Leitartikel zur Pfadi als VorbildAb ins Bula, lieber Bundesrat!
Die Pfadfinderbewegung zeigt im Goms, was die Schweiz in ihrem Innersten zusammenhält: Respekt, Gemeinsinn und der Wille, Grosses zu schaffen. An Letzterem sollte sich auch der Bundesrat ein Vorbild nehmen.
Dieses Land ist einzigartig. Seine Bewohnerinnen und Bewohner leisten Herausragendes. Das geht einem spontan durch den Kopf, wenn man kurz vor der Eröffnung durch das Bundeslager der Schweizer Pfadfinderbewegung schlendert und beobachtet, wie 1500 erwachsene Pfaderinnen und Pfader auf dem stillgelegten Militärflugplatz in Ulrichen VS aus dem Nichts eine Stadt für 35’000 Leute gebaut haben.
Es ist ein Querschnitt der Gesellschaft, der im Goms in den letzten Tagen das Bula vorbereitet hat. Die Elektrikerin mit dem Jusstudenten, die Spenglerin mit dem Schreiner und die Logistikerin mit dem Arzt. St. Galler, Baslerinnen, Waadtländer, Tessinerinnen; Viva, Mungg, Perrin und Chegel: Alle arbeiten Hand in Hand – alle tragen das bei, was sie am besten beherrschen; jeder ergänzt jeden, und geht etwas schief, bügelt es der andere aus.
Kommuniziert wird direkt und ohne jeglichen Standes- oder Bildungsdünkel. Die Helfer haben nur ein Ziel: 30’000 Kindern und Jugendlichen in diesem Land vierzehn unvergessliche Tage zu schenken und damit etwas von dem zurückzugeben, was sie einst selbst erlebten und was für sie unvergessen bleibt.
Und so stehen da pünktlich zur heutigen Bula-Eröffnung ein Spital, Restaurants, kleine Supermärkte, ein Funkturm, eine Konzertbühne und etliches mehr. Eine Kleinstadt mitten in den Gommer Bergen neben einem Dorf. Für all das hat die Romandie eine treffende Begrifflichkeit. Das Bula ist Ausdruck des «génie helvétique».
Der helvetische Geist ist Pragmatismus, Sinn für das Wesentliche, Kreativität und Respekt.
Was macht ihn aus, diesen helvetischen Geist? Pragmatismus. Sinn für das Wesentliche. Kreativität. Respekt.
In Zeiten wie diesen ist das alles nicht selbstverständlich. Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft gespalten. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine trifft auch die Schweiz. Inflation und Energiekrise bedrängen den Wohlstand.
Und während die Schweizerinnen und Schweizer nach zwei Pandemiejahren wieder in Ferienflieger steigen, hinterlässt der Klimawandel immer deutlichere Spuren. Es herrscht akute Waldbrandgefahr. Seen, Flüsse, Bäche trocknen aus. In den Bergen drohen Tiere zu verdursten. Am Bula gibt es für die Pfader ein Feuerverbot. Ein Pfader ohne Schlangenbrot über einem lodernden Feuer, das ist, als müsste der Papst beim Segnen aufs Weihwasser verzichten. Gute Aussichten sind das nicht.
In Zeiten von Krisen und allgemeiner Verunsicherung schauen ein Land und seine Bürgerinnen und Bürger reflexartig nach oben, hinauf zum Bundesrat. Jeder fragt sich: Was tut die Regierung, um die drängenden Probleme zu bewältigen? Welche Lösungen zeigt sie auf? Wie kommt das Land durch und aus der Krise?
Die Antwort ist ernüchternd. Der Bundesrat scheint uninspiriert, ratlos, uneins und desorientiert. Es fehlt ihm an Pragmatismus, Kreativität und Grosszügigkeit. Jedes Regierungsmitglied ist auf sich selbst fokussiert und missgönnt dem anderen den Erfolg. Dazu passt: Passieren Fehler, werden sie nicht eingestanden und schon gar nicht aufgearbeitet. Ein besonders grelles Beispiel dafür lieferten die Verteidigungsministerin, der Finanz- und der Aussenminister, die sich gegenseitig bezichtigten, den anderen beim mehrere Milliarden Franken teuren Kampfjet-Kauf hintergangen zu haben.
Im Fall der Beziehungen der Schweiz zur EU sprach der Aussenminister einst vollmundig davon, den Reset-Knopf zu kennen. Heute ist die Schweiz weiter denn je von der EU entfernt, und im Bundesrat scheint niemand zu wissen, wie es in der Europapolitik weitergehen könnte.
In dieser Woche entlud sich schliesslich eine Diskussion, die der humanitären Tradition dieses Landes schlicht unwürdig war. Nur wenige Wochen nach der Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine wurde nun bekannt, dass sich die Schweiz weigert, ukrainische Kriegsverletzte aufzunehmen. Es brauchte massiven öffentlichen Druck und das Befremden ehemaliger Bundesräte, um die für den Entscheid verantwortlichen Bürokraten im Aussendepartement umzustimmen. Und auch in der Klimapolitik ist nicht wirklich ersichtlich, wie die Schweiz nach dem Scheitern des CO₂-Gesetzes ihre Klimaziele erreichen will.
In der aktuellen Lage könnten die sieben Bundesräte im Bundeslager ihre liebe Mühe haben, gemeinsam ein Zelt aufzustellen.
In dieser Gemengelage wäre es durchaus vorstellbar, dass die sieben Bundesräte ihre liebe Mühe hätten, im Bundeslager gemeinsam ein Zelt aufzustellen. Darin gemeinsam eine Nacht zu verbringen, wäre nochmals eine ganz andere Geschichte.
Und dennoch wäre eine Reise ans Bula jetzt genau das Richtige für das Gremium. Die Magistraten könnten im Goms den Blick nach links und rechts wenden und sähen, wie gut und pragmatisch die helvetische Zivilgesellschaft funktioniert. Dieses Land kann auf eine gut ausgebildete, zupackende, solidarische Zivilgesellschaft zählen, die Probleme gemeinsam angeht und bewältigt. Ab ins Bula, liebe Bundesräte! Im Bula zeigen Ihnen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, wie man gemeinsam Grosses schafft und erst noch Spass dabei hat.
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