Interview zu Unis und China«Es besteht das Risiko des Missbrauchs für Propagandazwecke»
Nach Eklat um Schweizer Uni: Sollten Wissenschaftler überhaupt mit der Volksrepublik zusammenarbeiten? China-Experte Ralph Weber ordnet ein.
Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) hat die Zusammenarbeit mit einer Designhochschule in Südchina aufgekündigt, die sie mitgegründet hat. Die chinesische Seite ist verärgert über den Rückzug der Schweizer und stellt Sanktionen in den Raum. Ralph Weber, Professor am Europainstitut an der Universität Basel, ist Experte für wirtschaftliche und politische Beziehungen zu China. Der 50-Jährige war auch in der Ethikkommission, welche die ZHDK bei der Zusammenarbeit mit der Uni in Shenzhen beriet. Hier beurteilt er den Fall sowie allgemeine Herausforderungen bei Kooperationen mit der Volksrepublik.
Herr Weber, der Ausstieg der ZHDK wird mit «fehlenden Ressourcen» erklärt. Kann es auch sein, dass politische Bedenken eine Rolle spielten?
Es kann gut sein, dass der Ressourcenaufwand zu Beginn unterschätzt wurde. Eine solche Zusammenarbeit ist kompliziert. Auf europäischer Seite waren nebst Zürich auch Barcelona und Stuttgart beteiligt. Und das Projekt wurde über viele Jahre aufgegleist, und dann kam die Corona-Pandemie, sodass die Kollaboration erst in letzter Zeit Fahrt aufgenommen hat.
Wenn politische Gründe eine Rolle spielen: Wie reagieren chinesische Partner auf Kritik an ihrem System?
Zumeist sind die Grössen- und Machtverhältnisse so, dass solche Kritik nur selten vorgebracht wird. Chinesische Partner können aber in der Regel gut damit umgehen. Sie können sich zudem auf die offiziellen Standpunkte des chinesischen Parteistaats beziehen, der seit einiger Zeit grosse propagandistische Bemühungen in Sachen Menschenrechte betreibt. Oder sie lächeln die Kritik einfach weg.
Ist im Fall der ZHDK die einseitige Vertragsauflösung für die chinesische Seite ein Gesichtsverlust?
Natürlich ist das für die chinesische Seite ärgerlich. Man hatte mit der Kooperation sicherlich eigene Ziele verfolgt. Ich denke aber nicht, dass es hier um Gesichtsverlust geht, sondern könnte mir eher vorstellen, dass in nicht unerheblichem Ausmasse auch finanziell in das Projekt investiert wurde.
Offenbar sind der chinesischen Seite die Schweizer Diplome, die an der Schule hätten vergeben sollen, sehr wichtig. Wieso eigentlich?
Mit den Diplomen wird sozusagen der unmittelbare Zweck der Partnerschaft erfüllt. Dass mit einer Schweizer Institution auch ein Qualitätssiegel oder Prestige einhergeht, ist durchaus möglich.
Die Uni in Shenzhen ist ein Ableger einer chinesischen Militärakademie. Wie problematisch ist das?
Die Kooperation der ZHDK mit dem Campus in Shenzhen besteht mit dem Harbin Institute of Technology (HIT), einer bekannten chinesischen Universität, die als eine der «Sieben Söhne der Nationalen Verteidigung» als überaus militärnah eingestuft wird. Mehr als drei Viertel aller Studienabgänger, die in chinesischen Staatsunternehmen im Verteidigungsbereich rekrutiert werden, stammen von diesen Universitäten. Der Grossteil des Budgets dieser Universitäten geht in Forschung im Verteidigungsbereich. Im Jahr 2020 haben die USA daher beschlossen, dass Abgänger dieser Universitäten nicht für weiterführende Studien in den USA zugelassen werden dürfen.
Nun ist der ZHDK-Ableger in Shenzhen eine Design- und Architekturschule. Kann eine solche Zusammenarbeit auch problematisch sein?
Einzelne Aspekte wie etwa Smart Cities kommen einem in den Sinn. Solche nutzen digitale Technologien, um zum Beispiel ihre Entwicklung energie- und ressourceneffizient zu gestalten. Das macht sie allerdings für Cyberangriffe zu einem möglichen Ziel oder steigert unter Umständen die Kontrollmöglichkeiten staatlicher Akteure. Die ZHDK war sich dieser Aspekte aber bewusst.
Hat sie auch etwas dagegen unternommen?
Sie hat nach öffentlicher Kritik im Jahr 2021 eine Ethikkommission eingerichtet, welche die Kooperation danach begleitet hat. Ich war Mitglied dieser Kommission und kann bezeugen, dass dort für alle möglichen Eventualitäten Vorbereitungen getroffen wurden.
Was wäre eine solche Eventualität gewesen?
Es wurden Fallszenarien durchgespielt, was etwa bei einer Zensur einer gemeinsamen Publikation oder bei Einschränkungen, welche die Lehre oder die freie Meinungsäusserung betreffen, zu tun ist. Es ging auch darum, abzuklären, bei welcher Art Vorfälle die Kommission der Hochschulführung einen Protest empfehlen würde oder zum Abbruch der Kooperation raten sollte. Das sind in der Praxis keine einfachen Diskussionen.
Kann man als akademischer Akteur einer liberalen Demokratie mit einem autoritären Staat zusammenarbeiten – sind Handlungs- und Meinungsfreiheit gewährleistet?
Es kommt stark darauf an, in welchem wissenschaftlichen Gebiet die Zusammenarbeit konkret erfolgt. Je nachdem steht das Risiko für illegalen Wissenstransfer oder der Missbrauch für Propagandazwecke zur Debatte.
Ein konkretes Beispiel?
Führt eine Zusammenarbeit in militärische Bereiche oder in Technologien, die etwa zur Überwachung und Unterdrückung der Bevölkerung verwendet werden können, zum Beispiel der Uiguren und anderen Minderheiten in Xinjiang, dann riskiert man, gegen Güterkontroll- und Embargogesetze zu verstossen oder in rufschädigenden Rechtsfällen und Medienberichten genannt zu werden.
Lange galt bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China das Motto «Wandel durch Handel». Hatte die ZHDK in Shenzhen auch dieses Ziel vor Augen?
Sicherlich fand sich die Führung der ZHDK vor 10 Jahren noch in einer anderen Situation. Damals galt es als chic, mit Institutionen in China Kooperationen einzugehen. Wer das nicht tat, der hatte schlicht nicht erkannt, wohin die Zukunft gehen würde. Das Freihandelsabkommen trat ja ebenfalls 2014 in Kraft. Die zunehmende autoritäre Schliessung Chinas konnte man zumal im wissenschaftlichen Bereich aber bald nicht mehr ignorieren. Neue Datenschutzgesetze oder Spionageabwehrgesetze haben in jüngster Zeit etwa für viele Diskussionen gesorgt und zu Bedenken geführt.
Gibt es weitere Zusammenarbeiten zwischen Schweizer und chinesischen Unis?
In der Schweiz gibt es im Bildungsbereich zahlreiche bestehende Kooperationen, institutionell, aber auch auf der Ebene einzelner Forschenden.
Inwiefern müssen die nun auch über die Bücher?
Ich denke, dass in den letzten Jahren einige schon über die Bücher gegangen sind. An den Universitäten, in Forschungsinstitutionen und auch in Bundesbern sind die mit China einhergehenden Problematiken rund um Kooperationen wohlbekannt. Aber es gibt auch einige Akteure, die unbeirrt an der Ansicht festhalten, dass diese Diskussionen einer antichinesischen Polemik geschuldet seien. Oder dass dabei Politik und Wissenschaft ungebührlich vermengt würden. Oft geht dabei einiges durcheinander.
Wie sieht eine ethisch vertretbare Zusammenarbeit mit China denn aus?
Die Ethik spielt natürlich eine wichtige Rolle, aber es geht auch um Recht: Die Wissenschaftsfreiheit ist in der Schweiz in der Verfassung garantiert. Man muss sich also in einer liberalen Demokratie auch gut überlegen, mit welchen Gründen man diese Freiheit einschränken möchte. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Universitäten und ihre Forschenden ihre Autonomie verteidigen, auch wenn es um Zusammenarbeiten mit China geht. Einschränkungen erachte ich vor allem in besonders sensiblen Bereichen als richtig. Dies kann durch die Behörden geschehen, oder aber auch universitätsintern.
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