Wolfram Wawrinka im Interview«Wir sassen morgens um 3 Uhr in seinem Zimmer und tranken Champagner»
Der Vater des dreifachen Grand-Slam-Champions erklärt, woher dessen Leidenschaft fürs Tennis kommt. Und wie es war, ihn mit 14 nach Spanien ziehen zu lassen.

Stan Wawrinka ist das inzwischen gewohnt: Mit 39 ist er in Wimbledon der älteste Spieler im Hauptfeld. Und er hat noch lange keine Lust, das Racket an den Nagel zu hängen. Das freut seine Eltern Wolfram und Isabelle, die auch in Wimbledon vor Ort seine Matches verfolgen. Am Mittwoch trifft der Romand auf den Franzosen Gaël Monfils (ATP 33), mit dem er gut befreundet ist.
Wolfram Wawrinka, Sie waren mit Ihrer Frau Isabelle jüngst auch in Roland Garros dabei, als Ihr Sohn im Mitternachtskrimi gegen den Russen Pawel Kotow verlor. Besuchen Sie seine Turniere nun öfter, da er wohl nicht mehr zehn Jahre spielt?
Er hat ja einmal gesagt, er wolle spielen bis 45. Da bleibt also noch etwas Zeit. (lacht) Aber ich glaube, das war ein Scherz. In der Tat verfolgen wir Stan in letzter Zeit etwas intensiver. Zumal wir während Covid und wegen seiner Verletzungen eine Weile ja kaum mehr Gelegenheit dazu hatten. Jetzt kosten wir es nochmals so richtig aus. Es sind immer noch die gleichen Emotionen und es ist die gleiche Anspannung wie früher, wenn wir ihm zuschauen. Es ist eine grosse Freude, zu sehen, wie sehr er das Tennis liebt, mit welcher Passion er mit 39 immer noch dabei ist und mit welchem Eifer er trainiert.
Als Eltern wünscht man sich, dass die eigenen Kinder eine solche Leidenschaft finden im Leben. Woher kam sie bei Stan?
In Saint-Barthélemy, wo wir einen Bauernhof führten, drehte sich alles um Fussball. Lucien Favre ist ja auch von dort. Aber Stan und sein älterer Bruder Jonathan interessierten sich nicht so sehr für Fussball. Also suchten wir einen anderen Sport für sie. Eines Tages fragten sie mich, ob sie es in Echallens mit Tennis versuchen könnten. Da war Stan sieben oder acht. Natürlich begrüssten wir das. Sie trafen Dimitri Zavialoff, der schon im Tennis involviert war und mit dessen Familie wir befreundet waren. So hat alles begonnen.
Spürten Sie da schon, dass Tennis für Stan so wichtig werden könnte?
Nicht wirklich. Es war anfangs noch nicht mehr als eine Freizeitbeschäftigung am Mittwochnachmittag. Wir sagten unseren Kindern: Wir sind froh, wenn ihr eine Leidenschaft findet. Wenn ihr morgen das Racket beiseitelegen und etwas anderes tun möchtet, tut das. Wir haben sie nie gepusht. Es war nicht unser Wunsch, dass sie Tennis spielen. Sie wollten es. Wir haben ja vier Kinder, und alle vier haben richtig gut gespielt, auch unsere beiden Töchter. Auf nationalem Niveau. Ich finde es einfach wichtig, dass junge Menschen eine Passion finden, sei es in der Musik oder im Sport oder anderswo.

Wann wurde es richtig ernst für Stan?
Als er mit 14 zusammen mit seinem Bruder und mit Dimitri Zavialoff als Coach nach Spanien zog, um dort zu trainieren. Sie mussten selber kochen, waschen, bewohnten ein kleines Apartment. Das war eine gute Lebensschule.
War es nicht schwer für Sie, Ihre beiden Söhne so früh ziehen zu lassen?
Ja, sie waren jung. Aber es war ihre Wahl. Das erleichterte es. Für meine Frau war es schwieriger als für mich. Damals gab es ja noch keine Mobiltelefone. Es gab nur das Festnetztelefon, und das war teuer. Wir konnten uns also nicht regelmässig austauschen. Aber die beiden waren so leidenschaftlich, sie wollten das unbedingt. Da wollten wir sie nicht bremsen.
Wie lange lebten Ihre Söhne in Spanien?
Sie waren während dreier Winter dort. Das war günstiger als in der Schweiz, wo Hallenplätze so teuer sind und man um Trainingsstunden kämpfen muss. Stan hat da grosse Fortschritte gemacht. Er war ja nie Schweizer Juniorenmeister, aber er hat sich Schritt für Schritt nach oben gearbeitet. Man kannte ihn noch kaum, als er mit 18 plötzlich das Juniorenturnier von Roland Garros (2003) gewann. Eine Anekdote aus jener Zeit in Spanien fällt mir gerade noch ein.
Bitte.
Der Coach sagte einmal zu Stan: «Du musst eine Stunde im Sand joggen gehen.» Was ja sehr mühsam ist. Er rannte eineinhalb Stunden. Er hatte schon von jung auf einen enormen Antrieb.
Woher kommt der? Von der Mutter oder vom Vater?
Ich sage immer: Den Charakter hat er von der Mutter und die Kraft von mir.

In Roland Garros wurde Stan zuletzt gefeiert wie noch nie. Macht es Sie als Vater stolz, das zu erleben?
Absolut. Man schätzt ihn überall. Und das hat auch mit der Art und Weise zu tun, wie er aufgewachsen ist. Welche Werte wir ihm mitgegeben haben. Ja, das macht mich stolz. Und natürlich sind wir stolz darauf, was er alles erreicht hat. Aber es ist ja noch nicht vorbei.
Befürchteten Sie, es könnte vorbei sein, als er im Frühjahr 2021 mit einer Fussverletzung über ein Jahr ausfiel und zweimal operiert werden musste?
Wo er herkommt, ist unglaublich. Zuerst das Knie, dann der Fuss. Ein Jahr lang musste er kämpfen, und da war er schon 37. Er konnte nicht mehr Treppen steigen, so schlimm war es. Man muss wirklich leidenschaftlich sein, um das durchzustehen. Klar, es hätte sein können, dass es einfach nicht mehr geht. Aber Stan hat alles unternommen, um nochmals spielen zu können. Er sagte immer, er wolle nicht wegen einer Verletzung aufhören.
Was ist Ihre schönste Erinnerung aus seiner Karriere?
Sein erster Grand-Slam-Titel, 2014 in Melbourne. Ich weiss noch, wie wir morgens um 3 Uhr in seinem Zimmer sassen und Champagner tranken. Das war ein Meilenstein. Niemand hatte ihm das zugetraut. Aber er hatte einfach diese Idee im Kopf, dass er es schaffen kann. (schmunzelt) Es ist unglaublich, was für einen Weg er gemacht hat. Natürlich waren auch die beiden anderen Grand-Slam-Titel in Paris und New York wunderschön, und der Davis-Cup-Sieg in Lille, aber der erste war schon magisch.

Aber sein bestes Match war der Paris-Final 2015 gegen Novak Djokovic. Einverstanden?
Ja, es war unfassbar, wie gut er da gespielt hat.
Wo gefällt es Ihnen auf der Tour am besten?
In Melbourne. Da ist alles so wunderbar entspannt, und man hat Platz auf der Anlage. Mir gefällt die Atmosphäre in Australien.
Welchen Eindruck haben Sie momentan von Ihrem Sohn?
Er ist in Form, hat sich wieder eine eindrückliche Fitness erarbeitet. Das sah man auch in Paris, wo er fast vier Stunden spielte. Schauen wir, wohin es ihn noch führt. Wir lassen uns gern überraschen. Wir würden jedenfalls gern noch ein paar weitere Tage in London verbringen. (schmunzelt)
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