Kämpferin für DiversitätWer ist die Frau, die das Internet entgiften will?
Tracy Chou gilt als inoffizielle Diversitätsbeauftragte des Silicon Valley. Dadurch hat sie viel Hass auf sich gezogen. Jetzt hat sie eine App entwickelt, um sich dagegen zu wehren.

Es dauerte nur Augenblicke, bis die Meute losschlug. Tracy Chou hatte ein «Ask Me Anything» auf der digitalen Plattform Reddit gestartet, ein Live-Interview mit dem gesamten Internet also. Die Resonanz war immens, und das war in diesem Fall nicht gut, denn der hässliche Teil des Internets kennt ihren Namen.
Chou versuchte, die Fragen zu beantworten, die ihr gestellt wurden, sprach über die Themen, die sie beschäftigen: über Filterblasen und Polarisierung, Diversität und Inklusion, künstliche Intelligenz, Aktivismus, rassistische Vorurteile – aber ihre Beiträge wurden tausendfach als minderwertig markiert und rutschten gemäss den Mechaniken von Reddit auf der Seite nach unten, wurden damit quasi unsichtbar, während sich ihr Bildschirm mit Hass füllte, unendlich viel Hass.
Zwar gab es auch viel Zuspruch von Menschen, die diese Themen für wichtig halten, denn auch dieser Teil des Internets kennt ihren Namen, doch die Pöbler waren einfach in der Überzahl. Die Sturmflut aus Beleidigungen schwappte in ihre Reddit-Direktnachrichten, auf Twitter, schliesslich auf die Seite ihres Start-ups Block Party, dessen Ansatz für ein besseres Internet sie bei dem «Ask Me Anything» eigentlich vorstellen wollte.
Bittere Ironie
«Es fühlte sich an, als habe mich ein gewalttätiger Mob überfallen und auf den Boden gedrückt, mich geknebelt und mich verletzt», schrieb sie später in einem Blog-Artikel. Die Ironie sei ihr übrigens nicht entgangen, dass all diese Belästigungen sie trafen, weil sie öffentlich darüber sprechen wollte, wie es ist, eine «Anti-Belästigungs-Software» zu programmieren.
Nun, acht Monate später, ist diese Software gestartet und Chou gibt in einem Video-Interview Auskünft darüber. Irgendwo ausserhalb des Bildbereichs ihrer Webcam entriegelt sich unter aggressivem Summen immer wieder eine elektronische Tür, so als sei jemand in ihr Büro hereingeplatzt. Sie nickt freundlich, streicht sich die seidigen, schwarzen Haare zurück. Sie ist einverstanden, zunächst einmal nicht über die Software, sondern über sich selbst zu sprechen. Es geht darum zu verstehen, woher all der Hass kommt, woher die viele Zuneigung, die ihr entgegenschlägt. Wie sie auf den Titelseiten von Tech-Magazinen, aber auch in der «Vogue» gelandet ist. «Sicher», sagt sie, aber dafür müsse sie etwas ausholen.
«Es ist viel Positives am Versprechen des Internets, jeden mit jedem zu vernetzen, aber dadurch ist auch die Zahl der Leute, die einen belästigen können, enorm gestiegen.»
Sie erzählt dann, wie sie ihren Eltern, taiwanesischen Immigranten, dabei half, Kisten mit Disketten zu füllen, auf denen eine selbstgeschriebene Datenbank-Software gespeichert war. Grüne Zahlen auf schwarzem Grund, die das Mädchen faszinierten. Heute würde man sagen, ihre Eltern hatten ein Start-up, damals hiess so was einfach Firma. Sie wohnten in der südlichen San Francisco Bay Area, in jener sonnendurchfluteten Gegend am Meer, die man heute auf der ganzen Welt kennt und schon damals Silicon Valley nannte. «Eigentlich wäre mein Weg in die Tech-Industrie vorgezeichnet gewesen», sagt Chou. Eigentlich. Wäre da nicht ihr Geschlecht.
Sie studierte an der Elite-Universität Stanford, der Campus war nur ein paar Minuten Autofahrt von ihrem Elternhaus entfernt. Trotz Bestnoten in Elektrotechnik und Computerwissenschaften riet man ihr, vielleicht etwas mit Marketing zu versuchen, irgendwas, das nichts mit Programmieren zu tun hat. Chou machte trotzdem Praktika als Software-Entwicklerin, unter anderem bei Google. «Sehr cooles Silicon-Valley-Unternehmen, aber eine Menge unangemessenes Verhalten», sagt sie. Auch bei Facebook war sie: «Es gab dort die Einstellung, besser als die Nutzer selbst zu wissen, was die Nutzer wollen». Sie landete dann bei der Frage-Antwort-Plattform Quora, bevor sie als leitende Entwicklerin zu Pinterest wechselte, um Online-Pinnwände zu programmieren.

Zu dieser Zeit, in den frühen Nullerjahren, bildete sich im Netz eine neue politische Kultur heraus, vor allem auf der Plattform Tumblr, von wo aus sie sich schnell verbreitete. Minderheiten, die in den Geschichten der Mehrheitsgesellschaft zuvor nur Statisten gewesen waren, begannen mithilfe der neuen digitalen Publikationskanäle selbst von sich und ihrem Leben zu erzählen, gesellschaftliche Anerkennung zu fordern. Tracy Chou war Teil dieser Bewegung, dieser Generation. Sie begriff, dass es nicht ihre Schuld gewesen war, wenn sie sich in der Gegenwart einiger männlicher Kollegen unwohl gefühlt hatte. Sie fing an, das als Problem der Tech-Industrie zu sehen.
Aber wie gross war dieses Problem? Bei einer Konferenz im Jahr 2013 hörte sie, wie Facebooks Nummer zwei, Sheryl Sandberg, sagte, die Zahl von Frauen in der Tech-Industrie nehme sogar ab. Woher weiss sie das, dachte Chou, es existierten doch gar keine Daten. Die Unternehmen gaben keine Informationen heraus, wie sich ihre Belegschaft zusammensetzt, angeblich seien das Geschäftsgeheimnisse. Chou sprach mit ihren Chefs. Dann verfasste sie einen Blog-Artikel mit der Überschrift «Wo sind die Zahlen?». Als Softwareentwicklerin, so schrieb sie, könne sie sich nicht vorstellen, «ein Problem zu lösen, bei dem die Metriken, an denen wir unsere Erfolge messen wollen, verschleiert werden». Also fange sie jetzt einfach mal an: Bei Pinterest seien elf von 89 Entwicklern Frauen.
Zu lange übersehen
Und tatsächlich: Innerhalb einer Woche teilten mehr als 50 Unternehmen, darunter Dropbox, Reddit und Mozilla, den Frauenanteil unter ihren Entwicklern mit. Ihr Blog-Artikel landete auch, so wurde ihr erzählt, auf dem Schreibtisch von Google-Gründer Larry Page. Im Mai 2014 veröffentlichte der Konzern seinen ersten Diversitätsbericht, Facebook, Apple, Yahoo, Twitter und andere zogen nach. In allen Berichten zeigte sich dasselbe Bild: Das Internet wurde von weissen Männern programmiert.
Deshalb seien die negativen Auswüchse des Internets, die Frauen und Minderheiten besonders beträfen, zu lange übersehen worden, sagt Chou heute. «Es ist viel Positives am Versprechen des Internets, jeden mit jedem zu vernetzen, aber dadurch ist auch die Zahl der Leute, die einen belästigen können, enorm gestiegen.» Theoretisch könne nun jeder Mensch auf der ganzen Welt einen blöd anquatschen.

Im Jahr 2016 gründete Chou zusammen mit einigen anderen Frauen aus dem Silicon Valley «Project Include». Die gemeinnützige Organisation unterstützt Tech-Unternehmen dabei, vielfältiger zu werden. Inzwischen hat sie ein neues, eigenes Projekt. Ihr Start-up Block Party will den Hass aus dem Netz filtern. Aber nicht so, wie es die sozialen Plattformen seit dem vergangenen Jahr verstärkt tun, indem sie problematische Nutzer verbannen. Und auch nicht durch die Zukunftsstrategie, auf die vor allem Mark Zuckerberg gegenüber dem US-Kongress gern verweist, nämlich Algorithmen darauf zu trainieren, problematische Inhalte zu erkennen und zu sperren.
Sie sei kein Fan von Sperren, sagt Chou. Bei Block Party gehe es nicht um die Inhalte, die klar verboten sind und um die sich die Plattformen selbst kümmern sollen, sondern um die täglichen «Sandkastenbeschimpfungen», wie sie das nennt. «Wenn mir jemand schreibt, dass ich hässlich bin, dann sollte diese Person dafür nicht von der Plattform geworfen werden. Ich will es nur einfach nicht sehen.»
«Eine Pause von diesem Gift»
In einem Beitrag für das Tech-Magazin «Wired» argumentierte sie jüngst, dass schon die Idee der «Moderation» von Inhalten mit einem Grundfehler behaftet sei, unabhängig davon, ob nun superschlaue Algorithmen oder, bis es so weit ist, Heere schlecht bezahlter «Klickarbeiter» dafür zuständig sind: Immer entscheiden die Plattformen von oben herab, was die Nutzer aushalten können, was erlaubt ist und was nicht. Aber weil sich das von Person zu Person stark unterscheide, werde gleichzeitig zu viel und zu wenig herausgefiltert.
Chous App funktioniert derzeit nur mit Twitter, aber andere Plattformen sollen folgen. Sie erlaubt es, bestimmte Typen von Inhalten in einen separaten Ordner, eine Art Giftschrank, zu verschieben – zum Beispiel Tweets von Nutzern ohne Profilfoto. Oder man bekommt nur noch das angezeigt, was Freunde von Freunden schreiben, je nach Einstellung. Block Party erweitert also die reguläre Blockierfunktion der Plattform. Denn ohne sie, sagt Chou, sei für viele Menschen das Internet kaum noch benutzbar. «Es gibt einfach zu viel Dreck im Netz. Die Leute brauchen eine Pause von diesem Gift. Nur so lange, bis sie mehr Kontrolle über ihre Online-Erlebnisse haben.»
Aus ihrer Sicht ist Block Party ein technisches Selbstverteidigungsmittel, eine Art Internet-Pfefferspray. Das sei leider nötig, bis tiefergreifende Überarbeitungen an den Plattformen hoffentlich vollzogen seien und sich das Diskussionsklima dort gebessert habe. Er soll die Leute auf Abstand halten, die ihr Recht auf freie Meinungsäusserung gern woanders austoben dürfen. Nur eben nicht im Nachrichtenkanal von Leuten, die darauf keine Lust haben.
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