Oberste Lehrerin vor Schulstart«Wir müssen unqualifizierte Lehrer verpflichten, eine Ausbildung zu machen»
Kurz vor Schulstart fehlen in der ganzen Schweiz die Lehrer. Die Schulen engagieren Hunderte Personen ohne Ausbildung. Jetzt geht der Dachverband der Lehrer in die Offensive.
In weniger als zwei Wochen stürmen die Zürcher Kinder zurück in die Schulzimmer. Nur: Wer wird vor der Tafel stehen? Ganze 60 Stellen sind im Kanton noch nicht besetzt. Dasselbe in Bern, wo das Schuljahr bereits nächsten Montag beginnt.
Andere Kantone haben zwar genügend Lehrerinnen und Lehrer gefunden. «Aber das heisst noch lange nicht, dass wir den Lehrermangel überstanden haben», sagt die oberste Lehrerin Dagmar Rösler. Denn wie schon letztes Jahr wurden wieder zahlreiche Personen ohne Lehrdiplom eingestellt.
Während die Schulverantwortlichen vor einem Jahr noch von «Notlösungen» redeten, drohe nun ein «Dauerzustand», warnte der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH am Donnerstag an einer Medienkonferenz. Präsidentin Röslers Sorge Nummer 1: «Der Lehrerpersonalmangel gefährdet die Bildungsqualität.»
Darum geht der Verband gemeinsam mit den Kantonalverbänden in die Offensive. Er erarbeitet einen «Aktionsplan Bildungsqualität», der in den Kantonen umgesetzt werden soll. Damit soll der Beruf attraktiver und das Personal entlastet werden. Wie, ist noch unklar.
Nur die wenigsten Laien gehen an die PH
«Geht es so weiter, ist das schlecht für unseren Berufsstand», befürchtet Rösler. Sie stört sich nicht primär daran, dass Laien in dieser Notsituation unterrichten. Problematischer seien die häufigen Wechsel der Lehrpersonen. «Kinder brauchen Beständigkeit, um Beziehungen bilden zu können», sagt Rösler. Das sei ebenfalls wichtig für die Bildungsqualität.
Viele Quereinsteiger hören wieder auf, weil sie nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Oder weil sie nicht länger als ein Jahr unterrichten dürfen. So wie in Zürich, wo letztes Jahr erstmals unqualifizierte Lehrpersonen eingestellt werden durften. Nach einem Jahr müssen sie eine Ausbildung machen – oder der Job ist weg. Im März hat die Bildungsdirektion entschieden, die Notmassnahme um ein Jahr zu verlängern.
Wie viele Laien es im neuen Schuljahr sind, kann die Direktion auf Anfrage nicht beziffern. Sie rechnet mit ähnlich vielen wie im letzten Schuljahr. Damals waren von den rund 18’500 Lehrpersonen etwa 500 ohne Diplom an den Schulen.
Dank einem speziellen Aufnahmeverfahren könnten sie ihren Abschluss nachholen. Rund 90 Personen haben sich dafür angemeldet. Doch nur 19 werden im Herbst ihre Ausbildung starten, wie die PH Zürich auf Anfrage sagt. Warum so wenige?
«Einige zum Verfahren angemeldete Personen erfüllten die Zulassungsvoraussetzungen nicht», sagt ein Sprecher. Andere hätten das Verfahren von sich aus «ohne Angabe von Gründen» abgebrochen oder nicht bestanden.
Die Hürden sind jedoch hoch. Die Schullaien müssen eine abgeschlossene dreijährige Ausbildung nach der obligatorischen Schulzeit vorweisen, mindestens drei Jahre Berufserfahrung und eine Anstellung an einer Volksschule. Immerhin beim Mindestalter haben die kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) kürzlich die Hürde von 30 auf 27 Jahre gesenkt.
1000 unqualifizierte Lehrerinnen und Lehrer in Bern
Im Kanton Bern können die Schulen schon seit Jahren Lehrpersonen ohne Diplom einstellen. Rund die Hälfte der insgesamt 3000 Studierenden der PH Bern unterrichtet bereits vor dem Abschluss an einer Volksschule. Gemäss Bildungsdirektion sind zudem rund 1000 Lehrerinnen und Lehrer ohne anrechenbares Diplom angestellt.
Wie viele ein Studium nachholen, kann PH-Sprecher Michael Gerber nicht beziffern. «Es kommt sehr auf ihre Lebenssituation an und ist auch eine Frage des Alters.» An der PH Bern studieren Personen zwischen 20 und 60 Jahren. Ältere Studieninteressierte würden teils aus finanziellen oder zeitlichen Gründen auf ein Studium verzichten.
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Immerhin seien die «Sommer-Camps» sehr gefragt, wo Laien während einer oder zweier Wochen aufs Unterrichten vorbereitet wurden. Die Bildungsdirektion sagt zudem, dass die Schulleitungen angehalten würden, «den Quereinsteigenden Nachqualifikation aufzuzeigen und einzufordern».
Für die oberste Lehrerin Rösler geht das zu wenig weit. «Wir müssen unqualifizierte Lehrer verpflichten, eine Ausbildung zu machen», sagt sie zu dieser Redaktion. «Ein Sommer-Camp reicht nicht aus, um diese komplexe, akademische Ausbildung nachzuholen.»
Laien zum Nachholen des PH-Studiums verpflichten – das sei kaum möglich, sagt der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz VSLCH. «Dann gehen sie einfach an eine andere Schule», so Präsident Thomas Minder. Die Schulleiter würden jedoch versuchen, jene ohne Diplom für eine Ausbildung zu motivieren.
Für Minder, der mit seinem Verband den Aktionsplan mitentwickelt, steht fest: Die Hürden für ein PH-Studium dürften nicht herabgesetzt werden. «Wir müssen viel früher ansetzen. Wir verlieren viele Talente nach der obligatorischen Schulzeit.»
Rösler glaubt, es brauche Anreize. Zum Beispiel finanzielle Unterstützung von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern. Aber auch Massnahmen in der Schule, die das Personal entlasten. «Mit dem Aktionsplan werden wir die Politik entsprechend zum Handeln auffordern», sagt Rösler.
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