Digitaler RiechsinnWerden Parfums bald von Maschinen gemischt?
Künstliche Intelligenz kann immer besser Gerüche erkennen. Die Möglichkeiten, die sich ergeben, sind berauschend – aber auch gefährlich.
Sicher gibt es noch genügend Grenzen zwischen Mensch und Maschine. Manche Dinge wird künstliche Intelligenz (KI) – wahrscheinlich – nie lernen. Gefühle, Verständnis und Kreativität zum Beispiel. Der Eindruck, dass Maschinen in Konkurrenz zu ihren Schöpferinnen und Schöpfern treten, verstärkt sich aber trotzdem – zumal Maschinen nun riechen können.
Die Datenmenge, die Nase und Gaumen ohne Unterlass verarbeiten, ist gewaltig. Für die Unterscheidung von Gerüchen gibt es im menschlichen Körper rund 400 Geruchsrezeptoren. Die Rockefeller University in New York bereitete einen Test vor, bei dem 476 Geruchsstoffe mit 19 Begriffen wie «fischig», «süss» oder «verbrannt» eingeordnet werden sollten. Die Probanden sollten gleichzeitig beurteilen, wie intensiv oder angenehm ein Geruch ist. Das Endergebnis war ein Datensatz mit über einer Million Messwerten.
Entwicklungszeit von Parfums verkürzen
Der war Grundlage für die «Olfaction Prediction Challenge», ein Wettbewerb für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bei dem es darum ging, Modelle zu finden, die anhand der physikalischen und chemischen Eigenschaften eines Moleküls vorhersagen können, wie es riecht. Kommerzielle Anwendungen für diese Erkenntnisse gibt es genug. Die Mischung von Parfums ist dabei ein Traumziel. Nimmt man etwa den Klassiker Chanel No 5, der 1921 das erste Parfum mit einer Komposition aus verschiedenen Duftstoffen war, versteht man rasch, dass sich die Zeit für die Entwicklung mit einer olfaktorischen KI enorm verkürzen würde.
Chanel No 5 besteht aus 31 verschiedenen Duftstoffen. Die Kopfnote ist dabei ein sogenannter Akkord aus drei Aldehyden: C10 kommt in der Natur im Orangenöl vor, C11 in Korianderblättern, C12 in Pomeranzen. Danach nimmt die Nase die Mittelnote aus Jasmin, Rose, Maiglöckchen, Iris und Ylang-Ylang wahr und schliesslich die Basisnote aus Süssgras, Sandel- und Zedernholz, Vanille, Patschuli, Zibet und Moschus.
Vor der Parfum- gibt es noch die Lebensmittel-, Haushaltswaren-, Auto- und Maschinenindustrie, die sich für solche Anwendungen interessieren. Das Start-up-Unternehmen Aryballe aus Grenoble richtet sich etwa vor allem an Firmen, die Fahrzeugflotten unterhalten, die durch KIs herausfinden könnten, welche ihrer Wagen zur Reinigung aus dem Verkehr gezogen werden sollten. Schon mal ein Sharecar gefahren, das riecht, als hätte die Vornutzerin oder der Vornutzer Knoblauchwurst und eine Schachtel Zigaretten verputzt?
Messlatte ist nicht etwa der Mensch, sondern der Hund
Die Nahrungsmittelindustrie würde laut Aryballe vor allem davon profitieren, dass die Qualitätskontrolle automatisiert werden könnte. Eine Anwendung, die bei entsprechender Marktreife auch die Hersteller von Küchengeräten interessieren dürfte. Warum sollte der Kühlschrank nicht feststellen, welche Nahrungsmittel noch zum Verzehr geeignet sind und welche nicht? Und dann ist da noch die Industrie für Konsumgüter. Das kann alles sein. Die buchstäbliche Duftmarke eines Autos, eines Waschmittels oder eines Duschgels gehört zu den aufwändigsten Entwicklungsprojekten, die es gibt.
Auch wenn die Erforschung der menschlichen und die Entwicklung der künstlichen Geruchsempfindung noch am Anfang steht, ist der Weg schon klar: Je mehr Kriterien, Prädikate, Molekülstrukturen und Wirkstoffe in die Datensätze eingegeben werden, desto vielfältiger und präziser werden die Anwendungen. Messlatte ist ja gar nicht der Mensch, sondern der Hund. Hunde können Krankheiten, Drogen und Flüchtige aufspüren. Das deutet auch schon an, wo die Möglichkeiten und Gefahren liegen.
Künstliche Intelligenzen, die mithilfe biochemischer Sensoren Krankheiten, Giftstoffe oder Gase aufspüren, können Leben retten. Schnüffel-KIs können dagegen der Überwachung ganz neue Tore zur Finsternis öffnen. Jeder Mensch hat einen olfaktorischen Schlüssel, der ihn identifiziert. In nächsten Schritten könnten Geruchssensoren Angst und Nervosität identifizieren.
Ein Trost mag da sein: Selbst eine Maschine, die Gerüche besser als ein Mensch oder gar ein Hund identifizieren kann, wird sie nie erleben. Egal ob der Duft von Chanel No 5, frischem Brot oder einem Veilchenstrauss – für eine KI sind es nur biochemische Daten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.