TV-Kritik So war der zweite Anlauf der Rassismus-«Arena»
«Jetzt sitzen wir an einen runden Tisch» hiess die gestrige Sendung im Schweizer Fernsehen. Mit einem neuen Ansatz versuchte das SRF, nach dem Eklat von letzter Woche dem Thema nun gerecht zu werden.
Eins vorab: Über den runden Tisch, zu dem das SRF gestern lud, schreibt hier keine Person of Color. Nicht erst seit dem «Arena»-Gespräch vom 12. Juni mit dem Titel «Jetzt reden wir Schwarzen» – bei dem in der Hauptrunde drei Weisse und eine Person of Color vertreten waren und das weit über 100 Beanstandungen bei der Ombudsstelle der SRG kassiert hat – muss klar sein: Das sogenannte weisse Privileg, etwa die Selbstverständlichkeit, Gehör zu finden, wo eigentlich andere Gehör finden sollten, ist eine oft ausgeblendete Realität.
Die Vorgeschichte
«Es war ein Debakel», urteilte die Mitorganisatorin einer «Black Lives Matter»-Kundgebung, Angela Addo (Juso), über die letzte «Arena» – in der sie noch in der zweiten Reihe hatte Platz nehmen müssen. Die Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni sekundierte: Wegen der geladenen Hardliner habe sie damals abgesagt. Ähnlich sah es auch Jovita Dos Santos Pinto, Kulturwissenschaftlerin sowie Mitgründerin des Netzwerks Schwarzer Frauen «Bla*Sh»: Man könne nicht zum 1000. Mal diskutieren, ob es überhaupt Rassismus gebe in der Schweiz, wo rund jede dritte Person betroffen sei. Selbst die Unternehmerin und SVP-Präsidentin Val Müstair, Gabriella Binkert, bestätigte: Rassismus sei kein Phantom, man habe sich da in der vergangenen «Arena» in sinnlosen ideologischen Gefechten verloren anstatt Hand zu bieten zu gemeinsamen Lösungen. Allerdings seien von jedem eben auch Pfupf, Respekt und Eigenleistung gefragt.
Der Clash
An dieser Stelle spaltete sich der runde Tisch – den Moderator Sandro Brotz reuevoll anstelle der Einzelpulte hatte aufstellen lassen, um in der zweiten Auflage seines Rassismusgesprächs eine lösungsorientierte Atmosphäre zu erzeugen – entlang politisch-ideologischer Trennlinien. «Wir sind alle light-skinned Blacks, hatten alle gute Chancen und haben unsere Schlupflöcher entdeckt», bilanzierte Moumouni. «Aber was ist mit den vielen anderen?» 352 Fälle rassistischer Diskriminierung seien 2019 gemeldet worden, rapportierte Brotz; und beim Racial Profiling 23 Fälle. Die Dunkelziffer sei hoch. Ohne Monitoring, einer schweizweiten exakten Erfassung der Polizeikontrollen und ihrer Begründungen, käme man kaum weiter, sagte Kulturwissenschaftlerin Claudia Wilopo.
Auch der Soziologe Ganga Jey Aratnam erhellte die Lage mit Zahlen: 67 Prozent der Kaderpositionen seien von Nicht-Schweizern besetzt – und ein Grossteil der Jobs ganz unten. Die alteingesessenen Schweizer befänden sich im Sandwich und bekundeten damit öfters Mühe. Zugleich hätten 56 Prozent der hiesigen 0- bis 6-jährigen einen eingewanderten Elternteil, und immer noch verschliesse man die Augen vor der Wirklichkeit der Schweiz als Einwanderungsland.
Daher forderten die Diskutanten nicht bloss bessere Schulbücher, die auch die Schweizer Verstrickungen in den Kolonialismus reflektierten. Sondern auch eine bessere Repräsentation von People of Color in allen Institutionen. Kritisch merkte Moumouni an: «Immer dieser Reflex, mit dem Finger aufs Ausland zu zeigen nach dem Motto ‹Der Sexismus ist in Russland viel schlimmer›, ‹Der Rassismus ist in den USA viel schlimmer›. Es geht doch darum: Was wollen wir für ein Land sein?» Dass man schon mit der scheinbar harmlosen Frage nach der Herkunft einer dunkelhäutigen Person in die hiesige «Rassisierungsfalle» tappt und den strukturellen Rassismus fortschreibt, erläuterte Dos Santos Pinto schlüssig.
Dies freilich wollten weder Nirosh Manoranjithan (FDP), Gemeinderatsmitglied von Vilters-Wangs, noch Gabriella Binkert so stehen lassen – während Journalistin Silvia Binggeli in ihrer Kindheit durchaus Diskriminierungserfahrungen gemacht hatte, wie sie erzählte. Und ohne ihren schweizerischen Namen und ihr Berndeutsch hätte sie es als Erwachsene sicher schwerer gehabt, vermutete sie. Bei der Wohnungssuche, bei der Jobsuche: Überall müssen sich Menschen mit ausländischen Namen deutlich mehr bemühen, zitierte Brotz eine aktuelle Studie.
Fazit
SRG-Chefin Nathalie Wappler räumte per Video-Einspieler denn auch ein, in ihrer Institution gebe es in Sachen Diversität «noch Luft nach oben»; sie lege allen ihren Mitarbeitern eine «Wahrnehmungsschulung» ans Herz. Die hat man in dieser zweiten «Arena» über strukturellen Rassismus in der Schweiz, sagen wir mal, in Angriff genommen. Nicht alles konnte ausdiskutiert werden; auch der Moderator wirkte einen Tick zu wenig einsichtig für eine Sendung mit dem Titel «Jetzt sitzen wir an einen runden Tisch» mit vier klugen Schwarzen Frauen. Es gilt Angela Addos Schlusswort: «Das war jetzt ein Safe Space zum Diskutieren.» Das wars. Nicht mehr und nicht weniger.
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