Initiative in Zürich und BernSek A, B oder C? Ein Verein will die unterschiedlichen Schulstufen abschaffen
Die Einstufung in Leistungsniveaus erfolge zu früh, findet der Verein Schule ohne Selektion. Der Präsident der Zürcher Seklehrer hält den Vorstoss für undurchdacht.
![Barbara Streit-Stettler posiert vor dem Schulhaus Laubegg in Bern, um die Initiative Schule ohne Selektion am 6. Februar 2025 zu lancieren. Foto: Nicole Philipp.](https://cdn.unitycms.io/images/4HhvvRE44bM8j5jl3fYMjl.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=w5t3FaTSUz4)
- Ein Verein will die Selektion in der Volksschule abschaffen.
- Die Initiative zielt auf eine einheitliche Sekundarschule ohne Unterteilung in Sek A, B und C.
- Die Präsidentin des Vereins verweist auf das Tessiner Modell. Dort werden Schüler erst ab der achten Klasse differenziert unterrichtet.
Ab dem Februar stellt sich für die Sechstklässlerinnen und Sechstklässler, die nicht ins Gymnasium wollen, eine erste Laufbahn-Weiche: der Entscheid für Sekundarschule A oder B (und teilweise C). Obwohl Lehrpersonen, Bildungsfachleute und oft auch die Eltern betonen, dass beide Wege gleich wertvoll seien, wissen die meisten Kinder, wo sie hinwollen: in die Sek A. In die Sek B geht in der Regel nur, wer es nicht geschafft hat.
Das möchte der Verein Schule ohne Selektion (VSOS) ändern und hat deshalb am Freitag in den Kantonen Bern und Zürich eine entsprechende Initiative lanciert. Die Sekundarschule I, also die Oberstufe ab der siebten Klasse, solle wie die Primarschule ohne die heutige Gliederung in Sek A, B und teilweise C geführt werden.
Ist die Einteilung in Sek A oder B Zufall?
Ob ein Kind in die Sekundarschule A oder B eingeteilt werde (in Bern heisst Letztere noch Realschule), hänge nicht in erster Linie von seinen Fähigkeiten, sondern von einer Momentaufnahme ab, sagt die VSOS-Präsidentin und ehemalige Berner Grossrätin Barbara Streit-Stettler (EVP). Und diese Momentaufnahme werde von vielen Faktoren beeinflusst, etwa der Beziehung des Kindes zur urteilenden Lehrperson, seinem sozialen Umfeld oder seiner Gesundheit. Es gebe nur wenige Kinder, die eindeutig in die Sek A oder in die Sek B gehörten, sagt die ausgebildete Lehrerin. «Bei vielen Kindern ist es Zufall, wo sie landen.»
Deshalb sei es mit elf bis zwölf Jahren zu früh, schon eine Weiche für die Berufswahl zu stellen, sagt sie. Es sei besser, bis zum Ende der Schulzeit herauszufinden, welche Fähigkeit ein Kind habe, als ihm schon früh «einen Stempel aufzudrücken».
Die Initiative lässt offen, wie das Anliegen umgesetzt werden soll. Denn gemäss Streit will sie weder auf Noten oder andere Formen «kompetenzorientierter Beurteilung» noch auf eine Empfehlung am Ende der Schulzeit verzichten. Streit verweist auf das Schulmodell im Tessin.
Dort beginnt die vierjährige Oberstufe bereits ab der sechsten Klasse. Die Schüler und Schülerinnen werden aber erst ab der achten Klasse und nur in den Fächern Mathematik und Deutsch in unterschiedlichen Niveaus unterrichtet. Nebst einem gewissen Notendurchschnitt spielen bei dieser Einteilung die Einschätzung der Lehrpersonen sowie die Wünsche von Eltern und Jugendlichen ebenfalls eine Rolle.
«Nur einen Aspekt herausgegriffen»
Die Bildungsfachverbände äussern sich zurückhaltend positiv bis sehr skeptisch. Lena Fleisch, die Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV), sieht einen Trend, «die Selektion infrage zu stellen». Der ZLV sei aber noch nicht so weit, um sich in dieser Frage zu positionieren. Auch der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter des Kantons Zürich braucht laut Präsidentin Sarah Knüsel noch Zeit, ehe die Mitglieder über die Initiative entscheiden. Es gebe im Verband klare Befürworter. Zumal Studienresultate darauf hindeuteten, dass die Selektion zu früh erfolge. Es gebe aber ebenso erklärte Gegner, sagt Knüsel.
Bereits ein Urteil gefällt hat der Verband der bernischen Schulleitungen. Er unterstützt die Initiative nicht, obwohl Co-Präsident Niels Lang das Anliegen befürwortet. «Auch wir möchten längerfristig von der Selektion wegkommen», sagt er. Doch habe die Schule gerade andere «Baustellen»: Stichwort Lehrpersonenmangel, grosse Klassen und Integration. Nein zur Initiative sagt auch der Berufsverband Bildung Bern.
Ebenfalls skeptisch ist Dani Kachel, der Präsident von Sek ZH, der Vereinigung der Sekundarlehrkräfte des Kantons Zürich. Der Initiative des Vereins Volksschule ohne Selektion räumt er wenig Chancen ein – sowohl bei den Seklehrern im Kanton als auch beim Volk. «Mit der Abschaffung der Selektion wird lediglich ein einzelner Aspekt herausgegriffen. Das Vorher und das Nachher werden ausser Acht gelassen.» Die Zürcher Seklehrer seien offen für Verbesserungen, sagt Kachel. «Wer eine grosse Reform will, muss aber auch Schul- und Berufsverbände einbeziehen.»
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