Vor der US-PräsidentschaftswahlWenn die reichen Sportteams zu Wahlhelfern werden
Kaum zu glauben: Viele Amerikaner wissen gar nicht, wie man den Präsidenten wählt. Unterstützung erfahren sie nun von Sportlern und Clubs – es könnte die Abstimmung beeinflussen.
Der Fenway Park in Boston war in dieser Saison der Major League Baseball wie ein Magnet ohne Anziehungskraft. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie waren zu den Heimspielen der Boston Red Sox keine Zuschauer erlaubt. Am Wochenende aber war Amerikas ältestes Baseballstadion nach langer Zeit trotzdem mal wieder eine Attraktion. Tausende Bostonians pilgerten zum 1912 eröffneten Ballpark.
Allerdings ging es diesmal nicht um Baseball, sondern «um die wichtigste Wahl unseres Lebens», so sagt das der 59-jährige Larry, als er aus dem Gate E des Fenway Park kommt. Die US-Präsidentschaftswahlen sind zwar erst am 3. November, doch das «early voting» hat in vielen Bundesstaaten bereits begonnen. Und seit Samstag können im Bundesstaat Massachusetts auch Frühwähler wie Larry ihre Stimme abgeben.
Alle Meister machen mit
In der Vergangenheit ist er dafür ins vier Kilometer entfernte Rathaus gegangen. Dass er diesmal die Möglichkeit dazu in Bostons berühmtem Baseballstadion hat, ist neu – aber kein Einzelfall. Landesweit öffnen 50 Vereine aus sechs Profiligen am Wahltag oder bereits zuvor ihre Tore. Darunter die aktuellen Meister der grossen Sportarten: Kansas City Chiefs (National Football League), Los Angeles Lakers (Basketball), Tampa Bay Lightning (Eishockey) und Washington Nationals (Baseball).
Das grösste Wahllokal wird in New York City der Madison Square Garden sein; rund 60’000 Menschen können dort ihre Stimmzettel abgeben. In der Kleinstadt Green Bay bauen sie vor dem traditionsreichen Lambeau Field der Packers ein Gebäude in ein Wahllokal um, in dem sich für gewöhnlich die Footballfans auf die Spiele einstimmen.
Was cool klingt, hat einen ersten Hintergrund: Corona. In den üblichen Wahllokalen wie Schulen, Rathäusern oder örtlichen Feuerwehrstationen können Menschenmassen in Zeiten von Covid-19 unter Einhaltung des vorgegebenen Sicherheitsabstands mitunter nur schwer oder gar nicht bewältigt werden. In den riesigen Stadien hingegen ist Social Distancing ohne grosse Probleme machbar. «Ich dachte mir, wenn ich es für die Leute ein bisschen besser und einfacher machen kann, warum nicht?», erklärt Mark Cuban, Besitzer des NBA-Clubs Dallas Mavericks, in deren Arena 50 Wahlautomaten stehen.
Es ist eine Folge der Massenproteste
Es gibt noch einen weiteren Grund für das Engagement des US-Sports. Amerika hat bewegte Monate hinter sich. Nachdem der Schwarze George Floyd im Mai in Minneapolis qualvoll durch Polizeigewalt getötet worden war, gingen Millionen Menschen auf die Strassen. Unter den Protestierten waren auch viele Sportler. Sie riefen nach sozialer Gerechtigkeit. Sie machten deutlich, dass auch schwarze Leben zählen («Black Lives Matter»), und forderten, dass es endlich an der Zeit sei, den institutionellen Rassismus in Land ernsthaft zu bekämpfen.
In der Geschichte der USA hat es immer wieder Sportler gegeben, die laut wurden und Zeichen setzten, um auf soziale Missstände hinzuweisen. So verweigerte Schwergewichts-Weltmeister Muhammad Ali 1967 den Militärdienst und entzog sich somit dem Vietnamkrieg. Die Sprinter Tommie Smith und John Carlos senkten ein Jahr später während der Siegerehrung bei den Sommerspielen ihre Köpfe und reckten zugleich ihre Fäuste in den Himmel von Mexiko-Stadt. Und Quarterback Colin Kaepernick kniete als Erster 2016 bei der Nationalhymne vor NFL-Spielen.
Doch dies waren lange Zeit Einzelfälle. In den vergangenen Monaten hingegen haben sich Sportlerinnen und Sportler in den USA so vereint gezeigt wie noch nie. Sie knieten gemeinsam. Sie nutzten ihre Reichweite in den sozialen Medien für klare Botschaften. Sie sprachen auf Pressekonferenzen nicht über ihren Sport, sondern über George Floyd, Breonna Taylor, Ahmaud Arbery und andere Opfer von übertriebener Polizeigewalt.
Und als Ende August mit Jacob Blake ein weiterer Schwarzer von einem weissen Polizisten schwer verletzt wurde, stellten sie sogar ihre Spiele für einige Tage ein. Es war der Zeitpunkt gekommen, noch aktiver zu werden, noch mehr zu machen, als Botschaften auf den Trikots zu tragen oder bei der Hymne zu knien. In Florida, wo die NBA von der Aussenwelt abgeschirmt ihr Playoff austrug, sassen Spieler, Trainer und Vereinsbesitzer zusammen und diskutierten über die nächsten Schritte und Massnahmen. Mark Cubans Mavericks riefen die Initiative «Mavs Take Action» ins Leben. Der wichtigste Punkt: die Arena als Wahllokal zur Verfügung zu stellen.
Die Liga erklärt, wie man wählt
Doch wer in den USA wählen will, muss sich zuvor registrieren. Darauf weisen Ligen und Vereine seit Wochen auf ihren Internetsites sowie die TV-Sender in ihren Live-Übertragungen der Basketball-, Football- und Baseballspiele hin. Auf der NFL-Website sind die fünf Schritte aufgeführt, die jeder zur Stimmabgabe machen muss – von der Registrierung bis hin zum Wählen. Dies mag in der Schweiz amüsant klingen, in den USA ist dies jedoch notwendig, um vor allem Minderheiten an die Wahlurnen zu locken.
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«In den sozialen Brennpunkten gibt es Menschen, die denken, dass ihre Stimme ohnehin nicht zählt. Und deshalb gehen sie gar nicht erst wählen», hebt Basketballstar LeBron James von den Los Angeles Lakers hervor. Bestätigt wird er vom Spielmacher der Boston Celtics, Kemba Walker, der aus der New Yorker Bronx stammt. «Wo ich herkomme, spricht niemand über die Wahl. In der Schule sagt dir niemand ‹Geh wählen!›», betont Walker.
Und es passt ins Bild, dass vor wenigen Tagen Ex-NBA-Star Shaquille O’Neal erwähnte, zum ersten Mal in seinem Leben gewählt zu haben. Er hatte sich per Briefwahl beteiligt und erfreut festgestellt: «Es fühlt sich gut an.» O’Neal ist 48 Jahre alt.
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