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Weg von «Zero Covid»
Wie Taiwan das China-Desaster vermeidet

Taiwan wechselt gerade vom «Zero Covid»- in den «Leben mit Covid»-Modus.
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Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Pandemie erlebt Taiwan gerade seine erste richtig starke Corona-Welle. Über 30’000 Infektionen am Tag werden im Land registriert, bis in drei Wochen könnten es über 200’000 täglich sein. Im Nachbarstaat China haben schon viel geringere Ausbrüche zu den harten und kompletten Lockdowns in Shanghai und anderen Städten geführt – die Szenen von eingeschlossenen Menschen, denen es an Lebensmitteln oder Medikamenten fehlt, gehen seither um die Welt.

Während China weiter an der «Zero Covid»-Strategie festhält und versucht, die Zahl der Infektionen wieder auf null zu bringen, hat Taiwan die chinesischen Lockdowns als «brutal» bezeichnet und einen anderen Weg gewählt. Während die Fallzahlen steigen, werden die Restriktionen nicht etwa verschärft, sondern gelockert. Das neue Motto lautet, «Lernen, mit der Pandemie zu leben». Was bereits in Singapur oder Südkorea funktionierte, soll nun auch auf der Insel vor dem chinesischen Festland gelingen.

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Wobei Taiwan einen entscheidenden Nachteil hat, der eher an die Situation in Hongkong und China erinnert: Über 20 Prozent der Personen über 75 Jahre sind nicht geimpft. Und werden das wohl auch in naher Zukunft nicht sein, denn die Skepsis gegenüber Nebenwirkungen sind in dieser Gruppe zu gross. Fachleute rechnen damit, dass es über fünf Monate dauern dürfte, um auch nur die Hälfte dieser vulnerabelsten Menschen doch noch zu überzeugen.

Einige der ältesten Menschen im Land riskieren aber offenbar lieber eine Ansteckung oder ziehen sich freiwillig in die Isolation zurück. Die Befürchtung ist, dass die aktuelle Omikron-Welle unter den 23,5 Millionen Menschen im Land für über 15’000 Todesfälle sorgen könnte. Dieses Jahr waren es weniger als 100, die meisten davon ungeimpft – und insgesamt starben seit Pandemiebeginn knapp 1000 Menschen in Taiwan an Covid-19. 

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Die Menschen auf der Insel kamen bisher also gut weg, von den rund 350’000 Infektionen verliefen 99,75 Prozent mild oder asymptomatisch, nur gerade 0,2 Prozent starben, sagt der taiwanesische Epidemiologe Chen Chien-jen im «Guardian». Die Taiwanerinnen und Taiwaner verfallen gemäss Chen auch in der aktuellen heftigen Welle nicht in Panik, man merke aber schon, dass Restaurants und Geschäfte leerer seien. Und dies, obwohl Massnahmen teilweise reduziert worden seien, so sei der in den letzten zwei Jahren allgegenwärtige QR-Code, mit dem die Menschen überall eincheckten, um das Contact-Tracing zu vereinfachen, nicht mehr Pflicht. Das gilt auch für Homeoffice oder Maskentragen, die meisten Taiwanerinnen und Taiwaner machen damit aber freiwillig weiter. 

Anders als in China wurden auch Gesundheitsregeln geändert. Mussten zuvor alle Infizierten zwingend in ein Spital, wurde diese Massnahme für die Omikron-Welle aufgehoben, damit die Krankenhäuser nicht überlastet werden. In Hongkong war das Gegenteil der Fall, die Spitäler waren schon überfüllt, bevor die Explosion der Fallzahlen kam, was zu unschönen Szenen von improvisierten Bettenlagern im Freien führte. Einige eingeschränkte Regeln gelten in Taiwan aber weiterhin, wie eine kurze Isolationspflicht für Kontakte von Infizierten, ein ganz entspanntes «Leben mit Corona» sei es noch nicht, gibt die Regierung zu.

Fachleute kritisieren Regierung

Fachleute halten das Umlegen des Schalters von «Zero Covid» auf «Leben mit Covid» aber für absolut richtig, selbst wenn die Voraussetzungen aufgrund der tieferen Impfquote nicht so gut sind wie in Südkorea, Singapur oder Ozeanien, wo weit über 90 Prozent der Ältesten geimpft sind. Ein Desaster wie in China habe so umgangen werden können, aber trotzdem habe die Regierung einige Fehler gemacht, sagt Professor Chan Chang-chuan von der Hochschule für Öffentliche Gesundheit dem «Telegraph». Einerseits wurde die Impfung für Kinder unter 12 Jahren verschleppt, da zu wenig Impfstoff von Pfizer bestellt und bei der Zulassung von Moderna für die Jüngsten zu zögerlich agiert wurde.

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Und andererseits habe die Regierung die Bevölkerung schlecht auf die neue Situation vorbereitet, sagt Chan. Während Singapur den Menschen über Wochen die neue Strategie erklärt habe und wie im Fall einer Infektion vorzugehen sei, sei der Wechsel von «Zero Covid» auf «Leben mit Covid» in Taiwan sehr schnell gekommen, kritisiert der Professor. Das sei auch ein Grund dafür, dass kürzlich die Todesfälle eines zweijährigen Buben und einer jungen Frau für Aufsehen gesorgt hätten. Bei beiden wurde zu spät Covid-19 diagnostiziert.

Auch die Impfkampagne der älteren Bevölkerung hätte besser verlaufen können, sagt Chan. Man müsste ihnen einerseits die Teilnahme am öffentlichen Leben ohne Impfung erschweren und andererseits bessere Unterstützung geben, damit sie den Piks zu Hause erhalten könnten, anstatt in ein Impfzentrum oder eine Arztpraxis gehen zu müssen.

Massnahmen «kurzfristig ausgedacht»

Auch der taiwanische Biologe Chase Nelson kritisiert die Regierung. Sie habe zwar richtigerweise erkannt, dass «Zero Covid» mit Omikron nicht mehr aufrechterhalten werden könne und die Massnahmen reduziert werden müssten, solange die Impfungen bei den meisten Leuten noch frisch seien. Trotzdem habe man dies schlicht zu wenig kommuniziert, sagt Nelson im «Telegraph». Er habe das Gefühl, wie schon oft in der Pandemie, dass Massnahmen sehr kurzfristig ausgedacht worden seien. Das führe bei den Menschen zu Verwirrung und sei kein gutes Vorgehen gewesen, sagt Nelson.

Plötzlich sind sie selbst für ihren Schutz verantwortlich: Menschen stehen im Hauptbahnhof von Taipeh für eine Corona-Impfung an.

Auch Epidemiologe Chan kritisiert die zögerliche Kommunikation der Regierung, sieht die Probleme aber etwas anders. Er sagt, es gingen derzeit noch zu viele Leute ins Spital, die sich besser zu Hause isolieren und eine milde Erkrankung auskurieren sollten. Das Personal sei deswegen bereits am Anschlag, was hätte verhindert werden können, wenn die Menschen frühzeitig über die neue Strategie informiert worden wären. Zudem gebe es zu wenig Selbsttests, die Apotheken erhielten nur noch ganz wenige, und diese seien jeweils schon frühmorgens ausverkauft.

Milde Welle dank «Zero Covid»

Infektiologe Yen Muh-yong stimmt den anderen Fachleuten bei ihrer Kritik an der aktuellen Situation zwar zu. Insgesamt sei Taiwan in der Pandemie aber sehr gut gefahren, sagt Yen im «Guardian». Die zweijährige «Zero Covid»-Phase habe es ermöglicht, alle Impfwilligen mit guten Vakzinen zu schützen, während die Opferzahlen sehr gering gewesen seien. Gleichzeitig seien die Geschäfte meistens geöffnet gewesen, es habe nur lokale Lockdowns gegeben, die Wirtschaft habe genauso wie die Menschen profitiert.

Das ist umso erstaunlicher, als das Virus den Weg von Wuhan nach Taiwan sehr schnell fand: Schon am 21. Januar 2020 registrierte das Land den ersten Fall. Nach dem Sars-Ausbruch 2003 war Taiwan aber bereits auf eine solche Pandemie vorbereitet und konnte schnell wirksame Massnahmen ergreifen. Dazu gehörte auch ein kompletter Einreisestopp für Auswärtige ab Mitte März 2020 und strikte, lange Quarantänepflichten für Taiwanerinnen und Taiwaner.

Aufgrund der Impflücken werde es nun im «Omikron-Tsunami» zwar noch viele Todesopfer geben, sagt Yen, im Vergleich zu anderen Ländern habe «Zero Covid» Taiwan aber vor den schlimmsten Folgen der Pandemie verschont. Nun müsse sich das Land der Welt wieder öffnen und zeigen, dass nach zwei Jahren Abschottung eine ruhige und besonnene Rückkehr zur Normalität möglich sei.