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Xherdan Shaqiri
Die Rückkehr nach Kosovo und die Betrunkenen an der Tankstelle

Swiss soccer player Xherdan Shaqiri, poses for the media, during a round table in Saillon, Switzerland, Thursday, September 7, 2023. Switzerland faces Kosovo and Andorra in the UEFA European qualifiers matches on 9 and 12 September. (KEYSTONE/Cyril Zingaro)
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Da stockt er kurz. Überlegt. Und stellt dann fest, dass er gar nicht so genau weiss, wen seine Verwandtschaft denn unterstützen wird an diesem Samstagabend. Die Schweiz? Kosovo? «Wobei», findet Xherdan Shaqiri schliesslich, «normalerweise müssten sie ja für mich sein, oder?» Und kommt dann zum Schluss: «Es ist sicher schön für sie, dass sie mich spielen sehen.»

Der 31-Jährige lächelt verschmitzt im Schatten eines Hotels. Hinter ihm klappern die Werbewände des Schweizerischen Fussballverbands im Walliser Wind. In dieser kleinen Szene ist schon ziemlich viel Shaqiri drin. Sein Leben mit Wurzeln in zwei Ländern. Der Schalk. Die Sponsoren. Und die ehrliche Überzeugung, dass er ein Spieler ist, für den sich ein Stadionbesuch lohnt.

Die Partie in Pristina ist für Shaqiri die Rückkehr in das Land seiner Geburt. Die Verbindung ist eng: «Meine Mutter und mein Vater haben je neun Geschwister. Da können Sie sich vorstellen, wie viele Cousinen und Cousins ich habe.» Für alle hat er versucht, Tickets zu organisieren. Aber wenn der Samstagabend hereinbricht, wird er sich das Trikot jener Nation überstreifen, in der er aufgewachsen ist. Und gegen Kosovo spielen.

Was wäre aus ihm geworden, wäre er in Kosovo geblieben?

Einjährig kommt er mit seiner Familie in die Schweiz. In Augst im Baselbiet geht er in sein erstes Fussballtraining. Beim FC Basel wird er danach zu jenem Spieler ausgebildet, der sich mit seinen Dribblings, Sprints und Toren zum Publikumsliebling und Grossverdiener emporspielt.

Ja, er hat sich schon ein paarmal überlegt, was aus ihm wohl geworden wäre, hätte seine Familie nicht schon zu Beginn der Neunzigerjahre den Weg in die Schweiz gefunden: «Aber ich bin zu keinem Schluss gekommen.» Vermutlich wäre er 1998 vor dem Krieg geflohen, der um die Kontrolle Kosovos entbrannte. Wohin auch immer.

Mit Willen könne man viel erreichen, meint er auch noch. Schliesslich hätten inzwischen Spieler aus der kosovarischen Liga den Sprung in grosse Ligen geschafft. Aber er gibt auch zu: «Ich denke, es wäre schwierig geworden, die Karriere zu machen, die ich heute habe.»

Rapper, mutige Mädchen – und ab und zu eins aufs Maul

Nicht, dass der Start in der Schweiz für die Shaqiris einfach gewesen wäre. Die Familie ist finanziell nicht auf Rosen gebettet. Das Kinderzimmer, das Xherdan mit seinen Brüdern Arianit und Erdin teilt, kann nicht geheizt werden. Als der Vater später arbeitslos wird, springen die Söhne mit ihren Lehrlingslöhnen ein.

Das Feld, auf das der kleine Xherdan seinen beiden Brüdern folgt, beschreibt er als «raue Gegend», wo Grossmäuler auch mal eins aufs Maul bekommen hätten. Rapper, mutige Mädchen und ein buntes Durcheinander – das sind seine Erinnerungen an den Ort, an dem er gegen seine ersten Bälle getreten hat. «Die Teams waren die Vereinten Nationen», hat er einmal über die bunte Mischung gesagt.

Die Schweiz, das ist für die Eltern Shaqiri vor allem das Versprechen auf eine bessere Zukunft. Ihr Sohn Xherdan löst es ein. Irgendwann wird der Beweis dafür auf dem Kapuzinerberg in Rheinfelden stehen. Für 2,8 Millionen Franken plant er dort eine Villa.

Keiner ist dem Wort Star so nahe gekommen wie er

Es sagt viel über seinen Stellenwert in der Schweiz aus, dass über die Einsprachen gegen den Bau gross in den Medien berichtet wird. Und dass dabei der Innenausbau ebenso genüsslich aufgelistet wird (vier Schlafzimmer, sechs Bäder respektive Toiletten, 35-Quadratmeter-Kino) wie die Grösse der Garage (drei Autos).

Shaqiri ist so nahe am Begriff Star angekommen, wie einem das als Fussballer in der Schweiz überhaupt gelingen kann. Da mögen sich viele noch so sehr darüber grämen, dass er es halt doch nicht ganz geschafft hat, als erster Schweizer Fussballer in die absolute Weltklasse vorzustossen.

Bei den Grossclubs Bayern München und Liverpool ist er nie zur prägenden Figur geworden. Bei Inter Mailand und Olympique Lyon reichte es nur zur Stippvisite. Wenn ihm das wieder einmal in den Medien vorgehalten wurde, antwortete Shaqiri gern auf den sozialen Netzwerken mit einer Auflistung all der Titel, die er gewonnen hat.

«Es ist unglaublich, die erkennen mich sogar unter Alkoholeinfluss!»

Xherdan Shaqiri

Inzwischen hat er in den USA bei Chicago Fire einen Vertrag, der ihm acht Millionen Franken im Jahr garantiert. Dass hierzulande niemand ganz genau weiss, auf welchem Niveau er dort spielt, hat die Diskussionen um ihn in der Schweiz interessanterweise beruhigt. Shaqiri fliegt einfach für das Nationalteam ein, hat an der WM bei jedem Schweizer Tor seinen Fuss im Spiel oder bereitet in der EM-Qualifikation gegen Rumänien mit dem Aussenrist traumhaft ein Tor vor – und gut ist.

Seiner Popularität in der Schweiz haben die Leistungen in seinen Clubs sowieso nie geschadet. Wie weit sie geht, überrascht manchmal sogar ihn. Zum Beispiel, wenn er um vier Uhr morgens in einen Tankstellenshop marschiert. Und dort Selfies geben muss: «Es ist unglaublich, die erkennen mich sogar unter Alkoholeinfluss!» Wichtige Anmerkung: «Ich trinke nicht.» Der Alkohol ist bei diesem Beispiel also ganz im Blut seiner Fans.

Shaqiri kann herzlich lachen, als er diese Geschichte erzählt. Das ist ja einer der Gründe, warum sich die Fussballschweiz ursprünglich in diesen Spieler verguckt hat. Er spielt nicht nur gut Fussball. Er hat auch immer diese Ausstrahlung eines Lausbuben, dem niemand etwas krummnehmen kann.

Daran liegt es wohl auch, dass er in der jüngeren Vergangenheit all den Polemiken um Doppelbürger im Schweizer Nationaldress nie gleich heftig angegangen worden ist wie Granit Xhaka. Wo der mit geschwellter Brust und manchmal mit dem Kopf voraus in den Konflikt rennen kann, hat Shaqiri die Kunst des Ungefähren gelernt.

Früher redete er sich fast um Kopf und Kragen

Das war nicht immer so. Als Teenager redete er vor den Medien manchmal so frei Schnauze, dass aufgeregte Pressesprecher danach jeden einzelnen Medienvertreter persönlich beknien mussten, um gröbere Verwerfungen zu verhindern. Inzwischen greift Shaqiri lieber mal zur Floskel, um Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen.

So navigiert er auch vor diesem Spiel zwischen Kosovo und der Schweiz locker an allen möglichen Fallstricken vorbei. Zum Beispiel zur Frage, ob er sich je einen Nationenwechsel von der Schweiz zu Kosovo überlegt habe.

Ja, er sei angefragt worden, als Kosovo 2016 erstmals ein Nationalteam bilden durfte: «Ich habe mit einigen Leuten geredet.» Das alles habe «ihn sehr gefreut». Aber mit dem Schweizer Nationalteam sei er natürlich auch «sehr zufrieden» gewesen. Und überhaupt sei ein Wechsel seines Wissens nach sowieso nicht mehr möglich gewesen. Freundlich, unbestimmt, niemandem auf die Zehen getreten.

So macht er das auch bei der Frage nach dem möglichen Torjubel. Erst erzählt er, dass er viele Nachrichten aus Kosovo erhalte: «Schiess doch einfach gegen uns kein Tor.» Danach pocht er auf seine Professionalität: «Ich gehe in jedes Spiel, um zu treffen oder Assists zu geben.» Und schliesslich findet er: «Wenn ich treffe, überlasse ich den Jubel aus Respekt meinen Mannschaftskollegen.»

Das Einwandererkind wird Schweizer Rekordspieler

32 Jahre alt wird Shaqiri Anfang Oktober. Seit 13 Jahren spielt er jetzt schon für die Schweiz. Wenn er sich nicht verletzt, wird er in dieser EM-Qualifikation Heinz Hermann als Rekordspieler der Nationalmannschaft ein- und überholen. Vier Einsätze fehlen ihm noch zu Hermanns Marke.

Es ist ein langer Weg, den Xherdan Shaqiri gegangen ist. Vom Einwandererkind, das in Augst einfach seinen älteren Brüdern hinterhereilt, weil er auch gegen einen Ball treten will. Hin zum Schweizer Rekordspieler.

Es ist die Geschichte von Migration, von Ablehnung, Missverständnissen, aber auch von Integration, Ankunft und Akzeptanz. Am Samstag führt sie ihn in das Land, in dem seine Reise begonnen hat. Und spätestens mit dem Schlusspfiff wird Xherdan Shaqiri auch wissen, für wen seine Cousinen und Cousins gejubelt haben.