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Italiens Parlamentsverkleinerung
Weniger Demokratie für einen Caffè?

Einen Espresso pro Kopf – etwa so viel spart Italien pro Jahr, wenn die Reform durchkommt: Premier Giuseppe Conte bekommt in der Abgeordnetenkammer einen «caffè» gereicht. 
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In Italien kostet ein «caffè», ein Espresso also, eingenommen an der Theke, einen Euro – plus minus. Im Norden sind es eher 1,20 Euro, im Süden 80 Cents. Gut ist er da und dort. Wenn nun in diesen Tagen ständig die Rede auf den Preis eines «caffè» kommt, hat das aber wenig mit dem kleinen Kaffee zu tun, auch nicht mit dem Ritual seines Konsums in allen seinen wunderbaren Variationen: «befleckt» mit Milch, serviert in der heissen Tasse, im Glas, korrigiert mit einem Schuss Hochprozentigem. Der heilige «caffè» muss gerade herhalten für profane politische Propaganda.

In zehn Tagen stimmen die Italiener in einem Referendum über eine Verfassungsreform ab, die, wenn sie durchkommt, die beiden Parlamentskammern verkleinern würde: Der Senat hätte dann nicht mehr 315 Mitglieder, sondern nur noch 200; die Anzahl Abgeordneten würde von jetzt 630 auf 400 gekürzt.

Der Slogan der Gegner ist wie ein Refrain – und er wirkt

Die Befürworter argumentieren, dass der Schnitt die Kosten des teuren italienischen Parlamentsbetriebs senken würde. Das ist unbestritten. Doch die Schätzungen dazu, wie viel sich sparen liesse, gehen weit auseinander, von 57 Millionen bis 100 Millionen Euro im Jahr. Die Gegner der Vorlage halten sich verständlicherweise an den unteren Wert: 57 Millionen Euro, sagen sie, das sei nichts, nur 0,007 Prozent der öffentlichen Ausgaben des Landes. Oder eben, viel plastischer: ein Espresso pro Kopf. «Wollen wir etwa für den Preis eines ‹caffè› unsere Demokratie ausdünnen?»

Überall hört man den Satz jetzt, ein ständiger Refrain. Offenbar wirkt der Slogan. Hatten vor einigen Wochen in Umfragen noch 80 bis 90 Prozent der Italiener gesagt, sie würden für die im Parlament bereits in doppelter Lektüre beschlossenen Änderungen stimmen, sind es nun noch etwa 60 Prozent. Und am Ende?

Der dritte Versuch in 15 Jahren

Es ist nicht das erste Mal, dass Italien die Grundanlage seines politischen Systems, wie es sich die Verfassungsväter nach Krieg und Faschismus erdacht hatten, neu justieren will. Silvio Berlusconi versuchte es 2006 und scheiterte krachend. Matteo Renzi legte 2016 einen organischen Umbau des Parlaments vor. Die beiden Kammern sollten nicht mehr exakt die gleichen Kompetenzen haben und sich gegenseitig lähmen, wie das heute oft passiert. Das sogenannte «perfekte Zweikammersystem» ist alles andere als perfekt. Doch Renzi hatte die dumme Idee, die Abstimmung mit seinem persönlichen politischen Schicksal zu verknüpfen, und verlor alles: sein Amt als Ministerpräsident und seinen grossen Wurf.

Seine Tiraden gegen die politische «Kaste» kulminierten im «Vaffanculo»: Schert euch zum Teufel! Beppe Grillo bei einem Auftritt in Rom 2018. 

Die neue Reform ist die Standarte der Cinque Stelle, jener Partei also, die vor einigen Jahren als fundamentale Systemkritikerin ins italienische Parlament gezogen war und nun seit zwei Jahren mit wechselnden Bündnispartnern das Land regiert. Ihr grosser Erfolg rührte daher, dass viele Italiener ihre Politiker pauschal für Privilegienritter halten, für eine eigensinnige «Kaste», eine «Elite», die nur an ihren Posten und am Geld interessiert sei. Die Bewegung des Komikers Beppe Grillo bediente dieses diffuse Gefühl mit ihren Verwünschungen, sie gipfelten im prosaischen «Vaffanculo»: Schert euch zum Teufel!

Am meisten verschlingen die Renten und die hohen Entschädigungen amtierender Volksvertreter.

Gewinnt das «Sì», werden die Fünf Sterne behaupten, sie hätten den «Moloch» gestutzt, wie die parteinahe Zeitung «Il Fatto Quotidiano» das Parlament neulich nannte. Sie haben die Reform lanciert und nach und nach alle anderen grossen Parteien davon überzeugt, mit ihnen zu stimmen. In der letzten Abstimmung waren auch die Sozialdemokraten vom Partito Democratico dafür, sie hatten keine andere Wahl: So sah es der Regierungsdeal mit den Cinque Stelle vor. Allerdings hiess es darin auch, dass man vor der Abstimmung ein neues Wahlgesetz verabschieden und das ganze System neu denken würde – notwendigerweise, für eine richtige Reform. Doch das passierte nicht, alles aufgeschoben. Und so sind nun ausser den Fünf Sternen alle Parteien innerlich gespalten. Eine Reform im Dunkeln, das wollen viele nicht.

Man fragt sich auch, ob das Bild vom Moloch überhaupt stimmt. Tatsächlich kostet das römische Parlament mit allem Drum und Dran einen Haufen Geld: 1,6 Milliarden Euro. Am meisten verschlingen die Renten ehemaliger Mitglieder und die hohen Entschädigungen amtierender Volksvertreter. In keinem Land Europas erhalten Parlamentarier mehr Zuschüsse als in Italien: 14’634 Euro im Monat verdienen Senatoren, 13’971 Euro die Abgeordneten – brutto. Auch nach Abzug der Steuern und nach der Entlohnung der Mitarbeiter ist es immer noch mehr als anderswo. Darum sagen nun manche Gegner der Reform, es wäre gescheiter, die Gehälter aller zu kürzen.

Ganze Gegenden wären untervertreten

Nach der Verkleinerung um 345 Sitze wäre das italienische Parlament nämlich plötzlich das kleinste der EU: Auf 100’000 Einwohner kämen dann nur noch 0,7 Parlamentarier, die knappste Quote von allen. In Deutschland, Grossbritannien und Frankreich sind es 0,9. In Malta, am oberen Ende der Rangliste, sind die Proportionen besonders üppig bemessen: 14,3. Manche Regionen Italiens klagen darüber, dass ihr Einfluss in Rom überdurchschnittlich stark schwinden würde nach der Reform. Die süditalienische Basilicata und das mittelitalienische Umbrien etwa hätten je nur noch drei Senatoren, jetzt sind es sieben. Minus 57 Prozent.

Die Befürworter der Vorlage sagen, die Parlamentarier wären nur schon deshalb verantwortungsbewusster und engagierter, weil sie weniger wären. Die kleineren Kommissionen? Ausbünde von Effizienz! Die Gegner kontern, es drohe vielmehr eine «Oligarchisierung», die Entwicklung hin zu einer Herrschaft weniger. Viel Kompetenz in den Kommissionen und viel Nähe zu den Wählern gehe da einfach verloren. Für einen «caffè».