Taskforce-Chef Martin Ackermann tritt zurück«Wir haben den Faktor Mensch schlicht unterschätzt»
Martin Ackermann gibt nach rund einem Jahr sein Amt ab. In mehreren Interviews zieht er Bilanz. Seine wichtigsten Aussagen.

Der Bundesrat hat am Mittwoch die Normalisierungsphase in der Corona-Pandemie angekündigt. Damit beendet auch Martin Ackermann seine Amtszeit als Präsident der Corona-Taskforce, die den Bund berät. In mehreren Interviews blickt er zurück auf diese Zeit – und in die Zukunft.
Die Wissenschaft und die Politik
Immer wieder gab und gibt es Kritik an dem starken Einfluss, den die Wissenschaft in Zeiten der Pandemie auf politische Entscheidungen hat. Tatsächlich waren die Experten zu Beginn der Epidemie von sich aus auf den Bund zugegangen, um ihren Rat anzubieten.
Dass es dabei zu Spannungen kam, räumt Ackermann ein. «Die Politik ist nicht immer den Empfehlungen der Wissenschaft gefolgt – aber die Taskforce war auch nur eine Stimme unter vielen», sagt er «20 Minuten». Aber: «Insgesamt hatte ich aber den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen den Wissenschaftlern und dem Bund sehr konstruktiv war», erklärt er der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ).
Der Kontakt sollte nicht abbrechen, findet er im «Blick»: «Die Wissenschaft muss verstehen, wie die Politik funktioniert, und die Politik, wie die Wissenschaft funktioniert. Der Dialog ist enorm wichtig.»
Die Fehler der Taskforce
Ackermann räumt Fehler der Experten ein. Im April etwa warnte die Taskforce vor rapide steigenden Fallzahlen, aber es kam anders. «Wir lagen komplett falsch», sagt Ackermann dem Newsportal Nau.ch. «Ich war brutal überrascht. Manches haben wir offenbar noch immer nicht verstanden.»
«Offenbar hatten die meisten Leute gelernt, sich so zu verhalten, dass sie sich nicht anstecken», sagt er im «Blick». «Das hatten wir unterschätzt. Im Rückblick wünschte ich mir, wir hätten besser realisiert, wie gross die wissenschaftlichen Unsicherheiten damals tatsächlich waren.»
Die positiven Überraschungen
Neben bedrückenden Fall- und Todeszahlen gab es auch positive Erlebnisse in der Pandemie. Als «Schlüsselerlebnis» beschreibt Ackermann bei Nau.ch die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen. Ende 2020 gab es erstmals Studien, «wonach die mRNA-Impfstoffe hervorragend wirken». «Das waren inmitten einer sehr schwierigen Zeit fantastische Nachrichten. Wir hatten plötzlich einen Ausweg, ich sah förmlich das Licht am Ende des Tunnels.»
Positiv bewertet Ackermann auch den Weg, den die Schweiz durch die Pandemie fand – und die Einstellung der Schweizer: «Wir haben den Faktor Mensch schlicht unterschätzt», sagt er der NZZ. «Insgesamt hat die Schweiz keinen schlechten Mittelweg gefunden. Sie hat gezeigt, dass man nicht alles staatlich verordnen muss und viele Menschen auch von sich aus vorsichtig sind. Und was man verordnet hat, wurde von der Bevölkerung gut umgesetzt.»
Die Schwächen der Schweiz
Allerdings beobachtete Ackermann auch, dass der Schweizer Föderalismus in Krisensituationen nicht immer gut funktionierte. «Der Föderalismus hat viele Vorteile», sagt er im «Blick». «Der Föderalismus erschwerte schnelle überregionale Entscheidungen. Wir müssen nicht das ganze System umkrempeln, aber wir müssen sicherstellen, dass wir schnell handeln können, wenn das nötig ist.»
Besonders negativ wirkte sich das im letzten Herbst aus, sagt Ackermann. «Das war die schwierigste Zeit für mich», sagt er. «Wenn es nur schon gelungen wäre, die Welle eine Woche früher zu bremsen, wären viel weniger Menschen infiziert und krank geworden und weniger gestorben.»
Die Bedeutung des Impfens
Die Krise ist noch nicht vorbei, warnt Ackermann. Besonders wichtig sei es, dass sich so viele Menschen wie möglich impfen lassen. «Es gibt die Kinder und eine weitere Gruppe an Menschen, die sich nicht impfen lassen können, auch wenn sie das gerne tun würden», warnt er in «20 Minuten». «Es ist wichtig, dass wir uns weiterhin überlegen, wie wir sie schützen können.»
Es gebe immer noch drei Millionen Menschen, die nicht geimpft seien. «Wir können aktiv etwas tun, um rasch aus dieser Krise rauszukommen – nämlich uns impfen zu lassen», sagt er bei Nau.ch. In der NZZ warnt er: «Laut den Erwartungen der meisten Fachleute wird das Virus nicht verschwinden. Und früher oder später werden sich die allermeisten Menschen anstecken, die nicht geimpft sind.»
Das sei ein Risiko für die Infizierten, warnt er im «Blick»: «Aus gesundheitlicher Sicht ist eine Impfung viel weniger gefährlich als eine Infektion.» Gleichzeitig sei die Bedrohung für das Gesundheitssystem als Ganzes noch nicht gebannt: «Wenn sich die meisten der Nicht-Immunisierten innerhalb von zwei bis drei Monaten anstecken, wäre die Belastung des Gesundheitswesens wieder so hoch wie im vergangenen Herbst», sagt er in der NZZ.
Die schlaflosen Nächte
Für den Wissenschaftler selbst war das Jahr, das er an der Spitze der Taskforce verbrachte, «eine strube Zeit», wie er dem «Blick» sagt. Dass er nachts oft nicht schlafen konnte, gehörte dazu. «So etwas geht an niemandem spurlos vorbei», sagt er zu Nau.ch. «Ich war tatsächlich auch in der Nacht oft wach und hatte Mühe, einzuschlafen.»
Aber er habe aus der Krise auch viel gelernt: «Ich habe noch nie eine derart schwierige Zeit erlebt», sagt er im «Blick». «Das Ausmass an Stress ging weit über das hinaus, was ich zuvor kannte. Ich glaube, ich werde in Zukunft in vielen Situationen sehr viel gelassener bleiben.»
Und, fügt er in «20 Minuten» hinzu: «Es war ein Privileg, die Gelegenheit zu erhalten, bei der Bewältigung dieser Krise mitzuhelfen.»
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