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Was wir lesen: «I. M.» von Connie Palmen
Eine amour fou im wahrsten Sinne des Wortes

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Ich finde, es gibt fast nichts Besseres, als mit einem anderen Menschen ein wirkliches Gespräch zu führen. Sich ehrlich auszutauschen, zu hören und zu erzählen, was einen beschäftigt, sich vielleicht auch sanft zu streiten, weil man die Welt nicht gleich sieht, oder aufzulachen, weil man gerade denselben Gedanken hatte. «I. M.» von Connie Palmen bietet ein ganzes Buch voll solcher Gespräche. Die niederländische Autorin erzählt darin nämlich von ihrer Beziehung zu dem Journalisten Ischa Meijer – eine amour fou im wahrsten Sinne des Wortes: Die beiden sind vom Moment an, in dem sie sich zum ersten Mal begegnen, verrückt nacheinander. Vor allem aber lässt Palmen Leser:innen grosszügig an dem ununterbrochenen Dialog teilhaben, den die grosse Denkerin und der grosse Denker über Jahre hinweg miteinander führten.

Mal geht es darum, wieso Meijer zu viel isst und wieso Palmen sich den Genuss vorenthält, mal geht es um Meijers notorisches Fremdgehen und Palmens damit verbundene Ängste, mal geht es um ihre Liebe zu den USA und den Überdruss an Europa, mal geht es um Gott und mal um die Welt, wortwörtlich.

Man erfährt dabei viel über das Leben der beiden: Ischa Meijer wurde in Amsterdam in eine jüdische Familie geboren und noch als Kleinkind mit den Eltern nach Bergen-Belsen deportiert; alle überlebten das KZ, doch die Eltern verstiessen den Sohn später, was Meijer zeitlebens umtrieb. Connie Palmen wuchs in einer katholischen Familie mit drei Brüdern im Süden der Niederlande auf, zwar sehr wohlbehütet, und doch fühlte sie sich immer wie eine Fremde.

Ebenso viel erfährt man beim Lesen aber über sich selbst: Nicht nur habe ich mich bei all den besprochenen Themen gefragt, wie ich eigentlich selbst dazu stehe, sondern das Buch liess mich auch über meine Vorstellungen zu Liebesbeziehungen nachdenken. Denn mitunter wirkt die unbedingte Liebe der beiden fast wahnsinnig; Meijer erscheint aus heutiger Perspektive wie ein «toxischer Mann», und Palmens Zuneigung grenzt an Selbstaufgabe, und doch ist es gerade sie, die besonders schonungslos Meijers innere Zwänge aufdeckt, und doch scheinen die beiden zuallererst sehr glücklich miteinander.

Nicht zuletzt veranlasste mich das Buch auch dazu, das Handy öfters auszuschalten. Denn während ihrer ganzen Beziehungsjahre – von ihrer Begegnung 1991 bis zum Tod Meijers 1995 – werden die beiden in ihrem Gespräch nie von einem Blick auf den Bildschirm abgelenkt, nie von einem Piepsen gestört, nein, sie schenken die Aufmerksamkeit ganz einander. Das will ich mir vornehmen für das nächste Mal, wenn ich mit jemandem ein Gespräch führe.

Connie Palmen tritt am 11. Juli am Literaturfestival Zürich auf.