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Meinung

Pro und Kontra zum Stadtkanton
Soll sich die Stadt Zürich vom Kanton abspalten?

Zwei Maenner in Sportmontour laufen bei Sonnenuntergang am Montag, 21. September 2015, entlang der "Oberen Waidstrasse" in Zuerich. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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Ja. Stadt und Land sind zwei unterschliedliche Planeten.

Fabian Renz

Viele Grenzen sind sinnlos, dem historischen Zufall geschuldet. Für Kantonsgrenzen gilt dies in besonderem Mass. Obwalden und Nidwalden zum Beispiel sind zwei getrennte Halbkantone, obwohl sie sich weder landschaftlich noch politisch-strukturell nennenswert unterscheiden.

Hingegen wird die Stadt Zürich in eine quasi widernatürliche Gemeinschaft mit ausgedehnten ruralen Landstrichen gezwungen. Würde man die Schweiz am Reissbrett neu zeichnen: Niemand käme auf die Idee, die steilen Täler an der hinteren Töss oder die Weinberge bei Thalheim an der Thur ein und demselben Gebilde zuzuteilen wie die Metropole an der Limmat.

Vielmehr haben es die Wahlen vom 22. Oktober eindrücklich bestätigt: Stadt und Land im Kanton Zürich sind zwei Planeten, die in unterschiedliche Richtungen driften. Die Städte Zürich und Winterthur wählten linker denn je, während das übrige Kantonsgebiet fast monokulturell auf die SVP vertraut.

Auch das ländliche Zürich würde an Handlungsfreiheit gewinnen, wäre es die rote Hauptstadt los.

Die Vorstösse aus SP und SVP, die nach einer formellen Trennung rufen, liegen daher richtig. Die heutige Zürcher Kantonsregierung steht vor einer im Grunde unmöglichen Aufgabe: Sie muss die Interessen von Menschen aus komplett unterschiedlichen Lebenswelten miteinander in Einklang bringen. Dass ihr das nur unbefriedigend gelingt, zeigt der wachsende Frust der Stadtzürcherinnen und -zürcher. Ob Tempolimiten auf der Strasse oder gemeinnützige Wohnungen: Immer wieder werden progressive städtische Lösungen durch eine konservative Mehrheit des Restkantons übersteuert.

Umgekehrt würde auch das ländliche Zürich an Handlungsfreiheit gewinnen, wäre es die rote Hauptstadt erst einmal los. Nichts würde die Leute dort noch daran hindern, die Steuern zu senken oder den Flughafen auszubauen. 

Umso weniger verständlich ist die Haltung der Zürcher Stadtregierung. Sie lehnt einen städtischen Halbkanton unter anderem mit dem Argument ab, dass eine grössere Verwaltung nötig würde. Das ist Unsinn: Die Stadtverwaltung ist barock genug. Die Mittel umzuschichten, sie zielgerichteter einzusetzen, könnte vollauf genügen.

Und viele Sollbruchstellen sind bereits vorhanden. So hat die Stadt schon heute ein eigenes Polizeikorps. Umgekehrt erhielte sie eine permanente Vertretung im Ständerat – was auch das Malaise lindern würde, dass die Städte auf eidgenössischer Ebene derzeit unterrepräsentiert sind.

Wenn eine Kantonsgrenze irgendwo überhaupt noch Sinn ergibt, dann hier: zwischen Land und Stadt Zürich. Dagegen spricht im Grunde als einziges valables Argument nur der Schneeballeffekt: Blüht der Stadtkanton Zürich erst einmal richtig auf, wird als Nächstes wohl Winterthur für sich dasselbe fordern.

Nein. Die Zürcher Linke denkt zu kleingeistig.

Corsin Zander

Der Frust der Linken ist verständlich. Ob Tempo 30, Stimmrecht für Ausländerinnen und Ausländer oder in der Wohnbaupolitik: Will das linksgrüne Zürich vorwärtsmachen, bremst der mächtige Kanton aus. Die vermeintliche Lösung: Zürich wird zum Stadtkanton und erhält so mehr Kompetenzen und mehr Autonomie.

Doch simple Lösungen sind selten die besten. Ein Stadtkanton bringt praktische Probleme mit sich: Er müsste parallel zum Landkanton das Justiz- oder das Hochschulwesen regeln. Die ohnehin schon grosse Stadtverwaltung müsste deutlich ausgebaut werden. Er würde Teil des nationalen Finanzausgleichs, der die Zentrumslasten städtisch geprägter Kantone weniger berücksichtigt als der innerkantonale Finanzausgleich.

Doch das eigentliche Grundproblem ist, dass die politischen Grenzen nicht mit den Bedürfnissen der Bevölkerung übereinstimmen. Den Yogalehrer an der Langstrasse in Zürich und die Bäuerin in Fischenthal trennen nicht nur fast 45 Minuten mit dem Auto (oder 2 Stunden und 45 Minuten mit dem Velo), sondern auch 52,5 Wählerprozentpunkte der SVP. Deren Wähleranteil ist im Kreis 4 und 5 mit 7,3 Prozent am tiefsten und in Fischenthal mit 59,8 Prozent am höchsten. Die politischen Werte des Yogalehrers und der Bäuerin sind so unterschiedlich wie ihre Bedürfnisse.

Die Lebensrealität einer Zürcherin in Seebach hingegen ist jener in Opfikon sehr ähnlich. Da ergibt es wenig Sinn, eine kantonale Grenze zwischen ihnen zu ziehen. 

Grenzreformen dürfen nicht dazu führen, dass die Schweiz noch kleinteiliger wird.

Die Zürcher Linke denkt zu kleingeistig. Es ist richtig, dass über Grenzreformen nachgedacht wird, sie dürfen aber nicht dazu führen, dass die Schweiz noch kleinteiliger wird. Es braucht landesweit neue Grenzen. Es braucht Stadt-, Agglomerations- und Landkantone. Diese drei Kategorien sowie die Sprachregionen müssten gleichwertig auf nationaler Ebene vertreten sein. Statt einer Sezession, wie es die städtischen Linken vorschlagen, braucht es Fusionen grösserer Gebiete.

Leider sind solche grossen Würfe realitätsfremd. Deshalb muss die Stadt Zürich darauf hinarbeiten, sowohl auf eidgenössischer als auch auf kantonaler Ebene ihren Einfluss zu vergrössern. Diese Entwicklung findet bereits seit Jahren statt. 2000 wurde der Städteartikel in die Bundesverfassung aufgenommen. 2005 wurde die Stellung der Städte und Agglomerationen in der Kantonsverfassung ausgeweitet.

Das sind kleine Schritte, aber darauf müssen weitere kleine Schritte folgen. Diese Lösung ist alles andere als simpel. Aber sie ist möglich, nachhaltig und zielführend. Und bis das Ziel erreicht ist, muss es die Yogalehrerin an der Langstrasse aushalten, dass der Bauer in Fischenthal mit seiner Stimme den Gestaltungsraum der Stadt Zürich einschränkt.

Das frustriert, ist aber Teil der Demokratie.