaver Creek; 2009 reüssierte Carlo Janka vor Didier Cuche, neun Jahre später triumphierte Beat Feuz vor Mauro Caviezel.
Odermatt, die Nummer 1 der Abfahrtsweltrangliste, wirkt unmittelbar nach seiner Fahrt etwas angefressen. «Es war nicht das, was ich zeigen wollte – schon im oberen Teil machte ich zwei kleine Fehler. Darum nervte ich mich. Aber als ich sah, dass Justin vorn liegt, habe ich sofort mein Lächeln wiedergefunden. Wir sind ja quasi beste Freunde.»
Die Gewissheit, sehr schnell zu sein, hat der dreifache Gesamtweltcupsieger dennoch erhalten, er bleibt knapp vor dem überraschend starken Slowenen Miha Hrobat, der Dritter wird. Aus Schweizer Sicht vermag auch Marco Kohler zu überzeugen, der bei seinem Comeback nach schwerer Knieverletzung 15. wird – unmittelbar hinter seinen zeitgleichen Teamkollegen Alexis Monney und Stefan Rogentin.
Getrübt wird die Freude bei Swiss-Ski durch den Unfall des Wallisers Arnaud Boisset, der kurz vor dem Ziel schwer stürzt, mit dem Kopf heftig auf der Piste aufschlägt und regungslos liegen bleibt. Er wird mit dem Rettungsschlitten abtransportiert und ins Spital gebracht. Als das Rennen vorbei ist, kommt eine Entwarnung: Boisset ist bei Bewusstsein. Er hat eine Gehirnerschütterung sowie Prellungen im Gesicht und Schulterbereich erlitten. Der 26-Jährige wird in den nächsten Tagen zurück in die Schweiz reisen. Wie lange er ausfallen wird, ist ungewiss.
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Justin Murisier im Interview
Der Walliser sagt gegenüber SRF: «Es ist gerade schwierig, meine Emotionen zu kontrollieren. Ich hatte eine super Fahrt, die tiefe Nummer 3 war sicher ein Vorteil. Ich bin sehr glücklich. Noch vor einer Woche im Training in Copper Mountain dachte ich, ich könne nicht mehr Skifahren, so langsam war ich.»
Schweizer Jubel
Justin Murisier schüttelt in der Leaderbox ungläubig den Kopf. Nach Kriechmayrs Fahrt wird er von seinem guten Freund Marco Odermatt umarmt. Die Topfavoriten sind alle im Ziel, Murisier könnte heute tatsächlich sein erstes Weltcuprennen gewinnen. In der Abfahrt stand er noch nie auf dem Podest.
Startnummer 15 – Vincent Kriechmayr
Man glaubt es kaum: Kriechmayr holte letzten Winter den einzigen Podestplatz fürs österreichische Abfahrtsteam. Aber auch der Trainingsschnellste vom Donnerstag kann Murisier nicht gefährden! Es reicht für Rang 4, mit 69 Hundertsteln Rückstand.
Startnummer 14 – Mattia Casse
Er bleibt ein Trainingsweltmeister. Mattia Casse tut sich seit Jahren schwer, seine Fähigkeiten in die Rennen umzusetzen. Letzte Saison reichte es immerhin für zwei Podestplätze, nun muss sich der Italiener mit Rang 12 zufrieden geben. Murisier liegt nach wie vor voraus, reicht das gar für den Sieg? Schneller wird die Strecke gewiss nicht…
Startnummer 13 – Dominik Paris
35 ist der Italiener – und noch immer verfolgt er dieses grosse Ziel. Paris möchte nur zu gerne den Abfahrtsweltcup gewinnen, mehrmals scheiterte im Duell mit Beat Feuz, dem heutigen SRF-Experten. Beaver Creek ist aber nicht die Lieblingsabfahrt des Routiniers. Und so gibt es heute auch nicht allzu viele Punkte. Paris wird nur Zehnter.
Startnummer 12 – Cameron Alexander
Der Kanadier scheidet aus – es ist ein missglückter Saisonstart für Alexander, der 2022 überraschend in Kvitfjell triumphiert hatte.
Startnummer 11 – Florian Schieder
Wir staunen weiter, denn: Abgesehen von Odermatt ist zuletzt nicht ansatzweise einer an Murisiers Zeit herangekommen. Auch Schieder, der immerhin Zweiter in Kitzbühel war, wird nur Zehnter und Vorletzter.
Startnummer 10 – Nils Allegre
Zehn Fahrer sind im Ziel, und Justin Murisier führt nach wie vor. Auch Allegre büsst fast eine Sekunde ein und wird Sechster. Die Kommentatoren des österreichischen Fernsehens legen sich schon fest: Für Murisier wird das mindestens für einen Podestplatz reichen.
Startnummer 9 – Ryan Cochran-Siegle
Der Amerikaner kann beim Heimauftritt nicht überzeugen – nach einem Beinahe-Verschneider kurz vor dem Ziel reicht es nur für Zwischenrang 7.
Startnummer 8 – Marco Odermatt
Im Gleitabschnitt verliert der Schweizer Skistar fast vier Zehntel auf Copain Murisier. Danach aber dreht Odermatt auf – aber es reicht nicht für die Bestzeit. Zwei Zehntel liegt er zurück, die Fahrt war nicht ganz optimal. Murisier bleibt auf dem Leaderstuhl und kann es wohl kaum fassen.
Startnummer 7 – Bryce Bennett
Auch der Zweimeter-Mann aus den USA kann nicht mit Murisier mithalten. Mit 88 Hundertsteln Rückstand wird er Dritter. Murisiers Fahrt gewinnt immer mehr an Bedeutung.
Startnummer 6 – Cyprien Sarrazin
Bühne frei für den französischen Draufgänger: Drei Abfahrten und den Super-G in Wengen entschied Sarrazin im letzten Winter für sich, er phasenweise der einzige, der Odermatt in den Speed-Disziplinen Paroli bieten konnte. Die Form ist weiterhin gut, mittlerweile beschäftigt Sarrazin gar einen «Energie-Trainer». Seine Fahrt ist aber weit weg von perfekt, er leistet sich einige Schmitzer und verliert über eine Sekunde auf Murisier. Das ist die erste grosse Überraschung.
Startnummer 5 – Alexis Monney
Die Nummer 5 ist unterwegs – und schon der dritte Schweizer. Monney ist zu wenig angriffig unterwegs, die konservative Fahrweise schlägt sich in einem grossen Rückstand nieder. Anderthalb Sekunden büsst er ein, das reicht nur für Rang 4.
Startnummer 4 – Blaise Giezendanner
Der Franzose kann nichts ausrichten, die «Birds of Prey» ist aber auch nicht seine Lieblingsstrecke. Zwischenrang 3 mit einer knappen Sekunde Rückstand.
Startnummer 3 – Justin Murisier
Justin Murisier kämpft mit Knieproblemen. Und im ersten Training kugelte er sich sogar die Schulter aus – sie wurde aber sogleich wieder eingerenkt. Auch der Romand ist oben klar schneller als Hrobat, er verteidigt den Vorsprung bis ins Ziel. 35 Hundertstel nimmt er dem Slowenen ab.
Startnummer 2 – Franjo von Allmen
Und schon folgt der erste Schweizer: Franjo von Allmen, der Aufsteiger der letzten Saison, hat sich von seiner Knieverletzung im Herbst erholt. Oben ist er klar schneller als Hrobat, danach aber zeigt er einen wilden und vor allem äusserst fehlerhaften Ritt. Beinahe wäre er ausgeschieden – der Rückstand von 1,87 Sekunden ist entsprechend gross.
Startnummer 1 – Miha Hrobat
Los geht’s: Und mit dem Slowenen Miha Hrobat ist gleich einer unterwegs, dem diese Strecke liegt. Im ersten Training stellte er Bestzeit auf, allerdings unterlief ihm ein Torfehler. Auch in der zweiten Übungseinheit vermochte er mit den Besten mitzuhalten. Nun aber verpasst Hrobat die Ideallinie mehrmals. Mit 1:40:39 stellt er die erste Richtzeit auf.
Die Bedingungen
Wetter gut, Piste gut, alles gut: Die Bedingungen auf der legendären «Birds of Prey» könnten heute besser nicht sein. In den letzten Tagen wurde die Strecke stark gewässert, ganz nach dem Geschmack von Marco Odermatt.
Die Schweizer
Gleich zehn Schweizer sind am Start, Swiss-Ski stellt die grösste Delegation. Und nicht nur Quantität ist vorhanden, sondern auch reichlich Qualität: Neben Odermatt überzeugten im Training auch die Berner Franjo von Allmen und Marco Kohler, auch die Form von Stefan Rogentin passt ganz gut. In den Top 30 starten zudem Justin Murisier, Alexis Monney und Arnaud Boisset. Danach folgen noch Josua Mettler, Lars Rösti und Livio Hiltbrand, der amtierende Junioren-Weltmeister.
Die Geschichte
Es dürfte heute einen neuen Sieger in Beaver Creek geben. Zwar ist Christof Innerhofer, der Gewinner von 2012, auch mit bald 40 noch am Start, ein Spitzenplatz ist vom Südtiroler aber nicht zu erwarten. In den letzten Jahren gewannen immer absolute Cracks: Zweimal der verletzte Aleksander Kilde, zweimal Beat Feuz, gar viermal Aksel Svindal. Odermatt übrigens wurde vor zwei Jahren Zweiter, im vergangenen Winter konnte das Rennen nicht stattfinden.
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