Musik und DiversitätHat die Klassik ein Rassismusproblem?
Man sagt, klassische Musik sei eine «weisse» Kunstform. Das ist nicht ganz richtig. Aber fast. Und es wird zunehmend als Problem empfunden.
Eigentlich ist das klassische Musikleben ja bemerkenswert multikulturell: In einem durchschnittlichen europäischen Sinfonieorchester spielen Menschen aus rund zwanzig Nationen zusammen; das schafft selbst bei grossen Bemühungen um Diversität kein Schauspielensemble. Musik funktioniert nun mal ohne Worte, und der Ausbildungsbetrieb ist längst global vernetzt.
Dennoch gilt die klassische Musik als «weisse Kunstform» par excellence – und auch das hat seine Gründe. Denn auf den Programmen stehen fast ausschliesslich Werke von weissen Komponisten, gehört werden sie von einem nicht besonders internationalen Publikum. Und selbst die Vielfalt in den Orchestern ist eine lückenhafte: Zwar gibt es viele asiatische Musikerinnen und Musiker, aber nur sehr wenige schwarze.
Das ist nicht nur in Europa so, sondern auch in den USA, wo «People of Color» nur rund 2 Prozent der Orchestermusiker ausmachen. Das mag zum Teil daran liegen, dass es Jazz oder Hip-Hop mehr ziehen als Beethoven. Aber dass es ein Problem gibt mit der Zugänglichkeit zu klassischen Karrieren, darüber sind sich alle einig.
Und es soll sich ändern: Dies verspricht jedenfalls die New York Philharmonic in einem kürzlich veröffentlichten «Commitment to Change». Man wolle die aktuellen Debatten nutzen, um in Besetzung, Programmierung und Nachwuchsförderung Grundlegendes zu verändern, heisst es darin: «Es wird ein längerer Prozess sein, aber einer, der sofort beginnt.»
Karrieremöglichkeiten schaffen
Anderswo hat er bereits begonnen. Beim britischen Chineke! Orchestra etwa, das 2015 von Chi-chi Nwanoku gegründet worden ist. Die Kontrabassistin hat unter anderem dreissig Jahre im renommierten Orchestra of the Age of Enlightenment gespielt, unterrichtet an der Royal Academy of Music – und ist mit ihrem ethnisch vielfältigen Ensemble inzwischen an den populären Londoner Proms angekommen.
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Schon das Debütkonzert hatten Nwanoku und ihre Verbündeten bewusst vor Publikum gespielt, das halb weiss war, halb «of Color»: Sie suchen nicht die Nische, sondern die Normalität. Darum ist auch die Jugendarbeit ein zentrales Anliegen der Chineke! Foundation: Es geht darum, Karrieremöglichkeiten zu schaffen, mit einem Jugendorchester und der Betreuung im Vorfeld von Wettbewerben, mit der Vermittlung von Stipendien und Schulprojekten.
Jessye Norman hat viele Nachfolgerinnen
Auch andere Initiativen zielen in diese Richtung. Nach dem Vorbild des venezolanischen El Sistema gibt es mittlerweile in vielen Ländern (mit Superar Suisse auch in der Schweiz) Organisationen, die Kindern aus nicht klassisch orientierten Elternhäusern den Zugang zur Orchestermusik ermöglichen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie vermehrt an den Musikhochschulen und auf den Konzertpodien auftauchen.
Auf der Opernbühne sind sie schon. Dort hat inzwischen eine junge Generation Jessye Norman oder Simon Estes abgelöst. Und wenn Pretty Yende, Lawrence Brownlee oder Latonia Moore die grossen Verdi-Partien singen, ist ihre Hautfarbe längst kein Thema mehr.
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Auch bei den Dirigenten finden Pioniere wie James DePreist zunehmend Nachfolger. Alpesh Chauhan etwa, Brite mit indischem und westafrikanischem Hintergrund, ist Chefdirigent bei der Filarmonica Arturo Toscanini in Parma und bald auch an der Birminghamer Oper; der Afroamerikaner Michael Morgan leitet das Oakland Symphony Orchestra.
Auch die Frauen mussten kämpfen
Wie es weiter gehen könnte, sieht man an der Geschichte einer weiteren Minderheit in der Klassikwelt: Bei den Frauen. Auch bei ihnen war der Weg in die Selbstverständlichkeit ein mühseliger. Die Wiener Philharmoniker nahmen erst 1997 ihr erstes weibliches Mitglied auf, und es ist noch nicht lange her, dass Dirigentinnen gefragt wurden, was sie denn so anziehen bei Konzerten. Heute ist vielleicht noch nicht alles perfekt, aber vieles deutlich besser.
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Und dennoch: Eine Asymmetrie wird sich nie aus der Welt schaffen lassen. Denn die klassische Musikgeschichte war nun mal während Jahrhunderten weit überwiegend weiss und männlich. Selbst wenn man zunehmend Werke von Pauline Viardot oder Francesca Caccini aufführt; selbst wenn die Kammermusik von Samuel Coleridge-Taylor neu entdeckt wird und die Violinkonzerte von Joseph Bologne in die Programme rücken, ohne dass man ihn als «schwarzen Mozart» bezeichnet: Ein ideales Abbild der heutigen Gesellschaft wird sich im Repertoire der Vergangenheit nie finden lassen.
Was dagegen möglich ist: Dass die heutige Gesellschaft dieses Repertoire neu gestaltet, diskutiert, weiterentwickelt. Damit wäre alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.
Unter dem Hashtag #BeethovenIsBlack diskutiert die Twitter-Gemeinde darüber, ob der Komponist Ludwig van Beethoven schwarz war. Lesen Sie hier mehr.
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