Interview mit ExekutivdirektorZur Rettung der Winterspiele bringt das IOK eine neue Charmeoffensive in Gang
Wegen des Klimawandels will das Internationale Olympische Komitee (IOK) ab 2030 seine Winterspiele umkrempeln. Dabei denkt IOK-Exekutivdirektor Christoph Dubi auch an die Schweiz als Austragungsort.
Swiss Olympic prüft eine Kandidatur zur Austragung Olympischer und Paralympischer Winterspiele in der Schweiz und wird mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOK) in Lausanne ab sofort einen permanenten Austausch pflegen. Das haben der Sportverband und sein Präsident Jürg Stahl am Donnerstag bekannt gegeben und folgen damit einem Aufruf des IOK.
Herr Dubi, das IOK hat den Wunsch geäussert, dass sich Swiss Olympic mit einer Kandidatur für die Olympischen Winterspiele im Jahr 2030 befasst. Was ist da passiert?
Einen expliziten Wunsch haben wir nicht geäussert.
Sondern?
Das Exekutivkomitee des IOK hat sich im Dezember darauf geeinigt, über drei sehr wichtige strategische Konzepte nachzudenken. Beim ersten Konzept geht es darum, dass Regionen Spiele ausrichten, die Winterspiele bereits einmal veranstalteten. Zweitens geht es darum, dass die Winterspiele für die Jahre 2030 und 2034 möglicherweise gleichzeitig vergeben werden können, wie dies bei der Vergabe der Sommerspiele an Paris und Los Angeles der Fall war. Drittens verlangt das Komitee, sich über die Winterspiele grundsätzliche Gedanken zu machen, vor allem bezüglich der klimatischen Bedingungen.
Konkret?
Wir sollen dort Winterspiele ausrichten, wo dies auch in Zukunft noch möglich sein wird. Auf diesen Elementen aufbauend, suchen wir Partner, die über die nötige Infrastruktur und Fähigkeiten verfügen. Wir wollen nicht komplett bei null beginnen, wie dies im Fall von Sotschi, Peking oder Pyeongchang der Fall war.
Und da kam dann die Schweiz ins Spiel.
Die Kombination dieser neuen Herangehensweise hat dazu geführt, dass die Anzahl Interessierter an einem kontinuierlichen Dialog mit dem IOK über die Ausrichtung von Winterspielen sehr rasch zugenommen hat. Unter den Interessierten ist auch die Schweiz. Das ist eine gute Sache für uns.
War die Schweiz Teil der Diskussionen im IOK-Exekutivkomitee?
Die Schweiz gehört zu jenen Partnern, mit denen wir seit einigen Monaten diskutieren, auch weil sie sich für die Spiele 2026 interessierte. Ganz allgemein kennen wir die Regionen, die potenziell Winterspiele veranstalten können, und pflegen mit Wintersportnationen einen ständigen Dialog.
«Es gibt nur ein relativ kleines Delta zwischen dem Weltcup, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen.»
Ist die Schweiz für das IOK nicht vor allem deshalb interessant, weil sie mit der Biathlon-WM 2025 und der Ski-Alpin-WM 2027 bereits zwei Grossanlässe veranstaltet, also optimal vorbereitet wäre?
Heute gibt es eine Vielzahl von Ländern wie Italien, Deutschland, Schweden, die Schweiz, die USA, Kanada, Japan und weitere Länder, die regelmässig Weltcupwettkämpfe oder Weltmeisterschaften in den diversen Wintersportdisziplinen veranstalten. Bei all diesen Regionen ist es interessant, auf bereits bestehende Infrastrukturen zurückzugreifen. Das beste Beispiel sind die Winterspiele in Mailand/Cortina d’Ampezzo 2026.
Inwiefern?
Im Februar haben wir in dieser Region schon drei wichtige Wettkämpfe, und dann finden die Olympischen Spiele statt. Es gibt nur ein relativ kleines Delta zwischen dem Weltcup, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen: Bei Olympia ist die Fernsehübertragung ein wenig ausgeklügelter, und es braucht mehr Technologie und Sicherheit. Aber alles baut auf bestehenden Organisationsstrukturen auf. Das ist in der Schweiz auch so. Sie haben zwei Grossanlässe aufgezählt. 2026 findet in der Schweiz auch die Hockey-WM statt.
«Das zentrale Element ist für das IOK die Nachhaltigkeit. Das ist absolut klar, und diese Botschaft verbreiten wir systematisch.»
Sie betonen, das IOK kenne die Wintersportnationen, die für Olympische Spiele infrage kämen. Doch letzthin wurde bekannt, Saudiarabien befasse sich damit, Winterspiele in der Wüste durchzuführen.
Wir sprechen hier von den Asiatischen Winterspielen, in deren Ausrichtung das IOK nicht involviert ist und mit deren Vergabe das IOK nichts zu tun hat. Das zentrale Element ist für das IOK die Nachhaltigkeit. Das ist absolut klar, und diese Botschaft verbreiten wir systematisch. In Peking war das System zur Produktion von Eis und Schnee extrem weit entwickelt und viel effizienter als das, was wir hier in Europa haben. Das ist ein Erbe von Peking. Wissenschaftler signalisieren uns ganz klar, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, überall dort Winterspiele durchzuführen, wo bereits einmal Spiele stattfanden. In Destinationen wie Peking oder Pyeongchang gibt es hingegen zwar wenig Niederschlag, aber es ist dauerhaft extrem kalt und darum effizient, um Schnee und Eis herzustellen. Da lohnt es sich, zu investieren.
Sie sprechen nun über Nachhaltigkeit, aber gerade in demokratischen Staaten wie der Schweiz stört man sich daran, dass das IOK Spiele öfters an autokratisch regierte Staaten vergeben hat.
Was den Respekt der Menschenrechte und Arbeiterrechte anbelangt, basiert die Wahl der Partner auf klaren Kriterien: den Einschätzungen der UNO-Institutionen. Wir haben uns zur Einhaltung der UNO-Richtlinien für Wirtschaft und Menschenrechten bekannt. Darum können wir jede Wahl mit gutem Gewissen vertreten. Im Fall von Peking waren die Bedingungen bezüglich der Meinungsäusserungsfreiheit, der Medienrechte und der Arbeiterrechte extrem strikt. Das alles ist von vornherein mit Veranstaltern geregelt. Ein Zurück gibt es nicht. Man hat uns gerade für Peking vorgeworfen, die Athleten hätten ihre Meinung nicht frei äussern können. Das weise ich zurück. Die einen haben es gemacht, andere nicht.
Schweizer Kandidaturen scheiterten in der Regel immer daran, dass die öffentliche Hand Defizite tragen muss.
Defizite gab es seit mehreren Austragungen nicht mehr. Das IOK finanziert die Winterspiele in Mailand/Cortina mit 925 Millionen Dollar, für die kommenden Sommerspiele in Paris sind es sogar 1,7 Milliarden Franken. Mit dem lokalen Sponsoring und dem Ticketverkauf sind die Budgets der letzten Spiele im Sommer und Winter immer ausgeglichen gewesen. Hier spreche ich von der Organisation der Wettkämpfe und nicht den Kapitalinvestitionen. Wenn ein Austragungsort ein neues Stadion und neue Strassen bauen will, sieht es natürlich anders aus.
Wie sieht es mit den Defizitgarantien aus?
Die Regel ist ganz klar: Das IOK beteiligt sich substanziell an der Finanzierung der Spiele, aber wir organisieren sie nicht. Dafür gibt es einen Vertrag, der die Regeln klar definiert. Die Organisation ist Sache der Gastgeberstadt oder der Gastgeberregion. Sie entscheiden, wofür sie wie viel Geld ausgeben wollen. Es wäre ungerecht, wenn nachher das IOK ein Defizit ausgleichen müsste. Wir treffen ja auch die Entscheide nicht. Gerade bei der Kandidatur für Sion 2026 wurde ein grosser Fehler gemacht, weil es immer um die Kosten und nicht um die gesamte Wertschöpfung ging. Die Spiele in Mailand/Cortina haben ein operatives Budget von 1,5 Milliarden Euro. Dieses Geld fliesst in die Region. Das generiert für den Staat erstens Steuereinnahmen. Zweitens wird die gesamte Wertschöpfung gemäss einer unabhängigen Studie 3,2 Milliarden Franken betragen. Das ist wirtschaftlich extrem interessant für einen Austragungsort.
Sie sind gebürtiger Lausanner, Herr Dubi. Wenn Sie an Olympische Spiele in der Schweiz denken, was könnten Sie sie sich vorstellen, Spiele in Sitten, in St. Moritz oder gleich in der ganzen Schweiz?
Ich spreche hier in meiner Rolle als IOK-Mitarbeiter, nicht in meiner Rolle als Lausanner und leidenschaftlicher Hockeyfan. Ich muss alle gleich behandeln, egal, ob sie oder er Schwede, Japaner oder Amerikaner ist.
Anders gefragt, könnten Sie sich schweizweite Olympische Spiele vorstellen?
Für die künftigen Spiele, egal ob im Jahr 2030 oder 2034, fassen wir regionale Dispositive ins Auge. Nehmen wir den Raum zwischen Mailand und Cortina als Beispiel. Die Fahrzeit zwischen den Orten beträgt vier bis fünf Stunden. Die Fahrt von Mailand nach Livigno, direkt an der Schweizer Grenze, wo ebenfalls Wettkämpfe stattfinden, dauert drei bis vier Stunden. Sie sehen: Das Gebiet ist extrem weitläufig, mit Val di Fiemme im Zentrum und Verona für die Schlusszeremonie. Das sind intelligente Spiele, weil sie auf Bestehendem aufbauen. Wir wollen Olympische Spiele, die für die lokale Bevölkerung auf lange Sicht eine Bereicherung sind. Nur das sind intelligente, nachhaltige Spiele.
Für die Spiele 2030 ist bislang einzig das Interesse Schwedens bekannt und nun auch der Schweiz.
Schweden hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Mit Sapporo sind wir in einem sogenannten kontinuierlichen Dialog, auch mit British Columbia, auch wenn der dortige Kontext etwas kompliziert ist. Salt Lake City interessiert sich mit einer Präferenz für die Spiele im Jahr 2034. Es gibt noch andere Projekte. Aber diese sind aktuell noch vertraulich.
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