Musiker im Dialog«Wir sind nicht mehr in Pferdekutschen unterwegs»
Die Tonhalle-Musiker Thomas Grossenbacher und Peter Solomon über gute und andere Dirigenten, Hierarchien im Orchester und die Frage, ob ein Frack eigentlich bequem ist.
Fast 40 Jahre lang hat der Brite Peter Solomon im Tonhalle-Orchester Klavier und Orgel und allerlei andere Tasteninstrumente gespielt, der Zürcher Thomas Grossenbacher sass über 26 Jahre als Solocellist am ersten Pult. Nun hören beide auf: Solomon wird pensioniert, Grossenbacher vergrössert sein Pensum an der Zürcher Hochschule der Künste. Aber noch sitzen sie zusammen in der Tonhalle Maag und reden ...
… übers Aufhören und Weitermachen
Thomas Grossenbacher: Es ist ja ein seltsamer Moment, um aufzuhören. Gerade jetzt, wo wir mit Paavo Järvi einen wirklich inspirierenden Chefdirigenten haben.
Peter Solomon: Und dann noch Corona! Sehr eigenartig, so ein Abschluss ohne Abschluss. Aber die Pensionierung kann man nicht verschieben.
Grossenbacher: Für mich ist es die letzte Chance, den Schwerpunkt noch einmal zu verlagern. Ich unterrichte wirklich gerne, und künftig auch Kammermusik: Das ist das Spannendste überhaupt.
Solomon: Das Unterrichten wird tatsächlich immer wichtiger, je älter man wird.
Grossenbacher: Weil man sich selber immer unwichtiger wird. Natürlich freue ich mich über einen Erfolg. Aber wenn ein Student Erfolg hat, ist die Freude inzwischen fast grösser.
… über gute und schlechte Dirigenten
Solomon: Noch etwas ergibt sich mit den Jahren: Man hat immer höhere Ansprüche an die Dirigenten, je besser man die Werke kennt.
Grossenbacher: Ja. Wenn einer keine Vorstellung, kein Tempo, keinen Schlag hat, dann sind das schon Tiefpunkte.
Solomon: Wobei: Manchmal entsteht gerade dann etwas. Wenn wir allein gelassen werden und plötzlich zusammen etwas entwickeln.
Grossenbacher: Das stimmt. Es ist tatsächlich vorgekommen, dass wir uns alle einig waren: Unter diesem Menschen kann man nicht spielen. Aber aus purer Verzweiflung entwickelt man dann so einen Galgenhumor, eine Konzentration – das kann richtig gut werden. Es ist wie bei einer optischen Täuschung: Ein Autorad dreht sich in eine Richtung, und plötzlich sieht man die Drehung in der umgekehrten Richtung.
«Heute wird immer gesagt, die Arbeit im Orchester sei demokratischer geworden. Das ist leider Wunschdenken.»
Solomon: In solchen Momenten lösen sich auch die Hierarchien auf. Ein Orchester ist ja eigentlich sehr hierarchisch.
Grossenbacher: Heute wird immer gesagt, die Arbeit im Orchester sei viel demokratischer geworden als früher, und die Dirigenten würden sich freuen, wenn die Musiker sich einbringen. Das ist leider Wunschdenken. Denn wenn sich alle einbringen, geht gar nichts mehr. Es braucht jemanden, der führt. Im Idealfall eben einen, dem man gern folgt.
Solomon: Das hatten wir sehr oft. Wir haben viele guten Zeiten erlebt in diesem Orchester.
Grossenbacher: Die zwanzig Jahre mit David Zinman waren grossartig, bis zum Schluss. Er hat alles, was man sich von einem Dirigenten wünscht, musikalisch und menschlich.
Solomon: Er hat das perfekte Gespür dafür, was jeder braucht. Orchestermusiker werden ja besser, wenn der Dirigent ein bisschen Druck macht; aber wenns zu viel Druck ist, spielen sie schlecht. Da die richtige Dosis zu finden, ist nicht einfach. Auch Zinman hat das lernen müssen, das hat er mir einmal erzählt: Als junger Dirigent hat er offenbar auch herumbefohlen.
Grossenbacher: Lionel Bringuier danach habe ich auch gemocht, er war einfach noch zu jung für diese Position. Und jetzt Paavo Järvi: Der ist unglaublich. Das ist so ein tolles Arbeiten mit ihm, so entspannt, natürlich, grundmusikalisch.
… über Worte und Geräusche
Solomon: Es ist eigentlich lustig, er ist genau wie Zinman einer, der wenig redet in den Proben.
Grossenbacher: Proben ist ja nicht nur eine verbale Angelegenheit. Die Körpersprache ist entscheidend, auch sonst sind da so viele Sensoren im Einsatz. Es ist nicht unbedingt der der beste Dirigent, der die klügsten Dinge sagt.
Solomon: Ein Bernard Haitink musste jeweils nur atmen, und schon klang es anders.
Grossenbacher: Oder Vladimir Fedosevey, der konnte kaum Englisch und hat mit irgendwelchen Geräuschen und Gesten kommuniziert, was er sich vorstellte; die Konzerte waren oft sehr gut.
… über Fräcke und Handys
Grossenbacher: Was ich nach meinem Orchesterleben ganz bestimmt nicht vermissen werde: Das ist der Frack.
Solomon: Aber er ist schon sehr praktisch, diese Freiheit um den Bauch herum … Wenn man mit einem Jackett am Klavier sitzt, ist es viel enger.
Grossenbacher: Das stimmt. Aber das Bild! Wir leben im 21. Jahrhundert, wir sind nicht mehr in Pferdekutschen unterwegs, wir haben Handys.
Solomon: Apropos Handy: Ich hatte mal eines auf der Bühne, das war abgesprochen mit dem Dirigenten. Die Geburt meines Sohnes stand bevor. Ich konnte aber zu Ende spielen – Mahlers 2. Sinfonie wars.
Grossenbacher: Meine Tochter kam nach Strawinskys «Petruschka» auf die Welt. Perfektes Timing, an einem Samstagabend, am Sonntag hatte ich frei.
Solomon: Man bekommt schon sehr viel mit voneinander in so einem Orchester, manchmal mehr, als man will; man ist so nahe zusammen. Fast wie in einer Ehe.
Grossenbacher: Ich liebe ja die vielen Instrumente, diesen Klang. Die vielen Leute dahinter in einem grossen Orchester – das kann kompliziert sein.
… über Holz und Pracht
Solomon: Ich bin aber schon froh, dass ich auch nach der Pensionierung noch ein bisschen dabei bleiben werde. Ich war ja beteiligt an der Entwicklung der neuen Tonhalle-Orgel, dieses Projekt werde ich auf jeden Fall bis zur Einweihung betreuen.
Grossenbacher: Das hätte ich auch gern noch erlebt, die Rückkehr in den alten Saal. Vielleicht werde ich als Aushilfe manchmal noch dort spielen. Wobei ich schon sagen muss, dass ich mich in der Tonhalle Maag eigentlich sehr wohl fühle. Vielleicht bin ich mehr der Typ für so einen Holzsaal als für etwas Prächtiges.
Solomon: Die Tonhalle Maag klingt ja auch gut. Aber die alte Tonhalle doch noch ein bisschen besser.
Grossenbacher: Die Umgebung ist halt öde beim alten Saal. Aber ja, die Akustik …
Solomon: Vielleicht werde ich wegen der Orgel zumindest eine Zeitlang noch einen Schlüssel haben. Dann lasse ich dich rein.
Grossenbacher: Unbedingt. Und dann spielen wir Rheinberger-Sonaten, nur für uns.
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