Todesstrafe gegen FrauenWenn Opfer häuslicher Gewalt hingerichtet werden
Die Pandemie hat Exekutionen weltweit gebremst. Doch es gibt besorgniserregende Trends. Zahlen, Fakten und Infografiken zum Welttag gegen die Todesstrafe.
Der Fall hatte weltweit für Aufsehen gesorgt. Ein sudanisches Gericht verurteilte 2017 eine junge Frau zum Tode. Noura Hussein Hamad Daoud, so ihr Name, hatte in einem Handgemenge und in Notwehr ihren Mann mit einem Messer erstochen. Vorangegangen war ein Martyrium der damals 19-jährigen Frau. Mit 16 Jahren war sie zwangsverheiratet worden. Sie wurde verprügelt und vergewaltigt. Da das Gericht Vergewaltigung in der Ehe nicht als Straftat anerkannte, wurde Noura Hussein wegen Mordes zum Tod verurteilt.
Amnesty International setzte sich zusammen mit anderen Organisationen für die junge Sudanesin ein. Auch westliche Regierungen machten Druck auf den Sudan. Schliesslich wurde das Todesurteil für Noura Hussein Hamad Daoud in eine fünfjährige Haftstrafe umgewandelt. Andere kamen jedoch nicht so gut davon.
Körperliche und sexualisierte Gewalterfahrungen
Amnesty International (AI) dokumentiert die Fälle von 73 Frauen, die in den letzten fünf Jahren weltweit hingerichtet worden sind. «Das ist wohl nur die Spitze des Eisbergs, da es bei der Anwendung der Todesstrafe keine Transparenz gibt», schreibt AI zum Internationalen Tag gegen die Todesstrafe an diesem Sonntag.
Viele der zum Tod verurteilten Frauen hätten lange körperliche und sexualisierte Gewalt erlebt. «Oftmals hat der Missbrauch die Straftat ausgelöst, für welche die Betroffenen zum Tode verurteilt wurden.» Mildernde Umstände hätten aber für die Urteile kaum eine Rolle gespielt, heisst es im AI-Bericht. Hinrichtungen von Frauen erfolgten am häufigsten im Iran sowie in Ägypten und Saudiarabien.
Im Allgemeinen geht AI davon aus, dass «lediglich» bis zu drei Prozent aller weltweit zum Tode Verurteilten Frauen sind. Frauen landen allerdings unverhältnismässig häufig für Straftaten in der Todeszelle, die den Tatbestand für «schwerste Verbrechen» nicht erfüllen, der gemäss dem Völkerrecht gegeben sein muss, damit in Staaten mit Todesstrafe ein Hinrichtungsurteil verhängt werden darf. So werden Frauen etwa für Vergehen wie Ehebruch verurteilt. Internationalem Recht zufolge dürfte Ehebruch gar nicht kriminalisiert werden.
AI erwähnt auch andere Vergehen wie Drogenschmuggel, «wobei viele Frauen ohne ihr Wissen Drogen schmuggeln oder dazu gezwungen wurden». Besonders in Südostasien sollen Frauen übermässig oft für Drogendelikte zum Tod verurteilt worden sein. In Malaysia zum Beispiel seien 95 Prozent aller Frauen, die 2019 zum Tode verurteilt worden seien, wegen Drogendelikten schuldig gesprochen worden, berichtet AI.
Pandemie reduziert Zahl der Hinrichtungen
Im vergangenen Jahr sind neben 16 Frauen auch 467 Männer hingerichtet worden. Das Total von 483 entspricht einem Rückgang um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit steht 2020 für die niedrigste Zahl an Hinrichtungen pro Jahr, die AI in den letzten zehn Jahren verzeichnet hat. Das hat vor allem zwei Gründe, wie Natalie Wenger, Mediensprecherin von AI Schweiz, auf Anfrage sagt.
Erstens seien in vielen Ländern Exekutionen Pandemie-bedingt ausgesetzt oder verschoben worden. Zweitens sei aber auch die Zahl der verhängten Todesstrafen zurückgegangen. «Dies hat in mehreren Fällen mit Verzögerungen und vertagten Verfahren aufgrund der Pandemie zu tun», erklärt Wenger. Das gilt insbesondere für den Irak und Saudiarabien.
Im Fall von Saudiarabien gibt es jedoch auch einen Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel in Riad im November 2020. Die Zurückhaltung bei der Todesstrafe in den Monaten vor dem weltweit beachteten Gipfeltreffen muss als PR-Aktion des Saudi-Regimes gewertet werden. Denn nach dem Gipfel sind bis Ende Juli mindestens 49 Menschen in Saudiarabien exekutiert worden. Noch immer kommt es vor saudischen Gerichten zu unfairen Prozessen und Schuldsprüchen. Alarmierend ist laut AI auch die Entwicklung in Ägypten, wo sich die Hinrichtungen mehr als verdreifacht haben – von mindestens 32 im Jahr 2019 auf mindestens 107 im Jahr 2020. In Ägypten sowie im Iran oder in Saudarabien wird die härteste aller Strafen häufig politisch motiviert verhängt.
Amnesty geht davon aus, dass jedes Jahr Tausende Menschen in China zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.
Die von AI dokumentierten Fälle von 2020 stammen aus 18 Ländern. Die meisten Hinrichtungen erfolgten in China, Iran, Ägypten, Irak und Saudiarabien – in dieser Reihenfolge. Laut AI-Sprecherin Wenger ist davon auszugehen, dass jedes Jahr Tausende Menschen in China zum Tode verurteilt und hingerichtet werden. AI stützt sich auf öffentlich bekannte Urteile, Medienberichte, Informationen von lokalen Menschenrechtlern und Angehörigen von Verurteilten. Neben Kapitalverbrechen können auch Korruption oder Spionage zu einem Todesurteil führen. China behandelt das Thema als Staatsgeheimnis. In den AI-Statistiken sind Zahlen zu China seit über zehn Jahren nicht mehr zu finden, da China-Fälle praktisch nicht verifiziert werden können.
Besorgniserregend ist neu auch die Menschenrechtslage in Afghanistan, wo die Taliban im vergangenen August wieder die Macht übernommen haben. Die Todesstrafe war von den Vorgängerregierungen nicht abgeschafft worden, unter der Taliban-Herrschaft dürfte sie aber in grosser Zahl vollstreckt werden. Bedroht sind vor allem Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten. AI hat inzwischen dokumentiert, dass die Taliban im Juli und August mindestens 22 Mitglieder der Hazara-Minderheit hingerichtet haben.
Taliban kehren zum alten, harten Strafregime zurück
In Afghanistan müssten wieder die Strafen der früheren Taliban-Herrschaft gelten, sagte Mullah Nooruddin Turabi, einer der Gründer der radikalislamischen Organisation. Während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 waren Menschen vor Zuschauern in einem Sportstadion oder auf dem Gelände einer Moschee in Kabul hingerichtet worden. Verurteilte Mörder wurden in der Regel mit einem Kopfschuss von der Familie ihres Opfers getötet. Ob Hinrichtungen erneut vor Publikum vollzogen werden sollen, ist noch unklar.
Für das vergangene Jahr dokumentierte AI 1477 Todesurteile in 54 Ländern im Vergleich zu 2307 im Jahr 2019. Dies stellt einen Rückgang der vollstreckten Urteile um 36 Prozent dar. Bei 18 Inhaftierten wurde das Todesurteil aufgehoben. Umwandlungen von Todesurteilen in Haftstrafen oder Begnadigungen gab es in 33 Ländern. Weltweit waren Ende 2020 mindestens 28’567 Menschen zum Tode verurteilt.
In vielen Ländern mit Todesstrafe werden Menschen, die niemanden absichtlich getötet haben, noch immer mit der Höchststrafe belegt. In Singapur, Indien, Indonesien, Thailand oder Vietnam reicht es aus, gegen Drogengesetze verstossen zu haben. In Pakistan kann Gotteslästerung ein Grund für ein Todesurteil sein.
AI vermeldet aber auch positive Entwicklungen. Besonders in Afrika ist viel in Bewegung: Immer mehr Länder schaffen die Todesstrafe ab, zuletzt Tschad, Malawi und Sierra Leone. Ghana diskutiert über die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Straftaten. In Zentralasien ist Kasachstan auf dem Weg, die Todesstrafe abzuschaffen. Ende 2020 hatten 108 Länder die Todesstrafe im Gesetz für alle Verbrechen abgeschafft. Faktisch wird sie damit in 144 Ländern nicht mehr angewendet. Das sind mehr als zwei Drittel aller Staaten.
In den USA ist ebenfalls ein Trend weg von der Todesstrafe erkennbar: Die Todesstrafe wird weniger häufig verhängt und noch seltener vollstreckt. Letztes Jahr wurde Colorado der 22. US-Bundesstaat, der die Todesstrafe abschaffte. In US-Bundesstaaten mit Todesstrafe sind im letzten Jahr 17 Exekutionen vollstreckt worden, 5 weniger als im Jahr zuvor. Die Anzahl verhängter Todesurteile halbierte sich fast – von 35 auf 18.
Hinrichtungs-Moratorium auf Bundesebene in USA
Auf Bundesebene wurden allerdings erstmals nach 17 Jahren wieder Todesurteile vollstreckt, nachdem die Trump-Regierung dies im Juli 2020 wieder erlaubt hatte. Bis Januar 2021 wurden 13 Todeskandidaten in Bundesgefängnissen hingerichtet, die letzten drei nur wenige Tage vor dem Amtsantritt von Trumps Nachfolger Joe Biden. Im Juli hat die US-Regierung ein Hinrichtungs-Moratorium auf Bundesebene veranlasst.
Justizminister Merrick Garland verwies auf mögliche «Willkür», die überproportionale Betroffenheit von Schwarzen und die «beunruhigende» Zahl von Fehlurteilen. US-Präsident Biden lehnt die Todesstrafe ab. Er will gemeinsam mit dem Kongress daran arbeiten, dass sie auf Bundesebene abgeschafft wird.
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