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Mist als Schatz für die Armen
Wie die heilige Kuh in Indien beim Bauen hilft

Für die Hindus sind Kühe heilig: Eine Frau verneigt sich in einem Ritual vor einem Rind. 

Es ist so eine Sache mit den Kühen in Indien, sie stehen und trotten überall herum, mitten auf der Strasse, wenn man zum Beispiel aus Delhi rauswill, in den Vorort Rohtak. Da geht es etwa drei Stunden ruckelnd durch den Stadtverkehr und dann über den Zubringer, den die protestierenden Bauern immer noch blockieren. Kühe überall. Und hier soll es ja auch um Rinder gehen beziehungsweise um das, was sie hinterlassen, um die Fladen – und wozu man sie brauchen kann.

In Indien soll es etwa 300 Millionen Kühe geben, genau weiss das niemand. Die in der Landwirtschaft werden nicht wirklich gezählt, und die streunenden, die keine Milch mehr geben oder keinen Karren mehr ziehen können, sind auch noch unterwegs. Für die Hindus sind Kühe heilig. Es gibt allerdings laut einer Untersuchung der Weltbank von Anfang dieses Jahres auch etwa 364 Millionen Inderinnen und Inder, die man als arm bezeichnen muss, sie haben vielleicht eine Kuh, aber keine richtige Arbeit. Und das sind noch die Zahlen aus der Zeit vor der Pandemie, die ganz Südostasien in eine neue Rekordarmut getrieben hat.

Die Wandfarbe wurde mal von Rindern verdaut

Ashish Dahija (39) wartet schon, um die letzten Meter zu seiner Werkstatt vorauszufahren, weil die Strassen hier nicht mehr befestigt sind oder noch nicht fertig, wer weiss das schon. Seine Frau und drei Passagiere quetschen sich in den kleinen Maruti Suzuki und lenken durch tiefe Pfützen, sonst würde man das Gebäude nie finden.

«Nur eine Rupie kostet so ein Ziegel», sagt jetzt Ashish Dahija und hält seinen Gästen einen seiner Ziegel unter die Nase, «riechen Sie.» Er duftet zart nach Lehm, aber nicht nach Kuhmist, aus dem er gemacht ist. «Normalerweise kostet ein Backstein fünf Rupien», sagt Dahija und führt durch den Flachbau, der so etwas wie ein Showroom für Mist ist und für das, was man aus ihm machen kann.

Kuhmist ist wertvoll: Eine Frau trocknet Dung zum Heizen und für das Feuer zum Kochen. 

Der Unterlagsboden ist aus Kuhdung, die Wände sind mit Verputz aus demselben Material geglättet, sogar die Wandfarbe wurde mal von Rindern verdaut, bevor sie in einem simplen Verfahren verdünnt, aufbereitet und mit Pigmenten versehen wurde. Die Palette reicht von Ziegelrot über Royalblau bis zu Mangogelb, alles eher schlammig im Grundton, durchaus ansehnlich. Ashish Dahija geht jetzt von einem Thermometer zum anderen, sie zeigen die Aussentemperatur: 40,2 Grad – die Innentemperatur: 33,8 Grad.

Vedic Plaster nennt sich die Organisation, die versucht, aus Mist etwas zu machen, das jeder braucht. Ihr Baustoff wirke nicht nur kühlend, sondern brauche auch viel weniger Flüssigkeit in der Herstellung als herkömmliche Baustoffe. Ein Kollege von Dahija schüttet jetzt Wasser auf den Boden, um zu zeigen, dass alles trittfest bleibt, obwohl das Wasser schnell einsickert. Nicht unwichtig, gerade in der Monsunzeit, wenn einmal am Tag alles für ein bis zwei Stunden in den Fluten versinkt. «Der Boden kann atmen, die Wände auch», sagt Ashish Dahija und schüttet jetzt noch Wasser auf die Wand, die nach schwerem Regen riecht und überraschend schnell wieder trocken ist.

Der Polizist und seine Familie setzen ganz auf Mist: Ashish Dahija.

Ashish Dahija ist Polizist, seine Frau, die sich hier ebenfalls ehrenamtlich engagiert, arbeitet im Ministerium für Sport, ein Kollege im Strassenbau, ein anderer war früher bei der Armee. Sie stellen Ziegel und Farben in kleinen Mengen her und geben Kurse, damit die Leute aus den Dörfern alles auch selber herstellen können. Hinten im Hof steht eine Hütte in der Hitze, auf die zwei Rinder gemalt worden sind, Ochs und Kuh, die das Haus sozusagen vorverdaut haben.

«Zwei Kühe geben in einem Jahr den Mist für eine Hütte ab.»

Ashish Dahija, Polizist und Unternehmer

Die Ziegel, der Verputz, sogar die Bemalung ist aus Mist gemacht worden. «Zwei Kühe geben in einem Jahr den Mist für so eine Hütte ab», sagt Dahija und stapft barfuss durch den Schlamm, den der heftige Regen im Hinterhof hinterlassen hat. Die Idee mit dem Kuhdung ist nicht neu, schon früher, also kurz nachdem die Menschheit die Höhlen verlassen hatte, wurde damit abgedichtet. Auch Hütten wurden schon so gebaut oder eher zusammengemörtelt. Neu ist das mit den Ziegeln, die Form und Halt bieten. Mist ist immer auch Rohstoff gewesen. Waren die Fladen trocken, hat man sie zum Heizen und für das Feuer zum Kochen verwendet.

Dieses kleine Haus aber, etwa zehn Quadratmeter Grundfläche, innen drei Meter hoch, wurde komplett und stabil aus Kuhmistziegeln gebaut, dazu ein paar Bambusstangen. So etwas kann in einem Unwetter den Unterschied zwischen Leben und Tod machen. Trotz der Sturzbäche, die gerade erst heruntergekommen sind, ist es hier drinnen relativ trocken geblieben, nur die Luftfeuchtigkeit ist hoch.

Vom Blumentopf zur Handyhalterung

Die Ziegel brauchen ausser Mist noch ein wenig Gips, Sand und Wasser, das alles wird gestampft mit blossen Füssen, Dahija und ein Kollege machen das vor. Dann wird die Masse in eine Form gestrichen und in die Sonne gestellt, bis alles fest wird. Die Ziegel sind ein bisschen leichter als normale Bausteine und nicht mehr brennbar. Ashish Dahija erklärt noch dies, zeigt noch jenes, einen Blumentopf aus Vedic Plaster und eine Handyhalterung. Es gibt so viel, was man aus Mist machen könnte in diesem Land, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer mehr werden.

Im Stau zurück nach Delhi sieht man mehr als nur Kühe, man bemerkt auch überall rote Ziegelstapel und aus Ziegeln gebaute Hütten und Häuser, manche verfallen, einige sind noch nicht fertig. Die Menschen werden irgendwann weiter daran arbeiten, wenn ein paar Rupien da sind, die Menschen, die sich hier vor Delhi eine Existenz aufbauen wollen. Vielleicht können ihnen die vielen Kühe dabei helfen.