Phänomen ChippendalesZieht! Euch! Aus!
Gier, Geld und Grössenwahn prägten die Geschichte der Strippertruppe. Zwei neue Serien und ein Podcast widmen sich diesem True-Crime-Stoff, in dem Zürich angeblich eine besondere Rolle spielte.
Er war ein unscheinbarer Typ, aber Somen «Steve» Banerjee lebte als indischer Immigrant in den USA den amerikanischen Traum. Unsicher mit Menschen, und doch ein gewiefter Unternehmer, setzte er jene männliche Burlesque-Show in die Welt, die heute weltweit als Synonym für «Striptease für Frauen» gilt: The Chippendales. Bloss verwandelte sich der Traum mit dem Ruhm seiner Stripper und seinem persönlichen Erfolg bald in einen Albtraum aus Paranoia und Gewalt.
Von der unglaublichen Geschichte des Unternehmers und seiner Chippendales handeln zwei neue Serien und ein Podcast. Letzterer beleuchtet unter dem Titel «Welcome to your fantasy» die kriminellen Machenschaften ihres Erfinders. Noch in Entwicklung ist die Serie mit dem Titel «Immigrant», die sich auch auf die Geschichte des Gründers konzentriert.
Gerade gestartet ist die Serie «The Curse of the Chippendales», die momentan auf Amazon-Prime läuft und in der zu erfahren ist: Ausgerechnet in Zürich kam es zum Showdown mit dem Chippendales-Gründer. In einer Februarnacht 1993 lockte das FBI Banerjee angeblich in ein Zürcher Hotel, um ihn dort zu überführen. Damit war nicht nur das Schicksal des Unternehmers, sondern letztlich auch das seiner Chippendales besiegelt.
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Wie alle guten True-Crime-Geschichten führt «The Curse of the Chippendales» nicht nur in menschliche Abgründe von Gier, Grössenwahn und Gewalt, sondern erzählt auch etwas über die Zeit, als sich dies alles ereignete. Aus der Rückschau fasziniert vor allem auch der kulturelle Impact, den die Chippendales auf ihre Zeit hatten. Vom belächelten Kuriosum wurden sie innert zehn Jahren zum globalen Ereignis.
Schuld daran waren die Frauen. In Scharen strömten sie in den Club und stopften unter ohrenbetäubendem Pfeifen und Gackern den gebräunten Recken Dollarnoten in den Tanga, liessen sich von ihnen begeistert umarmen und abknutschen, wie auf dem Archivmaterial aus jener Zeit zu sehen ist. «Take it off – zieht euch aus!», skandierten sie in Sprechchören, bis die Tänzer ihre Polizeiuniformen und Zorro-Kostüme ablegten, das kreisende Gemächt nur von einem Hauch Stoff am G-String bedeckt.
Zuerst war das ein Skandal, die Polizei stürmte den Laden wegen obszönen Verhaltens. Bis die entsprechende Erlaubnis eingeholt war, durften die Frauen die Stripper während der Show nicht mehr berühren. Und dann wurde es zur Goldgrube. Banerjee kutschierte mit immer neuen teuren Wagen herum und schickte sich an, zu expandieren. Zuerst nach New York, dann in die ganze Welt.
Nach dem Erfolg der tödliche Streit
Der Plan gelang. Banerjee engagierte den Choreografen und Produzenten Nick De Noia und beauftragte ihn, die Chippendales nach New York zu bringen. Anfangs lief alles perfekt, auch das weibliche New York kriegte nicht genug von den Strippern, diese wiederum liebten ihren Job, und Banerjee und De Noia verdienten Millionen. Doch bald gab es Ärger. Andere kopierten das Konzept, es tauchten konkurrierende männliche Strippertruppen auf. Und De Noia erwies sich als sehr ehrgeizig. Zusätzlich zu den Clubshows in New York, Los Angeles, Denver und Dallas schickte er zeitweise drei Tänzertruppen gleichzeitig auf Tour durch die USA und auch nach Europa. Immer öfter kam es zum Streit: um die Entwicklung des Unternehmens und der Show und um Geld. Am 7. April 1987 betrat ein Mann Nick De Noias New Yorker Büro und schoss ihm ins Gesicht.
Dieser Mord war auch der Grund, warum das FBI Banerjee im Februar 1993 nach Zürich lockte. De Noias Freunde hatten Banerjee von Anfang an verdächtigt, aber es gab keine Spuren, die ihn mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht hätten. Bis sich 1991 ein Mann beim FBI meldete. Er gab an, er sei beauftragt worden, ehemalige Chippendales-Tänzer mit Gift zu attackieren. Die Spur führte zu einem Mann namens Ray Colon, der den Auftrag von Banerjee erhalten hatte – und auch in das De-Noia-Attentat involviert war.
«Es fühlte sich an, als ob wir die Kontrolle hätten. Als wären diese Männer dazu da, um uns zu dienen.»
Dieser Colon soll am 9. Februar 1993, einem Dienstag, vom FBI nach Zürich gebracht worden sein. Hier wollte er seinen Auftraggeber Banerjee treffen, um diesen wie in einem Agentenfilm zu überführen. Die Amerikaner mieteten im Hotel City an der Löwenstrasse, nahe dem Bahnhof, drei Zimmer an, das mittlere wurde mithilfe der lokalen Behörden verwanzt, so heisst es im Film. Nun sollte Colon Banerjee ins Hotel locken und ihn dazu bringen, über die Morde zu sprechen. Auf dieser Grundlage sollte er dann angeklagt werden.
Seltsam ist nur, dass sich Stephan Knubel, der damalige und heutige Manager des Hotels, nicht an eine solche Aktion erinnern kann. Ob sich die Filmemacher im Hotel getäuscht haben? Offen bleibt auch, mit welcher Polizei das FBI in Zürich zusammenarbeitete. Der damalige Chef der Stadtpolizei, Robert Neukomm, erinnert sich nicht an eine solche Aktion. Die Kantonspolizei verweist auf die Bundespolizei, bei der man keine Kenntnis des Falls hat. Auch eine Archivsuche bleibt ergebnislos.
Die Mission des FBI war aber erfolgreich. Anfänglich lehnte der hochgradig paranoide und offenbar auch schwer kokainabhängige Banerjee ab, zu Colon ins Hotel zu kommen, dann aber liess er sich überreden. Spät in der Nacht begann er schliesslich, über die Morde zu sprechen, und das FBI hatte alles auf Band, was im Film zu hören ist. Ein halbes Jahr später wurde Banerjee verhaftet, im Herbst 1994 machte man ihm den Prozess. Kurz vor der Urteilsverkündung erhängte sich Banerjee an den Gitterstäben der Zelle. Damit war die Blütezeit der Chippendales vorbei. Das Unternehmen schrumpfte dramatisch, und andere Strippergruppen etablierten sich, auch wenn die Chippendales sich bis heute mit einer Show in Las Vegas behaupten – während der Pandemie hielten sie etwa ihr Publikum mit Fitnessvideos bei Laune.
Ob das ein würdiger Ersatz ist? Nach wie vor nämlich bleibt die Frage offen, welchen Nerv Banerjee mit seiner Erfindung damals getroffen hatte. Woher kam die plötzliche Lust an der Objektivierung des Mannes, die zuvor scheinbar nicht existent – oder zumindest nicht kommerzialisiert – war?
Darauf haben die befragten Zeitzeuginnen eine Antwort: «Es fühlte sich an, als ob wir die Kontrolle hätten. Als wären diese Männer dazu da, um uns zu dienen», so ein ehemaliges Playmate, das in den Achtzigerjahren Stammgast war bei den Chippendales. Auch Sexologin Caroline Fux sieht im klar definierten und geschützten Raum für weibliche Lust den springenden Punkt. «Das war ein Ort, an den man mit dem Ziel hingehen konnte: Heute Abend geht es um meine Sexualität.» Hier konnten Frauen mit ihren sexuellen Fantasien auf spielerische Art und Weise Spass haben, ohne Angst zu haben oder sich dafür schämen zu müssen. «Man fühlte sich frei, als ob wir in einer Fantasie leben würden», so eine andere Zeitzeugin.
Das war auch Ende der Siebzigerjahre noch eine ungewohnte Ausgangslage. Zwar datiert man die sogenannte sexuelle Revolution gern ums Jahr 1968, doch damals war das noch eher Konzept als real gelebte Praxis. Dazu brauchte es spezielle Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Akzeptanz. Die veränderte sich erst im Verlauf der Siebzigerjahre, so heisst es in der Serie: «In den Discos wurde nächtelang getanzt, es waren viele Drogen im Umlauf, es gab die Pille, und Aids war noch nicht entdeckt», so Banerjees Anwalt. Eine Zeitzeugin ergänzt: «Es war eine Zeit, sich wild zu fühlen, man war eingeladen, sich sexuell zu entdecken und auch auszudrücken.»
«Heute wird die Objektivierung des Körpers in der Sexualität grundsätzlich kritisch bewertet, dabei ist das eine wichtige sexuelle Kompetenz.»
Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass der Grosserfolg der Chippendales just in die Zeit fiel, als Feministinnen die Objektivierung des weiblichen Körpers anzuprangern begannen. Gleichzeitig entdeckten Amerikanerinnen im ganzen Land die Freuden solcher Objektivierung für sich. Und widerlegten dabei einige gängige Vorstellungen. Zum Beispiel, dass die weibliche Sexualität vor allem über Gefühle und weniger über visuelle Reize funktioniere.
«Solche Geschlechterklischees zeugen oft mehr von den gesellschaftlichen Erwartungen als von biologischen Tatsachen», meint Sexologin Fux dazu. Die «Take it off»-Sprechchöre zeigten dagegen, dass auch Frauen sich von rein körperlichen Reizen hinreissen lassen. «Heute wird die Objektivierung des Körpers in der Sexualität grundsätzlich kritisch bewertet, dabei ist das eine wichtige sexuelle Kompetenz, wenn man sie im richtigen Moment und Mass anwendet.»
Für viele Frauen war diese Erfahrung sogar eine Offenbarung – eine, die sie immer wieder zu den Chippendales pilgern liessen. Entscheidend bleibt dabei die Auflage, dass die Frauen unter sich blieben. So hielt der Club trotz mehrerer Klagen wegen Gender-Diskriminierung an seiner Politik fest, nur Frauen als Zuschauerinnen zuzulassen.
Die Chippendales gibt es bis heute, als globale Sensation haben sie indessen ausgedient. In den Nuller- und Zehnerjahren adaptierte der Zeitgeist nämlich exakt jene Ästhetik des muskulösen, haarlosen und gebräunten männlichen Körpers, die bei den Chippendales noch neu und aufregend war. Heute sind entsprechende Körper auf Instagram so selbstverständlich wie der Hashtag #gymboy oder #shirtless. Die Rollenerwartungen haben sich aufgeweicht, Frauen sind selbstbewusster geworden und fordern alle möglichen Rechte lautstark für sich ein. Unter anderem auch das Recht auf sexuelles Vergnügen ohne Reue. Nicht, dass die Chippendales dabei viel geholfen hätten. Aber sie waren die Ersten, die demonstrierten, wie das gehen könnte.
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