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Kulturgeschichte des Bettes
Wo das Leben beginnt – und seine besten Stunden feiert

Begegnungsort Bett: Sean Connery und Jill St. John im James-Bond-Film «Diamonds Are Forever» von 1971. 
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Unser Leben beginnt im Bett – und es endet dort. Das Sterbebett ist letzter Ort der Begegnung. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Totenwache üblich. In fast allen Kulturen werden die Toten als Schlafende dargestellt. Schlafend, als könnten sie wieder erwachen. Ruhet sanft.

Bis heute ist das Bett zentraler Schauplatz von Geburt und Tod. Das war nicht immer so. Auf frühen Darstellungen von Geburten ist kein Bett zu sehen. Die Frau gebar in der Hocke oder auf einem Geburtshocker. So etwas wie Betten konnten sich nur Reiche leisten. Erst im 16. Jahrhundert kam auf, dass Frauen passiv auf dem Rücken liegend gebären; Ärzte verdrängten die Geburtshelferinnen. Inzwischen empfangen über 95 Prozent der westlichen Frauen ihr Kind im Krankenhausbett.

Der Mensch verbringt rund ein Drittel seines Lebens im Bett, allerdings nicht durchweg mit Sex beschäftigt. Die meisten schlafen. Und träumen. Im 18. Jahrhundert, lange vor Sigmund Freud, führte die Oberschicht massenhaft Traumtagebücher. Erfinder erfanden Erfindungen im Traum. Paul McCartney fand träumend die Melodie von «Yesterday». Und today? Heute macht der Weckruf des Handys die Träume zunichte. Von wem habe ich heute Nacht geträumt? In wessen Traum bin ich selber vorgekommen?

Das Bett als Kunstaktion: John Lennon und Yoko Ono in der Präsidentensuite des Hilton-Hotels in Amsterdam, 25. März 1969. 

Liebe machen war schon immer kompliziert, insoweit Betten daran beteiligt sind. Stell dir vor, deine neue Bekanntschaft hat ein wackliges Wasserbett. Oder Mickey-Mouse-Bettwäsche. Oder ein Spiegel verdoppelt die Liebesmüh. Oder das knarzende Holzgestell unterstreicht höhnisch die erotische Schwerarbeit. Ein Bett kann furchtbar abtörnen.

Es ist kein Zufall, dass Sex im Film überall stattfindet, nur nicht im Bett. Filmpaare treiben es auf der Wiese, auf dem Tisch, unter der Dusche, an der Wand, auf dem Fussboden. Leidenschaft muss überrumpeln. Sex ist obsessiv oder gar nicht.

Winston Churchill legte im Zweiten Weltkrieg tagsüber Schlafpausen ein und besprach sich mit seinen Generälen am Bett.

Ein Bett für sich allein ist nicht selbstverständlich. Einfache Leute schliefen bis zum Ende des Mittelalters überwiegend zu mehreren Personen auf einer Strohschütte. Reisende mit wenig Geld teilten sich das Bett mit wildfremden Schläfern. Arme Familien schliefen gemeinsam auf einem Lager, zusammen mit Onkeln, Tanten und Gästen. Wöchnerinnen legte man zu viert in ein Bett und bis zu acht Kinder gemeinsam ins Nest. Erst der Adel und später das Bürgertum pflegten eine spezielle Schlafraumkultur. Der Prozess der Zivilisation verlangte Intimität, Affektkontrolle, Schamhaftigkeit und die Trennung von Privatem und Öffentlichem.

Im Bett wird geträumt, diskutiert, prostituiert, onaniert und studiert – und sogar amtiert und regiert. Winston Churchill legte im Zweiten Weltkrieg tagsüber Schlafpausen ein und besprach sich mit seinen Generälen und Ministern am Bett. Frankreichs Könige regierten und hielten Hof vom Bette aus. Ludwig XIV. pflegte vor versammelter Mannschaft akribisch das Ritual des Aufstehens und Zu-Bett-Gehens (Lever et Coucher). Chinesische Höflinge, ähnlich den Pharaonen, führten Buch über das Sexleben des Kaisers. Was im Bett geschah, war Staatssache.

Frankreichs Könige regierten vom Bett aus: «Franz I. empfängt die letzten Atemzüge von Leonardo da Vinci», Gemälde von Jean Auguste Dominique Ingres (1824). 

Das Paradebett war Mittelpunkt halböffentlichen Lebens. Am Wochenbett der Königinnen fanden Bälle statt, im Sterbebett der Herrscher die Regelung von Nachfolge und Nachlass. Es brauchte Zeugen. In England waren lange Zeit die Innenminister bei königlichen Geburten anwesend. Erst als Prince Charles zur Welt kam, endete diese Tradition.

Das eigene Bett ist Hort der Geborgenheit. Schrecklich ist die Vorstellung, schlafend im Bett attackiert zu werden. Vampirfilme zehren von diesem Schrecken. In einem Horrorfilm ist es sogar das Bett selber, das Menschen verschlingt («Death Bed: The Bed That Eats»). Schlimm.

Mahnmal an Verbrechen der Vergangenheit: Ein Schlafsaal mit Etagenbetten im Konzentrationslager Dachau, ungefähr 1990. 

Schlimmer ist die Wirklichkeit. Das sind die Konzentrationslager mit Etagenbetten. Das sind die Massenlager der Flüchtlinge, die Feldbetten, die Pritschen in Hallen ohne Rückzugsmöglichkeit. Schlaft in Frieden – wenn es geht. Am schlimmsten sind die Massengräber des alten 20. Jahrhunderts und des jungen 21. Jahrhunderts. Babyn Jar 1941, Srebrenica 1995, Massengräber für Corona-Tote bei New York 2020 und Gräben für Kriegstote in der Ukraine 2022.

Eine Ruhestätte für sich allein, ein eigenes Bett, ein privates Schlafzimmer – welcher Luxus. John Lennon und Yoko Ono in ihrem Friedensbett – wie lang ist das her. All we are saying is give peace a chance.