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Corona im österreichischen Ischgl
1000 Infizierte wollen Sammelklage einreichen

Foto: Lois Hechenblaikner/«Ischgl»/Steidl Verlag 2020)
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Sein kurzer Moment des Ruhms am österreichischen Fernsehen Mitte März wurde für den Tiroler Landesrat für Gesundheit, Bernhard Tilg, zum Fiasko. Ein Dutzend Mal antwortete er in einem Interview auf die Fragen des Moderators, was denn da genau falsch gelaufen sei in Ischgl, da sei gar nichts falsch gelaufen. «Wir haben richtig agiert», sagte Tilg, oder auch: «Die Behörden haben alles richtig gemacht.»

Dabei war es ein gesundheitspolitisches und kommunikatives Desaster, das sich im März rund um den Skiort Ischgl vollzog. Es hatte wohl zur Folge, dass sich viele Hundert Gäste mit dem Coronavirus ansteckten; der Ort gilt bis heute als «Virenschleuder» und «europäischer Superspreader». Kanzler Sebastian Kurz will davon nichts wissen, er halte nichts von gegenseitigen Schuldzuweisungen, sagte er im Mai auf einer Pressekonferenz; schliesslich würde er auch «niemals von den Italienern eine Entschuldigung einfordern dafür, dass italienische Gäste in österreichische Skiorte das Virus eingeschleppt» hätten.

6000 Menschen aus 45 Staaten

Das aber fordert nun der österreichische Verbraucherschutzverein: eine Entschuldigung bei den Betroffenen. Und nicht nur das. Während seit Monaten die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten in Tirol ermittelt, verkündete nun der Verbraucherschutzverein diese Woche, dass man auch Musterklagen im Namen von vier Geschädigten eingereicht habe.

6000 Menschen aus 45 Staaten, die sich Mitte März zum Skiurlaub in Ischgl und Umgebung aufhielten und danach positiv getestet wurden, haben sich beim Verbraucherschutzverein gemeldet, 1000 davon hätten den Verein beauftragt, ihre Interessen zu vertreten. Die Konsumentenschützer bereiten derzeit eine Sammelklage vor, hoffen aber auf eine gütliche Einigung mit dem Staat und auf Schadenersatzzahlungen, wie sie etwa nach der Brandkatastrophe in Kaprun angeboten worden seien.

Die Tourismusindustrie habe «massiv Einfluss genommen auf behördliche Entscheidungen»: Konsumentenschützer Peter Kolba. 

Konsumentenschützer Peter Kolba wirft den Behörden vor, dass sie trotz zahlreicher bekannter Fälle von Covid-Infektionen die Gäste nicht gewarnt und geschützt hätten. Angesichts des drohenden Lockdown am 13. März sei dann das Abreisemanagement in «reinstes Chaos» versunken. Die Tourismusindustrie in Tirol habe offenbar «massiv Einfluss genommen auf behördliche Entscheidungen, um möglichst lange den Skibetrieb am Laufen zu halten». Kanzler Kurz, so ein weiterer Vorwurf, habe «fahrlässig» gehandelt, weil er am frühen Nachmittag die Quarantäne für das Paznaun-Tal angekündigt habe, diese aber erst am Abend in Kraft trat. Dadurch hätten Tausende Gäste völlig unkontrolliert die Region verlassen können.

Als höchst problematisch betrachten Ermittler, Konsumentenschützer und Betroffene die gesamte Handhabung der Krise. In der Nacht zum 5. März hatten isländische Behörden eine Warnung an das Gesundheitsministerium in Wien geschickt. Acht Touristen, die in Ischgl Ferien gemacht hätten, seien mit Corona nach Island zurückgekehrt. Auch ein Barmann im mittlerweile legendären Après-Ski-Lokal Kitzloch wurde positiv getestet.

10’000 Gäste aus dem Ausland machten sich auf den Heimweg. Dicht gedrängt im Bus, per Bahn, in Kolonnen mit dem Auto.

In Ischgl wurde allerdings verbreitet, das Virus sei nicht sonderlich ansteckend, Hotels und Bars blieben offen. Erst am 10. März wurden Konsequenzen gezogen, Bars machte man zu, die Lifte liefen weiter. Die Saison sollte gerettet werden. Am 13. März dann die Notbremse – die dazu führte, dass mehr als 10’000 Gäste aus dem Ausland sich auf den Heimweg machten. Dicht gedrängt im Bus, per Bahn, in Kolonnen mit dem Auto.

An den Klagen beteiligen sich auch die Hinterbliebenen eines Mannes , der wohl bei der Abreise im Bus infiziert wurde; er starb nach einem längeren Spitalaufenthalt. Ein anderer Kläger lag mit Lungenentzündung im Spital, zwei weitere Betroffene geben ebenfalls an, sie seien in Lebensgefahr gewesen.

Konsumentenschützer Kolba hofft auf eine Einigung mit der Republik Österreich. Niemandem sei mit jahrelangen Prozessen gedient. Kanzler Kurz hat derweil erklärt, es werde diesen Winter in den Skigebieten kein Après Ski geben: «Skivergnügen ja, aber ohne Après Ski.»