Glücksgefühle bei den ZSC Lions«Und dann heulte ich wie ein Schlosshund»
Dieser Zürcher Titel schrieb viele spezielle Geschichten. Von der Lungenentzündung des Meistergoalies, dem Masterplan des Captains, späteren Premieren und perfekten Abschieden.
Mitternacht ist vorbei, als Willy Riedi mit dem Meisterpokal aus der Kabine kommt und fragt: «Wo müssen wir hin?» Der bärtige Hüne, eine Zigarre im Mund, hält das gelbe Kleinod fest umklammert. Die Party in der Garderobe mit Familie und Freunden muss kurz unterbrochen werden, denn in der Arena warten noch Tausende, um ihre Helden zu feiern. Also machen sich die Zürcher Meisterspieler auf den Weg, einer nach dem anderen. Als letzter Spieler soll Goalie Simon Hrubec die Treppe hochsteigen, so will es die Dramaturgie.
Der Tscheche ist völlig aufgekratzt. Er steht im Gang und küsst den Pokal unaufhörlich und zärtlich wie ein Baby. Dann kommt sein grosser Auftritt. Er steigt die Stufen hoch, ihm brandet tosender Applaus entgegen. Er scheint gar nicht zu merken, dass ihm noch jemand ein Bier über den Kopf leert. Sonst immer so ruhig und beherrscht, lässt Hrubec nun alles los. Er tanzt mit dem Pokal wild herum. Es sind Szenen, wie man sie sonst nicht sieht. Das passiert, wenn die ganze Anspannung abfällt.
Hätte Hrubec zuvor einmal daneben gegriffen, es wäre wohl nicht zu diesen Feierlichkeiten gekommen. Auf ihm lastete ein riesiger Druck. In Spiel 6 war er noch ausgewechselt worden. Vor dem Playoff-Start war er zwei Wochen mit einer Lungenentzündung im Bett gelegen. Alle bangten, ob er rechtzeitig wieder bereit sei. Dann führte er die ZSC Lions zum Meistertitel, als wäre nichts gewesen. Es ist eine dieser vielen Geschichten, die dieser bemerkenswerte Triumph schrieb.
Eine andere: Als Captain Patrick Geering den Pokal erhält, stemmt er ihn nicht hoch, sondern reicht ihn an Denis Hollenstein weiter. Der 34-Jährige hatte sich lange gedulden müssen, bis er endlich Meister wurde. «Als Denis 2018 bei uns unterschrieb, nahm ich mir fest vor, dass ich ihm den Pokal als Erstem geben würde», verrät Geering. «Ich sagte das niemandem im Team, ich sagte es nicht einmal meiner Frau. Sechs Jahre musste ich nun darauf warten, bis ich ihm den Pokal geben konnte.»
Solche Gesten zeigen, wieso Geering ein hervorragender Captain ist. Er denkt zuerst an die anderen. «Dass er mir den Pokal überlassen hat, zeigt, wie viel Charakter in dieser Mannschaft steckt», sagt Hollenstein. «Nach der Schlusssirene schossen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich bin einfach erleichtert. Eine lange Karriere liegt hinter mir. Zweimal reichte es im Final nicht. Umso mehr werde ich es nun geniessen. Fige ist viermal Meister geworden, nun bin ich auch in diesem Club.»
Vater Felix Hollenstein hatte den EHC Kloten von 1993 bis 1996 zu vier Meistertiteln in Serie geführt. Wegen Denis fieberte er nun in diesem Playoff mit dem ZSC mit, dem früheren Rivalen.
Auch Yannick Weber feierte seinen ersten Meistertitel als Profispieler, konnte zuletzt aber nicht mehr auf dem Eis mittun. Der Berner, der ein exzellentes Playoff spielte, fiel im fünften Finalspiel mit einem Muskelfaserriss aus. Er war so nervös, dass er sich die Finalissima in der Swiss-Life-Arena nicht anschauen konnte. «Ich zog mich in die Kabine zurück, wo kein Fernseher war, und checkte bloss ab und zu das Resultat. Gelegentlich kamen Jungs vorbei und berichteten mir, was passiert ist. Ich vertraute darauf, dass die Mannschaft den Sieg holen würde.»
Für Coach Marc Crawford ist es der zweite Meistertitel mit den ZSC Lions nach 2014. «Es fühlt sich anders an als damals», sagte der 63-Jährige. «Ich bin reifer geworden.» Mit einem Lächeln fügte er an: «Aber das ist ja auch kein Wunder, ich bin schliesslich so viel älter als damals.»
Dieses Team habe es ihm erlaubt, sich viel mehr als je zuvor um die Menschen hinter den Spielern zu sorgen. «Dieses Team ermöglichte es mir, mich zu entfalten und hoffentlich ein besserer Mensch zu werden. Ich bin so glücklich über dieses Ende.»
Letztlich hätten nicht Coaching-Matchups entschieden, sondern die Charakterstärke seiner Spieler. «Ich freue mich besonders für jene, die erstmals gewonnen haben, wie Hollenstein, Andrighetto, Weber oder Malgin. Sie dürfen sich nun Champions nennen.» Und natürlich freue er sich für den jungen Rohrer, dem er bis zuletzt viel Verantwortung übertrug. «Als er den Pokal stemmte, waren die Fans besonders laut. Sie verstehen eben diesen Sport.»
Für Reto Schäppi und Phil Baltisberger, die zum EHC Kloten und zu den SCL Tigers wechseln, geht ein Kapitel zu Ende. Für Simon Bodenmann sogar die Karriere. «Ich hatte mir vorgenommen, nicht zu weinen», sagte er. «Doch als ich meine Familie sah, die extra noch ein Plakat für mich gemalt hatte, heulte ich wie ein Schlosshund. Mit dem Meistertitel in Spiel 7 aufhören zu können, ist das Nonplusultra. Ich hätte mir kein schöneres Ende vorstellen können.»
Es sei wunderbar, könne er nun diesen Meistertitel mit Bodenmann teilen, sagte Geering. «Er ist ein guter Freund. Jetzt haben wir endlich eine gemeinsame Erfahrung, über die wir noch in zehn Jahren miteinander reden können.»
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