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Feuer in der Türkei
«Wir haben nur noch unser Leben»

Schutt und Asche: Dieser Anblick erwartete viele Bewohner der Dörfer rund um Manavgat, nachdem die Feuer vom 29. Juli gelöscht waren.
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Ikbal Catal sitzt erschöpft auf einer kleinen Anhöhe im Dorf Kalemler in der Südtürkei. Hose, T-Shirt und das Tuch auf ihrem Kopf zieren bunte Blumenmuster, um sie herum ist alles aschgrau. Ein gewaltiges Feuer hat der Landschaft des kleinen Dorfes bei Manavgat nicht nur die Farbe gestohlen: 64 Häuser von 100 Häusern hat das Feuer zerstört. Ein deutsch-türkisches Ehepaar starb in den Flammen im Dorf unweit der Touristenhochburg Side. Nun reissen Bagger die Ruinen ab, hinter Catal steigen Staubwolken auf, es riecht nach Asche.

Vor zehn Tagen sind in zahlreichen Provinzen der Türkei Brände ausgebrochen. Weite Flächen Wald, Felder und Dörfer sind seitdem in Flammen aufgegangen. Kalemler hat es am 28. Juli getroffen. Das Haus von Ikbal Catal und ihrem Ehemann Ahmet, die Hühner, Ziegen und ihr Olivenhain – alles weg. Wie das Paar beziehen viele Menschen rund um Manavgat ihr Einkommen aus der Landwirtschaft. «Wir haben nur noch unser Leben», sagt Catal, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Auch sie hat alles verloren: Eine Frau bringt sich am 29. Juli in Sicherheit vor den Flammen; zurück lässt sie alles, was sie hat.

Die Feuer in Antalya sind seit Freitag unter Kontrolle, heisst es von offizieller Seite. In der Nachbarprovinz Mugla wüten sie derweil weiter. Auch hier liegen Dörfer und ganze Landstriche in Asche.

Wenige Meter von dem Steinhaufen entfernt, der einmal das Haus der Catals war, sammelt Ali Karayilmaz im Haus des deutsch-türkischen Ehepaars Andrea und Fahri Y. ein, was das Feuer verschont hat. Karayilmaz hat ihre verkohlten Körper nach fünf Tagen einige Hundert Meter vom Haus entfernt entdeckt.

Er zeigt Fotos, spielt eine Nachricht ab, die Andrea Y. verschickt hatte – wenige Minuten, bevor das Haus in Flammen aufging. Das Video zeigt Rauch, der hinter einem nahe gelegenen Hügel aufsteigt. «Das sieht nicht gut aus», sagt die Frau aus Bad Tölz. Ali spielt das Video erneut ab und ringt um Fassung, bis ihn die Tränen überwältigen.

Er kam mit dem Leben davon, mindestens drei andere Personen hatten nicht so viel Glück bei den Bränden vom 29. Juli. 

Nicht mal eine halbe Stunde habe es gedauert vom ersten Rauch an, dann stand alles in Flammen, sagt Ibrahim Özbay. Er habe sich seine 73-jährige Mutter auf den Rücken gepackt und sei – anders als das deutsch-türkische Ehepaar – hinunter ins Tal geflüchtet. Das liegt auch heute noch in sattem Grün zu Füssen des Dorfes. «Es war die Hölle auf Erden. Der Himmel wurde dunkel, Asche fiel herab, man konnte kaum atmen, die Menschen haben geschrien und sind panisch herumgerannt.» Auch Özbay ist Landwirt, von seinem Traktor ist nur noch ein Gerippe übrig. Sein Haus wurde bereits abgerissen.

Grau in Aschgrau: Auch von Kalemli blieb fast nichts übrig. 

Auf einer kompakten Grünfläche im Zentrum von Manavgat hat die Organisation Haytap ihr Lager aufgeschlagen. Weisse Zelte stehen dicht aneinandergedrängt auf dem Areal. In einem liegen Schafe, gebettet auf weisse Unterlagen, es riecht scharf nach Salbe. Die improvisierte Klinik versorgt vom Feuer verletzte Tiere. Helfer wie die 18-jährige Hatice Sönmez cremen verbrannte Bäuche und Läufe ein, wechseln Verbände und geben den Tieren Sauerstoff.

«Über tausend Tiere sind allein in Antalya durch die Feuer ums Leben gekommen», sagt Lokman Atasoy, Umweltingenieur und Berater des Bürgermeisters der Region Antalya. Der ist von der republikanischen Partei CHP, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Brandkatastrophe immer wieder des «Lügen-Terrors» bezichtigt.

Der Präsident auf dem Weg ins Krisengebiet: Recep Tayyip Erdogan in seinem Flugzeug am 31. Juli auf dem Flug nach Manavgat.

So schlimm wie in Kalemler zum Beispiel hätte es nicht kommen müssen, meint Atasoy. «Die Löschflugzeuge kamen zu spät.» Seit dem Beginn der Brände wurde immer wieder die schlechte Ausstattung der Einsatzkräfte kritisiert – vor allem fehlende Flugzeuge. Mit Hilfe aus dem Ausland sind es mittlerweile 20 Flieger und etwa 50 Helikopter, welche die Brände aus der Luft einzudämmen versuchen.

2008 sei der letzte grosse Brand in der Region ausgebrochen und habe 15’000 Hektaren Land zerstört. «Diesmal sind es mehr als 50’000», sagt Atasoy. Experten zufolge sind es die schwersten Brände seit mehr als zehn Jahren in der Türkei. Landesweit sollen bisher weit über 100’000 Hektaren Land gebrannt haben. Durch den Klimawandel würden derart zerstörerische Brände quasi unumgänglich, trotzdem sei man nicht vorbereitet gewesen, so Atasoy.

Karacalar brennt: Es wird davon ausgegangen, dass die Feuer, die Ende Juli ausgebrochen sind, gelegt wurden.

Im Fernsehen hört man solche Kritik nicht. Die Regulierungsbehörde für den Rundfunk (Rtük) hat Sender vor Berichten gewarnt, die Angst verbreiten könnten. In der Vergangenheit hat die Behörde Medien immer wieder den Stecker gezogen, wenn sie aus Rtük-Sicht unliebsame Inhalte ausgestrahlt hatten. Kritische Berichte über den Umgang mit dem Feuer gibt es kaum.

Das Ehepaar Catal und die restlichen Bewohner Kalemlers haben 10’000 Lira Soforthilfe bekommen – rund 1000 Euro. Innerhalb eines Jahres sollen neue Häuser stehen. So lautet zumindest das Versprechen.

Die neuesten Entwicklungen zur Hitzewelle in Südeuropa und zu den Waldbränden lesen Sie in unserem Ticker: Das verzweifelte Hoffen auf Regen und Hilfe

SDA/amc