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E-Commerce mit Grossbritannien
Wie eine Schweizer Firma vom Brexit profitiert

Lastwagen warten Anfang März auf die Zollabfertigung neben einer Autobahn in Grossbritannien.

Onlinehändler mögen keine Sonderfälle. Das Kleid, die Brille, die Outdoorausrüstung müssen reibungslos und in kürzester Frist vom Hersteller zum Kunden geliefert werden. Im EU-Binnenmarkt ist das alles kein Problem mehr. Und auch der Onlinehandel mit dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz hat sich weitgehend reibungsfrei etabliert.

Diese Art von grenzüberschreitendem Handel zwischen EU-Staaten und der Schweiz ist das Geschäftsmodell des St. Galler Familienunternehmens MS Direct. Das 1978 gegründete Unternehmen beschäftigt heute über 1000 Mitarbeitende an sieben Standorten und bietet Versandhändlern und E-Commerce-Unternehmen zahlreiche Dienstleistungen an. Das reicht von der Auslagerung von Callcentern bis zur Softwarelösung.

Die Bürokratie regiert an der Grenze

Und dann kam der gefürchtete Sonderfall: Grossbritannien verabschiedete sich am 1. Januar dieses Jahres aus dem EU-Binnenmarkt. Die britische Bürokratie lief zur Hochform auf, es galten plötzlich neue Zölle, neue Formulare, neue Deklarationen, neue Zertifikate, neue Zollnummern, neue Abgaben. (Lesen Sie hier mehr dazu: Das bedeutet der Brexit für die Schweiz.)

Nun ist das Königreich im E-Commerce nicht ein Land wie viele andere: Mit einem Volumen von 113 Milliarden Euro ist der britische E-Commerce-Markt der grösste Europas, mit phänomenalen Zuwachsraten in den letzten Jahren. Bei den E-Commerce-Ausgaben pro Kopf sind die Briten weltmeisterlich unterwegs.

Paketdienste und Onlinehändler verzweifelten

Weil das Handelsabkommen mit der EU überaus kurzfristig zustande kam, überstürzten sich die Ereignisse. Die Bilder von riesigen Staus mit Lastwagen, die Waren nach Grossbritannien liefern wollten, gingen um die Welt. Unternehmen wie der deutsche Paketdienst DPD stellten die grenzüberschreitende Beförderung von Paketen vorübergehend ein. Der deutsche Modehändler Gerry Weber strich das Inselreich ebenfalls vorübergehend ganz von der Lieferliste.

Fehlende oder unkorrekte Daten führten dazu, dass sowohl auf dem Kontinent als auch in Grossbritannien massenhaft Waren zerstört wurden, weil sich eine Rückführung von und nach dem Inselreich nicht mehr rechnete.

Im Januar waren die Einfuhren nach Grossbritannien um zwei Drittel vom normalen Niveau abgesackt.

Rechnet mit vielen Neukunden aus dem EU-Raum: Vincenzo Montinaro, Mitglied der Geschäftsleitung von MS Direct.

Bei MS Direct klopfen seither Hilfe suchende Versandunternehmen aus dem EU-Raum an. Es sind in der Regel mittelgrosse E-Commerce-Firmen wie zum Beispiel das in Berlin ansässige Optikunternehmen Mister Spex, das seine Produkte, also Brillen und Gläser, auch online anbietet. Sogar einen Sehtest über Smartphone und Computer findet sich im Angebot. Zu den neuen Kunden gehört auch der deutsche Outdoorspezialist Bergfreunde. Weitere 15 Onlinehändler stehen zurzeit auf der Liste.

«Wir rechnen in diesem Jahr mit 25 bis 30 Neukunden», erklärt Vincenzo Montinaro, Mitglied der Geschäftsleitung. Und in dieser Grössenordnung soll es in den nächsten drei bis vier Jahren weitergehen. Das grenzüberschreitende Geschäft mit Grossbritannien soll in diesem Jahr laut Montinaro auf 15 bis 20 Prozent des gesamten grenzüberschreitenden Geschäfts anwachsen. Was das in Umsatzfranken bedeutet, macht das Familienunternehmen nicht publik.

Man sieht sich in einer Pionierrolle im E-Commerce. Wie lange die St. Galler diese Karte noch ausspielen können, ist nicht klar. «Uns ist bewusst, dass verschiedene Konkurrenten an einer Lösung arbeiten», so Montinaro.

IT-Spezialisten werden gesucht

Das schafft einstweilen neue Arbeitsplätze. «Bei unserer Lösung für das Grossbritannien-Geschäft handelt es sich im Wesentlichen um eine datengetriebene, integrierte Softwarelösung», erklärt Montinaro. Gesucht würden deshalb Spezialisten in den Bereichen IT und Verzollung. Die zu finden, so lässt man in St. Gallen durchblicken, sei nicht einfach.

Dem Kunden sollen die komplizierten Vorschriften an der Grenze abgenommen werden. Dazu gehört etwa die Zolldeklaration, die dadurch erschwert wird, dass die Zolltarifnummern in der EU und neuerdings in Grossbritannien nicht mehr identisch sind.

Mit künstlicher Intelligenz gegen die Papierflut

Weil das auch zwischen der EU und der Schweiz so ist, tat sich MS Direct mit der Hochschule St. Gallen zusammen und erarbeitete eine Lösung auf der Basis von künstlicher Intelligenz. Diese Lösung soll auch auf das Geschäft mit Grossbritannien ausgedehnt werden.

Waren aus der EU werden innerhalb von 48 Stunden den Endkunden in Grossbritannien zugestellt. Laut MS Direct lässt sich durch ein effizientes lokales Retourenmanagement auch die Gefahr minimieren, dass retournierte Ware in der Kehrichtverbrennungsanlage endet.

Die St. Galler arbeiten mit einem Zollbroker in Grossbritannien zusammen. Auf diese Weise kommen Onlinehändler um die Verpflichtung herum, im Inselreich einen eigenen Standort zu begründen. Über diesen Broker werden auch Abgaben und Gebühren abgerechnet, die vom Händler getragen werden. Der Endkunde in Grossbritannien merkt von alldem nichts.

Für die eigentliche Logistik, also den Transport von und nach Grossbritannien, arbeitet MS Direct ebenfalls mit lokalen Firmen in Grossbritannien zusammen.