Zaho de Sagazan am PaléoDas Leben sollte doch ein grosser Spass sein
Am Paléo Festival in Nyon beweist die 24-Jährige mit einem bombastischen Konzert, dass sie der nächste grosse europäische Superstar werden kann. Begegnung mit einem sehr französischen Pop-Phänomen.
Und dann sagt sie diesen Satz: «Ich hatte mir meinen Erfolg noch viel grösser erträumt.» Zaho de Sagazan lässt ihn einfach so stehen und schaut unschuldig drein.
Es ist Nachmittag am Paléo in Nyon, Backstagebereich. Ein paar Stunden später wird diese junge Frau mit dem ernsten Blick auf der Bühne vorne ein bombastisches Konzert geben. Voller Wucht, voller Selbstbewusstsein. Sie ist ein Superstar.
Die Kraft dazu schöpft sie aus ihrer Sensibilität. So wird sie 20’000 Menschen offenherzig erzählen, dass sie noch nie von einem Mann erwiderte Liebe erfahren hat; dass sie trotzdem weiter an die Schönheit glaubt und dass das Leben doch irgendwie ein einziger grosser Spass sein sollte.
24 Jahre alt erst ist Zaho de Sagazan. Doch wenn sie singt und spricht, ist eine alte, schöne Seele zu hören.
Geht es noch grösser?
Der Satz, den Zaho de Sagazan im Backstagebereich des grössten Schweizer Festivals von sich gegeben hat – vom Erfolg, den sie grösser erwartet hat –, kann falsch verstanden werden. Ist ihr der enorme Erfolg zu Kopf gestiegen?
Noch grösser geht es kaum. Zaho de Sagazan ist in Frankreich die Künstlerin der Stunde. Sie war Gast in allen wichtigen Fernsehsendungen des Landes, eröffnete die Filmfestspiele in Cannes mit einem bereits heute legendären Auftritt; sie spielt auf den grossen Bühnen, ihre Videos und Lieder werden millionenfach gestreamt. Und die 24-Jährige wird vom Feuilleton gefeiert.
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Wie lässt sich also alles noch grösser vorstellen?
«Ich kann eben gut träumen», sagt sie. «Ich mach den ganzen Tag eigentlich nichts anderes.» Sie meint es genau so, wie sie es sagt. Ohne jede Überheblichkeit. Aber mit einer Offenheit gegenüber allem Möglichen. Sie ist in einer Künstlerfamilie gross geworden: vier Schwestern, alles Freigeister.
Die eigene Überhöhung droht dieser jungen Frau nicht. Dafür ist der Selbstzweifel zu sehr in ihre Kunst verwebt. «Das Piano ist mein Psy», sagt sie. Sie meint damit: Das Komponieren am Klavier ersetzt den Besuch beim Psychiater.
Es ging «très, très rapide»
Auf ihrem Debütalbum, letztes Jahr erschienen, lässt sich nachhören, wie eine wahrhaftige seelische Selbstentblössung klingt. Neben den ständigen Selbstzweifeln singt sie von unerwiderter Liebe, fasst grossen Schmerz klug in grosse Worte. Sie macht das mit französischem Pathos, aber ohne Kitsch. Das ist die Kunst des Chansons; Jacques Brel, Barbara sind ihre Vorbilder. Aber eben auch Kraftwerk, die deutschen Technopioniere.
Zaho de Sagazan hievt das Kulturgut so in die Gegenwart, ihre Basis sind zeitgeistige elektronische Beats, gespeist aus einem analogen Maschinenpark. Alte Chansons neu verpackt. Dazu: Selbstzweifel selbstbewusst vorgetragen. Machen diese Kontraste ihren Erfolg aus? Sie sagt dazu schlicht: «Oui. Das glaube ich.»
Am Paléo Festival in Nyon spielt sie bereits zum zweiten Mal. Diesmal steht sie auf einer der grossen Bühnen, zur besten Zeit, abends um zehn. Vor zwei Jahren war sie noch eine unbekannte Künstlerin, die als Pflegefachfrau jobbte und an einem Album arbeitete, «auf das niemand gewartet hatte».
Doch dann ging es schnell. «Très, très rapide», wie sie sagt.
Ihr Album erregte im Frühling 2023 sofort Aufmerksamkeit, Louis Vuitton buchte sie als musikalische Begleitung für eine Modeschau, und bei den «Victoires de la Musique», den französischen Grammys, gewann sie viermal, unter anderem für das «Album des Jahres».
Sie rührte Jurypräsidentin Greta Gerwig zu Tränen
Auch am holländischen Festival Eurosonic Anfang dieses Jahres stach Zaho de Sagazan heraus. Das Festival in Groningen ist eines der Treffen der Musikbranche. Wer die Stars von morgen sind, wird dort mitdefiniert. Und die Profis waren sich einig: Diese junge, altkluge Französin mit dem expressiven Tanzstil wird es sein.
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Wie gross sie in kurzer Zeit tatsächlich werden würde, konnten sie aber auch in Groningen nicht wissen. Denn die Wirkung, die ihr musikalischer Auftritt am Filmfestival von Cannes im Mai haben würde, war noch nicht eingeplant.
Barfuss tänzelte sie vor versammelter Weltpresse und zahlreichen Filmstars im grossen Saal durch die Zuschauerreihen und sang mit dunkler, weicher Stimme eine eigenwillige, sehr französische Version von David Bowies «Modern Love». Sie rührte damit Jurypräsidentin Greta Gerwig («Barbie») zu Tränen. Und machte sich auch ausserhalb des frankofonen Sprachraums bekannt.
Der Auftritt war für Zaho de Sagazan ein Tempomacher auf einer bereits schnellen Fahrt. «Ich bekam über meine Social-Media-Kanäle schon immer viele Nachrichten», sagt sie, «doch nach Cannes explodierten diese. Vor allem waren die Nachrichten nicht mehr nur auf Französisch.» Spanisch, Portugiesisch, Englisch und auch Deutsch. Fans, vor allem weibliche, fühlten sich von ihr verstanden.
Zaho ist auf dem Weg, zum europäischen Star zu werden. So wie Stromae. Während der belgische Alleskönner aber wie ein ufoartiges Kunstprojekt wirkt, geht Zaho de Sagazan zu den Menschen hin – als scheues Wesen, das nicht anders kann, als sich künstlerisch dem Publikum zu öffnen.
Gegen Ende des Konzerts, nach all dem Weltschmerz und Selbstzweifel, wird es auch ihr zu schwer. Das Drama, das sei jetzt «terminando!» Sie wolle jetzt tanzen! Ihre vier Jungs hinter dem Maschinenpark folgen der Direktive und drücken knalligen Acid-Techno in die Leitung.
Zaho de Sagazan dreht sich tanzend ins Discolicht. Sie muss nichts mehr sagen, nichts mehr rufen. 20’000 Menschen folgen ihr.
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