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Eine neue Generation Kernkraftwerke
Zweiter Frühling für die Atomkraft?

In Russland seit diesem Jahr in Betrieb: Das schwimmende Kraftwerk Akademik Lomonossow mit zwei Reaktoren von je 32 Megawatt.
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Auf den Atomkraftwerken ruhten in den Fünfzigerjahren die Hoffnungen auf eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle ohne Rauch und Schmutz. Es folgte ein Bauboom, und Ende 2019 waren weltweit 442 Reaktoren in Betrieb und 53 im Bau. Schwere Unfälle und das Problem der radioaktiven Abfälle haben das Image der Kernkraft beschädigt.

Die CO₂-Problematik, die laut manchen Berechnungen ohne den Einsatz auch von Atomstrom nicht zu bewältigen zu sein scheint, macht die Technik wieder aktuell. Insbesondere ist die Entwicklung kleiner Reaktoren in vollem Gang. Sie sollen die bekannten Betonburgen ersetzen, sicherer und wirtschaftlicher sein. Auf die Entwicklung kleiner, modularer Reaktoren (small modular reactors, SMR) setzt unter anderem die Regierung der USA. In seltener Einigkeit sind Republikaner und Demokraten dafür, dem Atomstrom einen neuen Start zu ermöglichen. Nach 48 Jahren, so schrieb «Forbes», habe sich die Demokratische Partei erstmals wieder positiv zur Nuklearenergie geäussert.

Russland hat mit kleinen modularen Kraftwerken schon Erfahrung. Dieses Jahr wurde im fernen sibirischen Osten das schwimmende Kraftwerk Akademik Lomonossow mit zwei Reaktoren von je 32 Megawatt in Betrieb genommen. Es soll das bereits seit 1974 laufende kleine Werk Bilibino mit seinen drei Reaktoren zu je 12 Megawatt ablösen.

Reaktoren von der Stange

An der Entwicklung von Kleinreaktoren arbeiten Dutzende von Firmen und Forschungsinstituten. Gemeinsam ist den Projekten, dass die Reaktoren nicht auf Baustellen, sondern serienmässig in der Fabrik hergestellt werden. Das, versichern die Ingenieure, ermögliche eine bessere Qualität, eine schnellere und billigere Produktion, einfachere Wartungsarbeiten und am Ende der Nutzung eine vereinfachte Demontage.

Die Reaktoren einer neuen Generation seien sicher und wartungsfreundlich, weil sie weniger kritische Teile, wie etwa Pumpen, enthalten. Die US-Firma Nuscale, die 2027 ein erstes Werk in Betrieb nehmen will, plant transportierbare Reaktormodule von je 60 Megawatt Leistung. Es könnten mehrere Module kombiniert werden, etwa um ein heutiges AKW von typischerweise 300 bis 1000 Megawatt abzulösen.

In England, wo der Turbinenhersteller Rolls-Royce ein Konsortium von Unternehmen anführt, soll 2029 ein erstes Klein-AKW in Betrieb gehen. Dessen zentrales Bauteil soll 16 Meter lang sein und einen Durchmesser von 4 Metern haben, womit es per Schwertransporter am Stück auf der Strasse zum Installationsplatz befördert werden könnte. Kühltürme seien nicht nötig, der Landbedarf betrage nur ein Zehntel einer heutigen Anlage. Rolls-Royce sieht bis 2035 einen Weltmarkt für kleine AKW von umgerechnet 480 Milliarden Franken.

Die kanadische Firma Ultra Safe Nuclear Corporation will bis 2026 ein Mini-AKW von ganzen 5 Megawatt Leistung bauen. Mit «Mikroreaktoren» könnte Kanada einen Beitrag zur CO₂-freien Stromversorgung auch in abgelegenen Regionen liefern, heisst es.

Noch kleiner ist die Leistung von Nuklearreaktoren, wie sie in der Raumfahrt verwendet werden. Hier fällt ins Gewicht, dass sie viele Jahre Strom liefern, auch wenn ein Satellit fern von der Sonne die Solarenergie nicht mehr nutzen kann. Beim Saturn etwa entspricht die Leistung des Sonnenlichts im Vergleich zur Erde nur einem Prozent. Ein nuklearthermischer Antrieb wird auch für die geplanten Marsflüge in Erwägung gezogen. Die Reisedauer würde damit halbiert, neue Startfenster wären möglich.

Viele Versprechen

Kernkraftwerke gelten wegen ihrer Ausmasse geradezu als Sinnbild der Grosstechnik. Es wurde aber immer wieder versucht, die Kernenergie auch in kleinerem Massstab zu nutzen. Propagiert wurde das zum Beispiel von Enrico Fermi. Mit dessen Reaktor begann am 2. Dezember 1942 um 15.25 Uhr in Chicago das Atomzeitalter.

Fermi war am Projekt Manhattan beteiligt, das der Entwicklung der Atombomben diente. Die friedliche Nutzung wurde aber bald ein Thema. Am 20. Dezember 1951 lieferte ein Versuchsreaktor den Strom für vier 200-Watt-Lampen. Fermi sah die Kernkraft überall im Einsatz, auch mobil. 1954 lief die Nautilus, das erste Atom-U-Boot der Welt, vom Stapel, 1958 machte sie Schlagzeilen, als sie unter dem Eis die Arktis durchquerte. 1959 kam die Svannah, das erste atombetriebene Handelsschiff, 1968 die deutsche Otto Hahn, 1969 die japanische Mutsu.

Erfolgreich waren am Ende nur die russischen Atomeisbrecher. Die Prognose von 1971, dass im Jahr 2000 rund 300 nuklear angetriebene Containerfrachter unterwegs sein würden, erfüllte sich nicht. Viele Häfen und Kanäle blieben den Atomschiffen verboten. Als wenig praktikabel erwies sich der Atomantrieb für Flugzeuge, den Enrico Fermi vorschlug. Von 1955 bis 1957 unternahm ein umgebauter B-36-Bomber der US-Luftwaffe Testflüge, aber lediglich um das Verhalten eines Reaktors an Bord zu testen.

Dann wurde das Programm sistiert, die Bevölkerung wollte nichts wissen von fliegenden Atomreaktoren über den eigenen Köpfen. Im Skizzenstadium geblieben sind Ideen für eine Lokomotive mit Reaktor. Professor Lyle B. Borst entwarf mit Studenten an der Universität von Utah die riesige Lokomotive X-12 und meldete in den Fünfzigerjahren Patente dafür an. Mit 14 Kilogramm Brennstoff sollte die Lokomotive ein Jahr betrieben werden können, ohne nachzutanken. Zu schwer, zu teuer, zu riskant – die Neuheit fand keinen Anklang. Der damalige Chef der französischen Bahn schloss: Atomtechnik ist gut, aber nur für die Kraftwerke, also werde man lieber die Elektrifizierung des Bahnnetzes vorantreiben.